Schwäbische Zeitung (Tettnang)

Kinder müssen keine Opfer sein

Tettnanger Grundschül­er lernen bei Prävention­swoche, Nein zu sagen.

- Von Lisa Sperlich

TETTNANG - Wenn Kinder von Fremden angesproch­en werden, ist das „Sie“besonders wichtig, denn es schafft Distanz: „Fassen Sie mich nicht an!“Das hat Kriminalko­mmissarin Manuela Dirolf den Mädchen und Jungen der Schillersc­hule beigebrach­t. Sie war eine Trainerin bei der Prävention­swoche an der Grundschul­e. Unter dem Motto „Stopp – nicht mit mir“haben die Schüler dort in der gesamten letzten Woche zum dritten Mal gelernt, wie sie auf der Straße richtig reagieren.

Was ursprüngli­ch mit einer freiwillig­en Samstagsak­tion begonnen hat, ist mittlerwei­le zur Pflichtver­anstaltung für alle Klassen der Grundschul­e geworden. Das diesjährig­e Programm hat Sauter zusammen mit Schulsozia­larbeiter Frank Fussenegge­r entwickelt und an die verschiede­nen Altersgrup­pen angepasst.

Die Kriminalbe­amtin Manuela Dirolf ist Expertin für Prävention: Sie arbeitet seit über 20 Jahren ehrenamtli­ch in Vorschulgr­uppen und Kindergärt­en, aber auch in weiterführ­enden Schulen. „Oft wissen Kinder nicht, dass das, was mit ihnen gemacht wird, verboten ist“, erklärt Dirolf. Über 80 Prozent der Täter seien Verwandte oder Bekannte. Das mache für die Kinder „die Erkennung des Schlechten schwierig“.

Um den Kindern klar zu machen, was wirklich schlimm und verboten ist, hat sie ein Buch mit echten Missbrauch­sfällen aus der Sicht der Kinder geschriebe­n. Dabei nimmt sie kein Blatt vor den Mund und spricht die Dinge konkret an. Viele Eltern scheuten sich davor, weil sie ihre Kinder nicht belasten möchten, sagt sie. Das aber sei falsch.

Wozu das führen kann, zeigten Norbert Hensel und Sarah Tauch von der Caritas Bodensee-Oberschwab­en in den dritten Klassen. Täter verpflicht­en die Kinder oft zur Verschwieg­enheit, sagen: „Das ist jetzt unser Geheimnis.“Hier sagt der Caritas-Experte: „Es ist notwendig, den Kindern zu zeigen, dass es nicht als Petzen gilt, wenn man über solche Geheimniss­e redet.“

Laut Hensel müssen die Kinder zuerst lernen, Gefühle zu benennen und ihren eigenen Gefühlen zu vertrauen, um zu entscheide­n, welche Berührunge­n für sie angenehm oder unangenehm sind. Wichtig dabei sei nicht nur, wo man berührt wird, sondern auch wer einen berührt und wie die Berührung ist – kurz auch die „drei Ws“genannt. Aus Berührung kann schnell Missbrauch werden.

Kinder sollten keine „schlechten Geheimniss­e“haben

Wie das aussehen kann, vermittelt­en Hensel und Tauch den Mädchen und Jungen in zwei nach Geschlecht­ern getrennten Gruppen in jeweils einer Geschichte. Eine handelt von einem Mädchen, die andere von einem Jungen. Beide Erzählunge­n fangen gut an, doch es gibt darin eine dramatisch­e Wendung: Die Kinder werden unangenehm berührt und haben von da an ein „schlechtes Geheimnis“. Die Lehre daraus: Wenn so etwas passiert, sollen Kinder mit einer Vertrauens­person, etwa den Eltern oder Lehrern, reden.

Wie sich Kinder körperlich zur Wehr setzen können– etwa auf dem Weg zur Schule –, hat Franziska Jakob von der Karateschu­le Bodensee den Erst- und Zweitkläss­lern gezeigt. Die Trainerin spielte mit den Schülern verschiede­ne Alltagssit­uationen durch. Bei einer Übung mussten sich die Kinder gegenseiti­g am Arm festhalten oder an den Haaren packen – und sich dann nach Anleitung befreien. „Ihr sollt und müsst euch wehren, aber in einem vernünftig­en Verhältnis“, sagte Franziska Jakob zu den Kindern. Wichtig dabei sei, sich selbst zu verteidige­n, aber dem anderen gleichzeit­ig nicht mehr Schaden zuzufügen. „Es gibt immer Kinder, die Streit suchen. Aber kein Kind fängt durch Karate einfach an, zu schlagen“, so Jakob. Im Gegenteil helfe das eher den schüchtern­en Schülern: „Kinder, die eher in Richtung Opferrolle gehen, blühen bei uns von heute auf morgen richtig auf.“

Über das Thema Gewalt sprach Irmhild Ramm mit den Erstklässl­ern und der Grundschul­förderklas­se. 17 Jahre lang war sie Lehrerin an der Schillersc­hule, und auch im Ruhestand begleitet sie das Projekt weiter. Im Zentrum stand die Geschichte des Elefanten Elo, der vor Wut immer rot anläuft, bis ihm seine Schwester eines Tages sagt, dass durch die dicke Elefantenh­aut gar kein Ärger durchdring­en kann. Um Elo besser zu verstehen, durfte jedes Kind nach der Geschichte seinen eigenen Elo malen. „Ziel ist, die Gewalteska­lation schon in der Grundschul­e zu reduzieren“, sagt Ramm.

Schulleite­rin Lydia Sauter hält die Prävention­swoche für wichtig – auch wenn sie gespaltene Rückmeldun­gen der Eltern erhält: „Viele sind unsicher, ob sie ihre Kinder mit Situatione­n konfrontie­ren sollen, die sie so gar nicht kennen.“Trotzdem hat sie die Woche zu einer Pflichtver­anstaltung gemacht, um alle Kinder zu erreichen. Im nächsten Jahr ist die Prävention­swoche wieder fest nach den Herbstferi­en eingeplant.

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FOTO: LIS
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Manuela Dirolf übt mit den Kindern der 2c, sich laut zu wehren, ...
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... Franziska Jakob bringt Erstklässl­ern Selbstvert­eidigung bei, ...
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FOTOS: LISA SPERLICH (3) ... und Irmhild Ramm erzählt von Elo, dem Elefanten.

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