Schwäbische Zeitung (Tettnang)
Bau dir ein Haus aus Balken
Die moderne Holzarchitektur profitiert von jahrhundertealtem Wissen
Mit der Öko- und Biomode sind auch Holzhäuser wieder sehr beliebt geworden. Sie rechnen sich nicht nur für die Umwelt und das Zimmererhandwerk, sondern auch für ihre Besitzer. Und sie können eine wunderbare Kombination aus Tradition und Moderne sein.
Nirgendwo in Deutschland ist die neue Liebe zum Holzhaus so stark ausgeprägt wie in Baden-Württemberg. 27,6 Prozent der Wohnhäuser und gar 36,9 Prozent der Gewerbebauten werden dort zumindest überwiegend aus dem Werkstoff Holz errichtet. Bundesweit haben Holzbauten einen Anteil von 16,2 Prozent an den Baugenehmigungen – Tendenz beständig steigend.
Das Süd-Nord-Gefälle ist erklärlich: Überall dort, wo es richtig kalt werden kann, gehören Holzhäuser zum traditionellen Siedlungsbild. Im Alpenland, aber auch im hohen Norden. Menschen bauen mit Baumstämmen, seit sie nicht mehr in Höhlen schlafen. Und sie fahren gut damit: vom gesunden Raumklima bis zu vergleichsweise geringem Aufwand für die Heizung.
„Wenn du lange leben willst“, heißt es in Schweden, „dann bau dir ein Haus aus Balken.“Häuser aus Ziegel- oder gar Betonsteinen sind in Skandinavien nur schwer verkäuflich. Alte Balkenhäuser werden dort bis heute sogar abgebaut und umgezogen. Recycling vom Feinsten oder Nachhaltigkeit, um es modisch auszudrücken.
Im 12. Jahrhundert gefällt
Zum Thema Lebensdauer: Wissenschaftler haben das Holz der Stabkirche im norwegischen Borgund untersucht und festgestellt, dass die Bäume für das Gotteshaus schon im 12. Jahrhundert nach Christus gefällt wurden. Hölzerne Bergbauernhäuser mit drei-, vierhundert Jahren auf dem Buckel finden sich nicht nur in Freilichtmuseen des Alpenlands, manche sind heute noch bewohnt.
Womit wir beim längst verschollenen Wissen wären: zum Beispiel, dass die Außenwände von Balkenhäusern so um die 14, 15 Zentimeter dick sein sollten. Ein über Jahrhunderte entstandener Kompromiss aus Materialaufwand und Wärmedämmung. Von den Alten lässt sich halt auch das Sparen lernen.
Solches Lernen gilt durchaus auch für Architekten. „Konstruktiver Bautenschutz“lautet das Schlagwort. Weit ausladende Dachüberstände schützen ein gut geplantes
Holzhaus besser als giftige Holzschutzfarben. Wenn es nicht zu viel Wasser abbekommt, entwickelt das Holz ganz von selber eine Schutzschicht in Farbnuancen zwischen Silbergrau und Rostbraun. So urig anzuschauen, dass Schalungsbretter aus Abbruchhäusern unter Liebhabern zu Mondpreisen gehandelt werden.
Im Gegensatz zu modischem Isoliermaterial wie Steinwolle oder Porenkunststoff bleibt Holz auch dann eine gute Wärmedämmung, wenn es mal nass wird. Was die Eigenschaft, Luftfeuchtigkeit zu regulieren, ideal ergänzt. Aber auch Folgen hat, mit denen moderne Bauhandwerker oft erst klarkommen müssen: Ein Balkenhaus schrumpft in den Sommermonaten, um bei feuchter Witterung wieder zu wachsen – durchaus um einige Zentimeter im Jahreslauf. Fest mit den Geschossdecken verbundene Schornsteine machen diese Bewegung ebenso wenig mit wie starr verbaute Fenster.
