Schwäbische Zeitung (Tettnang)
Die Musiker reißen das begeisterte Publikum von den Sitzen
Virtuoses Konzert im Rittersaal mit dem Duo Gerassimez
TETTNANG - Zugegeben, das stürmische Wetter war am frühen Sonntagabend nicht einladend, und einige, die sich Karten reserviert hatten, mochten nicht vor die Haustür. Doch auch sonst fragt man sich, warum die Tettnanger noch zu wenig entdeckt haben, welch großartige Hörerlebnisse ihnen die Internationalen Schlosskonzerte im Rittersaal, die Spectrum Kultur auswählt, bieten. So haben die Zuhörer am Sonntag mit den Brüdern Nicolai und Wassily Gerassimez ein Konzert erlebt, das von den Sitzen gerissen hat.
„Die wollen nur spielen“, heißt es oft, wenn einem Hunde bedenklich nahe kommen, doch auf das Brüderpaar trifft es im besten Sinne zu, denn die sind nicht nur beide virtuose Musiker – Nicolai am Klavier und sein sechs Jahre jüngerer Bruder Wassily am Cello – sondern auch von einer herrlichen Neugierde, die sie zur Freude der Zuhörer die Möglichkeiten ihrer Instrumente ausreizen lässt.
Im ersten Teil begegnen dem Publikum zwei ernsthafte Musiker, die mit jugendlicher Frische Beethovens Sonate A-Dur op. 69 für Violoncello und Klavier darbieten. In lebhafter Zwiesprache kostet das Brüderpaar die Kontraste von stiller Melancholie und stürmischer Spielfreude aus. Bezaubernd das Wechselspiel, das Eingehen auf den gleichberechtigten Partner, das fröhliche, gelöste PingPong-Spiel. Im Andante dann innerlicher Gesang, Spiegel einer Glückseligkeit, die bald in wirbelnden Übermut umschlägt und in feurigem Wettstreit endet.
Franz Schuberts berühmtes Impromptu op. 90,3 für Klavier haben sie für beide Instrumente arrangiert. Das Klavier legt einen wogenden Klangteppich und das Cello singt die Melodie, dass man sich hineinfallen lassen möchte in die Musik, die einen liebevoll umfängt. Nach der Pause kommt die Verwandlung. Junge Leute sollen mit ihrer Musik in Kontakt kommen, wünschen sie sich. Nicolai spielt am Klavier eine Tonfolge an: aha, ein Klingelton – aber ursprünglich von Paganini. Viele Komponisten hätten sie variiert, zuletzt Fazil Say. Seinen „Paganini-Jazz“op. 5 für Klavier solo spielt Nicolai mit virtuoser Power, vom rasanten Ragtime bis zum stillen Blues. Ihm folgt sein Bruder mit einem Cello-Solo, Anfang einer Reihe von eigenen Kompositionen Wassilys, die auch auf CD erschienen sind.
Wo er seine Inspirationen herhabe? In Cadiz habe er einen Gitarristen gehört – und schon legt er das Cello übers Knie und macht es zur Flamenco-Gitarre. Ein Abend in Istanbul hat ihn zur „Letzten Nacht im Orient“für Cello solo inspiriert. Hinreißend, wie er mit Streichen, Zupfen, Stampfen und Trommeln, mit leiser Melancholie und orgiastischem Tanz den Orient in den Rittersaal holt. Auch der „Cello Blues“ist ein Solo, eine Improvisation, in der er das Jazz-Klavierspiel aufs Cello zu übertragen versucht.
Zusammen spielen sie die weiteren Kompositionen: „Melancholia“mit stiller Klage, trotzigem Aufbäumen und Abstürzen. Für „Amira“wird der Flügel mit Heftklammern, Kleiderbügel und Geschirrtuch präpariert und gibt geisterhafte Töne von sich, während das Cello aufschreit. Vergnüglich ist die mit 16 komponierte „Transition“: „Ich hoffe, man hört den jugendlichen Charme.“Sie umschleichen und wechseln die Instrumente, kehren zum eigenen zurück. Zum ersten Mal seien sie in Tettnang gewesen, sagen sie. „Kommt wieder!“tönt es spontan zurück. Still geht das Konzert mit dem „Schwan“aus dem „Karneval der Tiere“von Saint-Saëns zu Ende.