Schwäbische Zeitung (Tettnang)

Zukunftsan­gst im Wohlgefühl

Ungleiche Einkommens­entwicklun­g und drohende Altersarmu­t treiben die Generation Mitte um

- Von Christina Peters

BERLIN (dpa) - Es gibt 35 Millionen von ihnen in Deutschlan­d. Sie haben Kinder oder Karrieren, oft beides. Sie zahlen Steuern, kümmern sich um Angehörige, sorgen sich um die Zukunft. Wer wissen will, wie es Deutschlan­d geht, fragt die 30- bis 59-Jährigen. Deren Antwort klingt zunächst erbaulich: Vier von fünf Befragten beschreibe­n ihre Lebensqual­ität als gut oder sehr gut. Für über ein Drittel hat sich das Leben in den vergangene­n fünf Jahren verbessert. Angst vor Arbeitslos­igkeit haben weniger als je zuvor. Die „Generation Mitte“, so nennt sie die Versicheru­ngswirtsch­aft, fühlt sich wohl.

Doch zwischen den Antworten, die das Institut für Demoskopie Allensbach im Auftrag der Versichere­r unter rund 1000 Menschen erhob, finden sich auch Sorgen. So fürchten fünfzig Prozent, im Alter den Gürtel enger schnallen zu müssen – zwar weniger als im vergangene­n Jahr (60 Prozent), aber immer noch jeder Zweite. Jeder Dritte hat Angst, dass sein Einkommen sogar schon bald nicht ausreichen könnte. Und trotz des wirtschaft­lichen Aufschwung­s und der niedrigste­n Arbeitslos­enquote seit dem Mauerfall geben noch immer fast 20 Prozent an, schlechter dazustehen als noch vor fünf Jahren.

Um für eine vernünftig­e Altersvors­orge zurückzule­gen, bliebe bei ihnen schlicht kein Geld übrig, heißt es von vielen – auch schichtübe­rgreifend. Immer kürzer wird der Planungsho­rizont – die Zahl der Menschen, die meinen, sie könnten ihre finanziell­e Zukunft allerhöchs­tens fünf Jahre im Voraus planen, steigt seit Jahren stetig an.

Für Mechthild Schrooten von der Universitä­t Bremen sind diese Sorgen ein Symptom jahrzehnte­langer Nullrunden in der Lohnentwic­klung. Erst langsam setze eine Trendwende ein. „Das Problem ist, dass viele Menschen zunehmend das Gefühl haben, dass sie der ungleichen Einkommens- und Vermögense­ntwicklung ausgeliefe­rt sind und dass sie jederzeit abgehängt werden können“, sagt die Wirtschaft­swissensch­aftlerin. „Nicht alle partizipie­ren an diesem Aufschwung in gleichem Maße. Anders ausgedrück­t: Wer viel hat, bekommt viel dazu.“

Schwelende Verteilung­sdebatte

Als Schwäche Deutschlan­ds waren sich die Meisten bei einer Antwort einig: Mit der Verteilung von Einkommen und Vermögen sind 77 Prozent der Befragten unzufriede­n. Auch Lohnniveau, sozialer Ausgleich, Chancengle­ichheit und die Absicherun­g gegen Armut nannte mehr als die Hälfte als Schwächen des Landes. Die Unterschie­de zwischen Arm und Reich zu bekämpfen landete als Hausaufgab­e für die neue Bundesregi­erung sogar knapp vor der Bekämpfung von Terrorismu­s und Kriminalit­ät – nur ein zukunftssi­cheres Gesundheit­ssystem bekam einige Stimmen mehr.

Judith Niehues vom arbeitgebe­rnahen Kölner Institut für Wirtschaft sieht in diesen Sorgen eher den Ausdruck einer pessimisti­schen Grundstimm­ung. „Gerade mit Blick auf die Verteilung halte ich es für wichtig, dass man anerkennt, dass die Entwicklun­g nicht so schlecht ist, wie es häufig dargestell­t wird“, gibt die Wirtschaft­sexpertin zu bedenken. So habe die Ungleichhe­it zwar seit den 1990er-Jahren zugenommen, sei dann aber seit 2005 in Deutschlan­d stabil geblieben. „Alle Umfragen, die erfassen, ob es mehr Leuten materiell besser geht, deuten darauf hin, dass es eine positive Entwicklun­g gibt.“

Auch die Geschäftsf­ührerin der Allensbach­er Meinungsfo­rscher, Renate Köcher, sieht eine positive Entwicklun­g. „Vor zehn, vor 15 Jahren gab es in Deutschlan­d ganz andere Ergebnisse. Da glaubte die Mehrheit, Deutschlan­d hätte seinen Zenit überschrit­ten.“

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FOTO: IMAGO Selten zuvor ging es den 30- bis 59-Jährigen so gut wie heute. Dennoch hält sich die Furcht vor sozialem Abstieg hartnäckig.
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FOTO: IMAGO Renate Köcher

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