So wie manche Bauteile ein wenig „Luft“brauchen, müssen sich Bauherren daran gewöhnen, dass ihr Biohaus auch mal mit offenen Fugen und Ritzen aufwartet. Statt diesen Umstand zu verfluchen, lassen sich auch dieser Eigenart gute Seiten abgewinnen: Für natürliche Zwangsbelüftung ist gesorgt. Und niemand muss nachträglich Löcher in den Rahmen der teuren Super-Isolierglasfenster bohren, um dem Schimmel vorzubeugen.
Den Flammen widerstanden
Als im September 2004 zu Weimar die altehrwürdige Anna-Amalia-Bibliothek brannte, zeigte sich, dass der Baustoff Holz auch die Nerven schont: „Diese Decke hat uns gerettet“, sagte Präsident Hellmut Seemann von der Stiftung Weimarer Klassik nach dem Feuer, dem die Holzbalkendecke widerstanden hatte. Solche Bauteile entwickeln unter Hitzeeinwirkung erst mal eine
Holzkohleschicht, die den Flammen geraume Zeit Einhalt gebietet.
Holzbalken, finden selbst viele Feuerwehr-Praktiker, sind nicht so heimtückisch wie etwa Stahlträger, die erst glühen und dann blitzschnell nachgeben. Es sei heute kein Problem, die strengen Brandschutzanforderungen zu erfüllen wie sie auch für Steinhäuser gelten, sagt HolzbauProfessor Stefan Winter von der Technischen Universität in München.
Trotzdem sind die deutschen Gesetze eher übervorsichtig, wenn es um Holzbauten geht: Auch nach der überarbeiteten Bauordnung sind maximal fünf Stockwerke zulässig. Und selbst bis dahin brauchte es Druck aus der Politik. Zum Beispiel vom ehemaligen bayerischen BauStaatssekretär Alfred Sauter, der mit Macht die Idee verfolgte, den Bau von Sozialwohnungen mit dem Material Holz nicht nur preiswerter, sondern auch schneller zu machen.
Vierstöckige Mehrfamilienhäuser
Die auf Sauters Betreiben vor einem Vierteljahrhundert aus Kanada importierten vierstöckigen Mehrfamilienhäuser im Münchner Stadtteil Perlach stehen übrigens heute noch. Aber sie sind längst nicht mehr das (Höchst)maß der Dinge: In Wien wird demnächst Österreichs höchstes Holzhaus mit 24 Vollgeschossen bezugsfertig. Dagegen wirken selbst die 1300 Appartements der neungeschossigen Studenten-Wohntürme im norwegischen Trondheim eher kurz geraten. Ähnlich gewaltige Holzhäuser haben auch London, Paris und Mailand zu bieten. Allesamt Städte mit Mangel an bezahlbarem Wohnraum.
Während Metropolen wie Chicago und London bereits Holzhäuser mit 80 Stockwerken planen, betrifft der Holzhype hierzulande eher Einfamilienhäuser, möglichst ohne den Bedarf von Fremdenergie fürs Heizen und, logisch, auch noch klimaneutral. Jeder Kubikmeter Bauholz bindet eine Tonne des Treibhausgases Kohlendioxid. Da käme es nur noch darauf an, den genialen Baustoff nicht über aberwitzige Entfernungen zu transportieren. Genug davon gibt es ja auch im deutschen Wald. Jeden Tag, hat Landwirtschaftsminister Peter Hauk eben auf einer Holzbau-Tagung vorgerechnet, wächst in Baden-Württemberg Holz für 453 Einfamilienhäuser nach.
Der Wandel beginnt – wie so oft – im Kleinen. Zum Beispiel im AllgäuDorf Wildpoldsried, wo sie nicht nur im Gemeindesaal vorführen, wie sehr heimische Weißtannen ein Gebäude schmücken. Neben Grundschule, Kindergarten und Sporthalle haben sie dort sogar ein ganzes Parkhaus aus Holz gebaut. Dass Neugierige bis aus Japan anreisen, um den Ort zu besichtigen, hat zwar eher damit zu tun, dass Wildpoldsried das Siebenfache seines Energiebedarfs aus erneuerbaren Ressourcen gewinnt. Aber irgendwie passt auch der Umgang mit dem Rohstoff Holz dazu.