Schwäbische Zeitung (Tettnang)
15 000 Dieselkunden klagen gegen VW
Gericht urteilt über Schadenersatzforderungen – Neue Vorwürfe in Sachen Spritverbrauch
BRAUNSCHWEIG/RAVENSBURG Mehr als 15 000 Besitzer manipulierter Dieselfahrzeuge haben am Montag über die Internetplattform „myRight.de“eine Schadenersatzklage gegen Volkswagen eingereicht. Dafür fuhren etwa 50 Betroffene gemeinsam in einem Bus am Landgericht Braunschweig vor. Nach Angaben von „myRight.de“beläuft sich die Schadensumme auf mehr als 350 Millionen Euro, man verlange die Rückzahlung des Kaufpreises gegen die Rückgabe der Fahrzeuge.
„Deutsche Kunden sind nicht Kunden zweiter Klasse. Sie haben dieselben Rechte und Ansprüche wie US-Kunden“, sagte Christopher Rother von der US-Kanzlei Hausfeld. Das sei die Botschaft an VW, den Bund und das Land Niedersachsen. In den USA hat VW – im Gegensatz zu Europa – Milliarden ausgegeben, auch um Klagen privater Kunden in einem Vergleich abzuräumen.
Die Strategie, einzelne Ansprüche privater Kunden zu bündeln, um ihnen so mehr Schlagkraft zu verleihen, orientiert sich an den Musterverfahren im Kapitalmarktrecht. Echte „Sammelklagen“wie etwa in den USA gibt es in Deutschland jedoch nicht. Forderungen, dies auch hier einzuführen, tauchten auch im Bundestagswahlkampf auf.
Der Bundesverband der Verbraucherzentrale (vzbv) sieht das Braunschweiger Verfahren positiv. „Vom VW-Skandal betroffene Kunden verdienen eine Entschädigung und Wiedergutmachung des Schadens. Wenn sie dabei von Anwaltskanzleien unterstützt werden, ist das legitim“, meinte vzbv-Chef Klaus Müller.
Die Konstanzer Juraprofessorin Astrid Stadler bezweifelt jedoch, dass die VW-Besitzer große Chancen haben. „Anders als bei den Aktionären halte ich ihre Chance, eine Entschädigung zu bekommen, für nicht sehr groß“, sagte sie der „Schwäbischen Zeitung“. „Die VWKäufer haben grundsätzlich nur Ansprüche gegenüber ihrem Vertragspartner, also dem VW-Händler. Und diese wussten selbst nichts von der Schummel-Software und haften daher nicht auf Schadensersatz“, so die Expertin für Zivilverfahrensrecht und Rechtsvergleichung. Zudem drohten viele Fälle Ende des Jahres zu verjähren. „Ansprüche gegen die VW-Händler verjähren zwei Jahre nach Kauf.“Nach Angaben eines VW-Sprechers wurde bislang in gut 900 zivilrechtlichen Fällen entschieden – und in 70 bis 75 Prozent dieser Fälle hätten die Richter die Klage abgewiesen.
Bekannt wurde am Montag auch, dass Neuwagen in Europa laut einer neuen Studie immer noch viel mehr Sprit verbrauchen, als von den Herstellern angegeben. Demnach liegt der reale Kraftstoffverbrauch neuer Pkw im Durchschnitt um 42 Prozent höher als im Testbetrieb. Das ist das Ergebnis der Studie des International Council on Clean Transportation (ICCT). Bereits vor einem Jahr waren die Forscher in einer Untersuchung zu demselben Ergebnis gekommen – es hat also demnach keine Fortschritte gegeben. Umweltverbände reagierten mit scharfer Kritik an den Autoherstellern. Der höhere Verbrauch bedeute nicht nur eine stärkere Belastung der Umwelt etwa durch mehr CO2-Ausstoß, sondern auch Mehrkosten für die Autofahrer für Sprit von rund 400 Euro pro Jahr.
BREMEN (dpa) - Meterhohe Baugerüste stehen an den Wänden, auf dem Boden liegen Metallteile und Rohre. Ein Roboterarm steht verlassen an der Seite. Einige wenige Ingenieure basteln an der künftigen Tankreinigungsanlage oder verschwinden in einem provisorischen Zelt, aus dem dicke Schläuche nach draußen führen. Noch ist die Halle in der Nähe des Bremer Flughafens eine einzige große Baustelle. Doch ab dem Frühjahr soll hier die Oberstufe der neuen Ariane 6-Rakete entstehen – und zwar fast wie am Fließband. Für den europäischen Raketenbau eine völlig neue Herangehensweise.
