Schwäbische Zeitung (Tettnang)
Von Poetry Slam über Porno bis Punk
Mehr geht nicht: Seekult treibt Festivalthema auf die Spitze
FRIEDRICHSHAFEN - Das von Studenten der Zeppelinuniversität organisierte Festival „Seekult“hat am Freitag und Samstag im Kulturhaus Caserne stattgefunden. Das Festival versuchte sich unter der Überschrift „Parallele Welten“an einem Seiltanzakt zwischen lauter Provokation und leiser Differenziertheit.
Während der Schwulenporno „HeimatXXX“bereits durch seine bloße Präsenz im Programmheft für viel Gesprächsstoff sorgte, schlich sich auf besonders leisen Sohlen ein ganz anderer Programmpunkt in die Herzen der Zuschauer: „Die taube Zeitmaschine“. In einem 30-minütigen Auszug aus ihrem Stück brachte ein Ensemble aus Hörenden und Gehörlosen gemeinsam Geschichte auf die Bühne, machte Unsichtbares sichtbar, Verdrängtes greifbar. Die Darsteller hatten sich im Vorfeld intensiv mit Gehörlosen über 80 unterhalten, Videoauszüge zeigen Teile der Gespräche.
„Meine Tante war taub. Sie wurde sterilisiert. Sie wurde mit 23 Jahren eingeschläfert“, erinnert sich Regina Schubert. Doris Maier durfte als Kind auf der Straße nicht sprechen: „Angst war überall.“Doch die Darstellung beschränkte sich nicht auf die Vergangenheit. Es wurden Parallelen zur Gegenwart gezogen. Die Frage stand im Raum, wieso Hörende über Gehörlose entscheiden dürfen. Ist es wirklich mit dem Grundgesetz vereinbar, dass Kindern CIImplantate in ihren Körper operiert werden? Implantate, die sie „normal“machen sollen und ihnen dabei den Zugang zur Welt der Gehörlosen nehmen, ihnen aber den zur Welt der Hörenden nie vollständig ermöglichen? Eine der Gehörlosen bringt es auf den Punkt. Auf die Frage, ob sie hören wolle, lautet Regina Schuberts Antwort: „Nein. Ich mag es so. Ich bin zufrieden.“
Ähnlich intensiv, allerdings durchgängig fiktiv geht es in der von Frieder Langenbergers und Mario Lopattas ausgearbeiteten und auf die Bühne gebrachten Version von „Tom auf dem Lande“zu. Erde, ein Metallkübel, zwei Männer an zwei Gräbern, die sich sehr nahe kommen – emotional und körperlich – und stellen sich gegenseitig die ganz existenziellen Fragen. Geburt und Tod werden drastisch und greifbar geschildert. Überhaupt bewies das ausgewählte Theater während der beiden Tage, dass es sehr viel mehr sein kann, als etwas, das man von einer Zuschauerreihe bloß betrachten kann.
„Drama Society“lädt direkt und körperlich in eine Parallelwelt
Während die beiden geschilderten Stücke bildlich unter die Haut gingen, lud die „Drama Society“der Zeppelinuniversität die Zuschauer ganz direkt und körperlich in eine Parallelwelt ein. „Eure Arme sind an den Körper getackert“, lautete die Anweisung. Eine Stunde lang fühlten sich die Teilnehmer an diesem Experiment in ihre neuen Körper ein, erkundeten so ihre Umgebung.
Nikolas Darnstädt vereinte mit seinem Team beides. In der Antisoap „Generation Z“- die auszugsweise im Studio17 gezeigt wurde - lege er Wert auf eine Theaterästhetik. „Ich halte dieses ganze Authentische für zutiefst bekämpfenswert“, verriet er im Podiumsgespräch mit Billy Contreras. Es sei doch nicht politisch, so der junge Filmemacher, wenn man so naturalistisch arbeite, dass Unsichtbares weiterhin verborgen bleibe.
„Places“schreibt Lieder immer in Bezug auf die Orte, an denen er sich gerade befindet. So sei sein Lied „Borders“an der Schweizer Grenze entstanden, verriet der Konstanzer Liedermacher und ergänzte leise lächelnd, dass er ein paar Lieder spielen werde, die noch gar nicht fertig seien. „Ihr seid mein Probierpublikum“, meinte er und bedankte sich für das schweigsame Lauschen seines Publikums.
Auch „Poem for Jamiro“aus Hamburg hatten nur Lob für die Zuhörerschaft übrig. „Wir sind hier richtig in Urlaubsstimmung“, betonten sie und stimmten dann ein Lied über das Glück an.
Drinnen im Casino wechselte die Musik derweil von Punk über Rock, im Atrium wurde Sprechgesang geboten.
In weniger Räumlichkeiten als von diesem Format aus den vergangenen Jahren gewohnt, präsentierten die Organisatoren eines der bislang vielseitigsten Programme. Ein vielseitiges Film- und Ausstellungskonzept rundete das Festival gekonnt ab. Weitere Fotos vom „Seekult“-Festival gibt es im Internet unter www-schwäbische.de/seekult-2017