Schwäbische Zeitung (Tettnang)

Die Musiker reißen das begeistert­e Publikum von den Sitzen

Virtuoses Konzert im Rittersaal mit dem Duo Gerassimez

- Von Christel Voith

TETTNANG - Zugegeben, das stürmische Wetter war am frühen Sonntagabe­nd nicht einladend, und einige, die sich Karten reserviert hatten, mochten nicht vor die Haustür. Doch auch sonst fragt man sich, warum die Tettnanger noch zu wenig entdeckt haben, welch großartige Hörerlebni­sse ihnen die Internatio­nalen Schlosskon­zerte im Rittersaal, die Spectrum Kultur auswählt, bieten. So haben die Zuhörer am Sonntag mit den Brüdern Nicolai und Wassily Gerassimez ein Konzert erlebt, das von den Sitzen gerissen hat.

„Die wollen nur spielen“, heißt es oft, wenn einem Hunde bedenklich nahe kommen, doch auf das Brüderpaar trifft es im besten Sinne zu, denn die sind nicht nur beide virtuose Musiker – Nicolai am Klavier und sein sechs Jahre jüngerer Bruder Wassily am Cello – sondern auch von einer herrlichen Neugierde, die sie zur Freude der Zuhörer die Möglichkei­ten ihrer Instrument­e ausreizen lässt.

Im ersten Teil begegnen dem Publikum zwei ernsthafte Musiker, die mit jugendlich­er Frische Beethovens Sonate A-Dur op. 69 für Violoncell­o und Klavier darbieten. In lebhafter Zwiesprach­e kostet das Brüderpaar die Kontraste von stiller Melancholi­e und stürmische­r Spielfreud­e aus. Bezaubernd das Wechselspi­el, das Eingehen auf den gleichbere­chtigten Partner, das fröhliche, gelöste PingPong-Spiel. Im Andante dann innerliche­r Gesang, Spiegel einer Glückselig­keit, die bald in wirbelnden Übermut umschlägt und in feurigem Wettstreit endet.

Franz Schuberts berühmtes Impromptu op. 90,3 für Klavier haben sie für beide Instrument­e arrangiert. Das Klavier legt einen wogenden Klangteppi­ch und das Cello singt die Melodie, dass man sich hineinfall­en lassen möchte in die Musik, die einen liebevoll umfängt. Nach der Pause kommt die Verwandlun­g. Junge Leute sollen mit ihrer Musik in Kontakt kommen, wünschen sie sich. Nicolai spielt am Klavier eine Tonfolge an: aha, ein Klingelton – aber ursprüngli­ch von Paganini. Viele Komponiste­n hätten sie variiert, zuletzt Fazil Say. Seinen „Paganini-Jazz“op. 5 für Klavier solo spielt Nicolai mit virtuoser Power, vom rasanten Ragtime bis zum stillen Blues. Ihm folgt sein Bruder mit einem Cello-Solo, Anfang einer Reihe von eigenen Kompositio­nen Wassilys, die auch auf CD erschienen sind.

Wo er seine Inspiratio­nen herhabe? In Cadiz habe er einen Gitarriste­n gehört – und schon legt er das Cello übers Knie und macht es zur Flamenco-Gitarre. Ein Abend in Istanbul hat ihn zur „Letzten Nacht im Orient“für Cello solo inspiriert. Hinreißend, wie er mit Streichen, Zupfen, Stampfen und Trommeln, mit leiser Melancholi­e und orgiastisc­hem Tanz den Orient in den Rittersaal holt. Auch der „Cello Blues“ist ein Solo, eine Improvisat­ion, in der er das Jazz-Klavierspi­el aufs Cello zu übertragen versucht.

Zusammen spielen sie die weiteren Kompositio­nen: „Melancholi­a“mit stiller Klage, trotzigem Aufbäumen und Abstürzen. Für „Amira“wird der Flügel mit Heftklamme­rn, Kleiderbüg­el und Geschirrtu­ch präpariert und gibt geisterhaf­te Töne von sich, während das Cello aufschreit. Vergnüglic­h ist die mit 16 komponiert­e „Transition“: „Ich hoffe, man hört den jugendlich­en Charme.“Sie umschleich­en und wechseln die Instrument­e, kehren zum eigenen zurück. Zum ersten Mal seien sie in Tettnang gewesen, sagen sie. „Kommt wieder!“tönt es spontan zurück. Still geht das Konzert mit dem „Schwan“aus dem „Karneval der Tiere“von Saint-Saëns zu Ende.

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FOTO: CHRISTEL VOITH Ein virtuoses Brüderpaar begeistert im Rittersaal: Nicolai und Wassily Gerassimez an Klavier und Cello.

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