„Wir entwickeln die Rakete und die Produktion zusammen. Das haben wir bisher nicht gemacht“, sagt Jens Lassmann, der den Bremer Standort des Raketenherstellers Ariane Group leitet. Das Joint Venture des europäischen Luft- und Raumfahrtkonzerns Airbus und des französischen Triebwerksherstellers Safran entwickelt die Ariane 6 im Auftrag der Europäischen Weltraumorganisation Esa. Diese investiert 2,4 Milliarden Euro in die Entwicklung, die Industrie 600 Millionen Euro. Im Juli 2020 soll die erste Rakete dieses Typs ins All starten.
Wie schon beim Vorgänger Ariane 5 entsteht die Oberstufe in Bremen, die Hauptstufe in Frankreich. Eine Computeranimation zeigt, wie es künftig in der Bremer Produktionshalle zugehen wird. Auf rollbaren Untersätzen gleiten die massigen Bauteile von Produktionsstand zu Produktionsstand, wo Roboter und Monteure diese nach und nach zusammenbauen. Ist ein Arbeitsschritt erledigt, fährt das Bauteil weiter zur nächsten Station. Dadurch sollen die Maschinen immer ausgelastet sein und mehrere Raketen gleichzeitig produziert werden können. Elf Stück sollen es jedes Jahr sein.
Die Taktfertigung ist im Automobilund Flugzeugbau Standard. Für den Raketenbau in Europa sei es ein Novum, sagt Lassmann. Die Montage der Ariane 6 soll im Vergleich zum Vorgängermodell doppelt so schnell gehen, die Kosten bei etwa der Hälfte liegen. Das soll die europäische Trägerrakete wieder wettbewerbsfähig machen. Mit dem Einstieg von privaten Unternehmen wie SpaceX ist diese stark unter Druck geraten.
Verzerrter Wettbwerb
„Die Konkurrenz ist knallhart und verzerrt“, sagt Ariane Group-Geschäftsführer Pierre Godart. Während die USA und Russland bei Raumfahrtprojekten eigene Unternehmen bevorzugten, schreibe Europa diese öffentlich aus. Godart warnt davor, dass Europa auf diese Weise langfristig aus dem Raketenmarkt gedrängt werden könnte. Er fordert, dass sich europäische Institutionen verpflichten sollten, jährlich fünf Ariane-Raketen abzunehmen.
Eine ähnliche Position vertritt der Bundesverband der Deutschen Luftund Raumfahrtindustrie. „Wir sprechen nicht von Abschottung, sondern wir fordern gleiche Bedingungen für alle in einem freien Wettbewerb – und davon sind wir leider gegenwärtig weit entfernt“, sagte Sprecherin Cornelia von Ammon. Europa sollte daher seine staatlichen Satelliten nur mit der Ariane in den Weltraum transportieren.
Größter potenzieller Kunde in Europa ist die EU-Kommission. Diese will in den nächsten zehn bis 15 Jahren 30 Satelliten für das Navigationssystem Galileo und das Erdbeobachtungsprogramm Copernicus ins All schießen – vor allem mit den künftigen europäischen Trägerraketen Ariane 6 und der kleineren Vega C, so die Sprecherin für Industriepolitik, Lucia Caudet. Auch sie sieht einen steigenden Wettbewerb durch Hersteller aus Drittländern, die dank staatlicher Unterstützung ihre Raketen zu günstigeren Preisen anbieten. Trotzdem: Eine öffentliche Ausschreibung bei Raumfahrtprojekten ist in der EU verpflichtend. Ausnahmen aus Sicherheitsgründen sind zulässig. Darunter fielen auch die Galileo-Satelliten, erläutert Caudet.
Deshalb soll die Ariane 6 diese auch bei ihrem Jungfernflug ins All transportieren. „Die EU ist der erste Kunde, der die neue Ariane 6 nutzt“, sagt Caudet. Dies sei ein politisches Signal und auch ein wichtiger Schritt für die EU, um sich einen autonomen Zugang zum All zu sichern.