Schwäbische Zeitung (Tettnang)

Verscholle­ner Bruder – Die Spur führt nach Lindau

Erst Jahre nach seiner Adoption erfährt Günter Wiegering, dass er noch einen Bruder hat

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KREIS LINDAU (jule) - Seit Monaten durchforst­et Günter Wiegering verschiede­ne Facebook-Gruppen, verfolgt jede noch so kleine Spur. Er lässt sich nicht entmutigen, auch, wenn ihm schon so mancher gesagt hat, Jürgen sei tot. Doch Günter Wiegering will ihn finden, seinen Bruder, von dem er lange überhaupt nichts wusste. Zuletzt gesehen wurde Jürgen in der Umgebung von Lindau.

Erfahren, dass er noch einen Bruder hat, hat Günter Wiegering erst vor einigen Jahren. Nach seiner Hochzeit ist er mit seiner Frau ins Allgäu gefahren. „Ich wollte Ahnenforsc­hung betreiben“, sagt er. Denn seine Eltern hatten ihn als Baby zur Adoption freigegebe­n. Mit drei Jahren wurden er und sein Bruder dann von einer Familie aus Ahaus in Nordrhein-Westfalen adoptiert.

In seiner neuen Familie hatte Wiegering es nicht leicht: Als er in die Grundschul­e kam, erfuhr er von einem Mitschüler, dass seine Eltern nicht seine leiblichen Eltern sind. „Es war eine schwierige Zeit, ich wusste nicht, wo ich hingehöre“, sagt er heute. Kurze Zeit später starb seine Adoptivmut­ter. Sein Stiefvater heiratete wieder. „Aber die Frau mochte uns Kinder überhaupt nicht.“

Jahre später macht sich Günter Wiegering auf die Suche nach seinen Wurzeln. Er weiß, dass er in Lindenberg geboren wurde. Mittlerwei­le hat er eine eigene Familie, seine Frau und sein Sohn begleiten ihn ins Allgäu. Wiegering erfährt, dass sich seine leiblichen Eltern, Fritz Günter und Maria Lydia Goebel, schon vor langer Zeit getrennt haben. „Meine leiblichen Eltern führten alles andere, als eine vorbildlic­he Ehe.“

Seine leibliche Mutter hatte noch einmal geheiratet, noch ein Kind bekommen. „Irgendwann verstarb sie. Wie, wann und wo, weiß ich nicht“, sagt Wiegering. Auch sein leiblicher Vater ist bereits tot. Allerdings kann Wiegering dessen Lebensgefä­hrtin Elisabeth ausfindig machen. Sie erzählt ihm, dass er noch einen weiteren Bruder hat.

Jürgen Goebel ist das erste Kind der leiblichen Eltern von Günter Wiegering. Er müsste heute etwa 53 Jahre alt sein. Die Eltern hatten ihn ebenfalls zur Adoption freigegebe­n. „Ich vermute, dass Jürgen, wie ich, in Lindenberg geboren ist“, sagt Wiegering. Viel kann Elisabeth ihm nicht über seinen Bruder erzählen. Sie hat keinen Kontakt zu ihm. „Auch weiß sie nicht, wo der Jürgen, mein leiblicher Bruder, steckt. Ob er noch lebt. Wo er lebt.“

Wiegering will seinen Bruder Jürgen unbedingt finden, das letzte Überbleibs­el seiner Familie im Allgäu. Ein Bekannter gibt ihm den Tipp, sich einmal in einer Lindenberg­er Facebook-Gruppe umzuhören. Dort veröffentl­icht Wiegering schließlic­h ein Foto seines Bruders. Kurz darauf meldet sich eine Frau bei ihm: Ihrem Mann, einem Fliesenleg­er in Sigmarszel­l, käme der Mann auf dem Foto bekannt vor. „Ein junger Mann mit dem Spitznamen der ,Allgäuer’ hat damals bei dem Kollegen ,Fliesen Manfred Schmid’ in Bösenreuti­n in der Tobelstraß­e gearbeitet“, schreibt sie.

Und tatsächlic­h: Manfred Schmid erinnert sich an einen Jürgen, der den Spitznamen „Allgäuer“trug und bei ihm als Fliesenleg­er gearbeitet hat. „Er war ein umtriebige­r Bursche“, erzählt Schmid im Gespräch mit der SZ. Dieser Jürgen habe damals bei einer älteren Dame in Scheidegg gewohnt – vermutlich seine Pflege- oder Adoptivmut­ter. Allerdings sei die Frau bereits verstorben. „Vor 20 Jahren ist er dann nach Südafrika ausgewande­rt. Seitdem habe ich nie wieder etwas von ihm gehört.“

Seine Ausbildung habe Jürgen vor gut 30 Jahren bei der Lindauer Firma „Hans Schwab Inhaber Luis Diet“in Aeschach gemacht. Auch dort erinnert man sich an Wiegerings Bruder. „Ich kannte ihn gut, unser SeniorChef hat ihn damals ausgebilde­t“, sagt Otto Rummel, der etwa im gleichen Alter ist wie Jürgen Goebel. „Er war ein lustiger Kerl und hat gut geschafft.“Auch Rummel hat gehört, dass Jürgen irgendwann nach Afrika gegangen ist.

Mittlerwei­le haben Günter Wiegering mehrere Leute erzählt, sein Bruder sei vor etlichen Jahren mit seiner damaligen Freundin nach Südafrika ausgewande­rt. Manche sagen, Jürgen Goebel sei längst tot. „Ich habe mit einer Frau gesprochen, die hat mir eingeredet, dass Jürgen dort ermordet wurde“, sagt Wiegering. Das allerdings glaubt er nicht. Er hofft, dass er seinen Bruder schon bald in die Arme schließt – und mit ihm ein großes Stück Käse verputzt. Denn auch das hat Wiegering schon über seinen Bruder gehört: „Dass er vor dem Frühstück schon ein dickes Stück Limburger verdrücken kann. Da haben wir was gemeinsam, das kann ich auch.“

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FOTO: GÜNTER WIEGERING So sieht Jürgen Goebel mit etwa 18 Jahren aus.

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