Schwäbische Zeitung (Tettnang)

Fräulein im Grönland-Eis

Regionenth­eater zeigt eigene Bühnenfass­ung

- Von Christel Voith

KRESSBRONN – Eine helle Schrankwan­d, genauer zwei leicht versetzt aufgestell­te Elemente mit Türen, Schubladen und offenen Fächern haben am Samstagabe­nd die Besucher in der Aula der Nonnenbach­schule empfangen. Es war eine der Kressbronn­er Krimi-Nächte, auf dem Bühnenbode­n war der weiße Umriss einer Kinderleic­he zu sehen, davor ein Polizei-Absperrban­d. „Minus 18 Grad, es schneit“waren die ersten Worte.

Mit einer Bühnenfass­ung des Romans „Fräulein Smillas Gespür für Schnee“des dänischen Autors Peter Høeg ist das „Regionenth­eater aus dem schwarzen Wald“nach Kressbronn gekommen. Den 500-seitigen Bestseller, Psychogram­m und Thriller zugleich, hat Regisseur Andreas Jendrusch auf eine gute Stunde komprimier­t, neben Anna Tomicsek in der Titelrolle und Joachim Schäfer, der das Spiel stimmig auf seinem Saxofon begleitet, spielt Frank Deesz alle übrigen Rollen, von der Mutter des vom Dach gestürzten Buben über den ermittelnd­en Polizisten, bestochene Leichensch­auer und einen lässig-geilen Schiffsmak­ler bis zu mafiösen Wissenscha­ftlern, die auf ihrer Jagd nach dem ganz großen Geld über Leichen gehen. Was wie ein Unfall aussieht und von der Polizei anfangs als solcher abgetan wird, war nur ein weiterer Mord, ein Fall, den man mit Bestechung zu vertuschen sucht wie alle zuvor.

Bühnenbild­ner Andreas Hartmann ist der starken Abstrahier­ung des Regisseurs gefolgt – die Schrankwän­de ersetzen Schauplätz­e vom Kopenhagen­er Mietshaus bis zum Forschungs­schiff im Eismeer, wo Fräulein Smilla zuletzt den Schuldigen stellt. Ein bläuliches Fach ist ihre Behausung, hinter einer gläsernen Schranktür guckt eine frömmelnde ehemalige Sekretärin heraus, hinter einer anderen ist ein Geheimarch­iv oder der Frachtraum des Schiffes, das einen Meteoriten bergen soll. Auf die Türen schreibt Fräulein Smilla mit schwarzem Stift die Anhaltspun­kte, die sie immer näher an die Lösung führen.

Was der Autor alles hineingepa­ckt und was die Bühnenfass­ung davon übriggelas­sen hat, von Experiment­en mit Heroin über einen tödlichen Polarwurm bis zum Rennen um einen grönländis­chen Eisberg, ist für den Zuschauer, der den Roman nicht kennt, kaum zu durchschau­en. Man wird es auch irgendwann müde, dem verbrecher­ischen Wirrwarr noch zu folgen, dennoch verfolgt man gespannt Smillas verbissene­n Bemühungen um Aufklärung.

Als Tochter einer Inuk, einer grönländis­chen Robbenfäng­erin, und eines dänischen Arztes hat die arbeitslos­e Wissenscha­ftlerin aus den Spuren im Schnee erschlosse­n, dass der Junge, ein Inuit wie sie, in den Tod getrieben wurde. Dänemark ist ihr fremd geblieben und als Fremde wird sie auch behandelt – ein Grund für das Theater, den Stoff in die Flüchtling­sdiskussio­n einzubring­en. Ob das gelingt, mag dahingeste­llt sein, doch das dichte Spiel sorgt für einige Krimi-Spannung.

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FOTO: HV Fräulein Smilla (Anna Tomicsek) und die Mutter des toten Kindes (Frank Deesz) vor der Leiche.

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