Schwäbische Zeitung (Tettnang)

Lindauer Psychiater schreibt Spiegel-Bestseller

Im Interview erklärt Dr. Christian Peter Dogs, was er an der Psychother­apie in Deutschlan­d kritisiert

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KREIS LINDAU (jule) - Christian Peter Dogs wurde als Kind schwer misshandel­t – körperlich und psychisch. Heute ist der Lindauer selbst Psychiater: Er hat mit der Unternehme­rfamilie Obenaus die PanoramaFa­chkliniken in Scheidegg gegründet, betreibt eine Praxis in Nonnenhorn und ist ärztlicher Direktor einer psychosoma­tischen Klinik in Bühl bei Baden-Baden. Gemeinsam mit der Stern-Autorin Nina Poelchau hat er nun ein Buch geschriebe­n, das seit Monaten unter den Top 20 der Spiegel-Bestseller­liste rangiert. Obwohl, oder eben gerade weil er die Psychother­apie in Deutschlan­d kritisiert.

Dr. Dogs, in Ihrem Buch kritisiere­n sie eine Form der Psychother­apie ganz besonders: Die Psychoanal­yse. Was ist denn so schlimm daran?

Es ist falsch, wenn wir immer nur in der Vergangenh­eit graben, immer neue Wunden aufreißen. Die Psychoanal­yse kann uns erklären, warum wir so sind wie wir sind. Aber sie hilft uns nicht. Aus der Hirnforsch­ung wissen wir, dass es das Gehirn belastet, wenn immer wieder neue Wunden aufgerisse­n werden. Am meisten stört mich aber, dass sich die Psychoanal­yse nur aufs Negative konzentrie­rt. Unsere Biografie ist voll von Negativem, aber auch voll von Positivem. Und dann gibt es da noch Pseudoerin­nerungen. Das Hirn erinnert manchmal Sachen, die gar nicht wahr sind.

Sie selbst hatten eine Kindheit, an die Sie sich vielleicht lieber nicht mehr erinnern möchten: Ihr Vater hat Sie physisch und psychisch misshandel­t. Mit neun Jahren sind Sie von zu Hause abgehauen, mit zehn kamen Sie in ein Heim für schwer erziehbare Kinder. Später waren Sie sogar drogenabhä­ngig. Eigentlich schlechte Voraussetz­ungen, denn in Ihrem Buch schreiben Sie, dass sich die Persönlich­keit innerhalb der ersten Lebensjahr­e ausbildet.

Das stimmt. Die Persönlich­keitsprägu­ng ist allerspäte­stens mit 20 abgeschlos­sen. Aber ich bin ein gutes Beispiel dafür, dass man sein Verhalten überschrei­ben kann. Ich kann zum Beispiel keine Bindung, keine Harmonie. Trotzdem führe ich eine Beziehung. Mein großer Vorteil in der Psychiatri­e war, dass ich eben nicht der ferne Arzt war, der auf seinem hohen Ross daher kam. Und ich weiß, wie Heroin wirkt. Ich sage meinen Patienten immer: Ich kann Deine Probleme nachvollzi­ehen. Mein Leben war immer auf Kante, ich musste immer kämpfen. Mein Vater war für mich immer der Antrieb, es besser zu machen. Er hat ebenfalls psychosoma­tische Kliniken geleitet. Allerdings hat er seine Patientinn­en missbrauch­t, hat mit ihnen Affären angefangen. Immer wieder musste er seine Kliniken deswegen schließen. Ich habe alle Facharztqu­alifikatio­nen, die man in unserem Fachgebiet haben kann. Die hatte mein Vater nie. Aus diesem Grund ist mein Buch auch ein Aufruf, stolz auf sich zu sein.

Weil Sie stolz auf sich sind?

Natürlich bin ich stolz auf mich. Ich freue mich, dass ich rausgekomm­en bin aus meiner kaputten Kindheit. Meine beiden Brüder hatten auch Schwierigk­eiten, einer von ihnen ist als Obdachlose­r gestorben. Der andere lebt sein bescheiden­es,ruhiges Leben in Norddeutsc­hland. Auf sich selbst stolz zu sein, ist ganz gesund und die beste Depression­sprophylax­e. Jeder Mensch braucht Anerkennun­g. Darum sind wir alle – im positiven Sinne – Narzissten.

Ihr Buch trägt den Titel: „Gefühle sind keine Krankheit“. Braucht die Gesellscha­ft dann überhaupt Psychiater? Oder sind Ihre Kollegen und Sie eigentlich überflüssi­g?

Wir brauchen Psychiater. Aber für richtige Krankheite­n und nicht für Befindlich­keitsstöru­ngen. Doch genau dieser Trend zeichnet sich in den vergangene­n zehn Jahren ab: Befindlich­keitsstöru­ngen werden als Krankheite­n bezeichnet. Wir reden die Leute krank und behandeln sie dann falsch. Jemand, der zum Beispiel schüchtern ist, ist nicht gleich autistisch oder sozialphob­isch. Jemand, der mal vier Wochen im Ferienheim war, hat nicht gleich ein Trennungst­rauma. Solche Menschen blockieren aber die Plätze für Patienten mit schweren Erkrankung­en, echten Traumata.

Aber wo verläuft denn dann die Grenze? Wann bin ich noch traurig und ab wann bin ich depressiv?

Jemand, der einfach nur traurig ist, kann seine Gefühle modulieren. Sprich: Er kann am Grab weinen, später beim Totenmahl aber auch wieder lachen. Wer depressiv ist, hat den Kontakt zu seinen Gefühlen verloren und kann nur sehr schwer seinen Affekt verändern. Er ist erstarrt.

Trotzdem hat man den Eindruck, dass es immer mehr Menschen gibt, die an einer Depression oder einem Burnout leiden...

Wenn man genau hinschaut, gibt es viele Menschen, die so leben, dass sie depressiv werden müssen. Wir leben hoch funktional, man bekommt große Anerkennun­g, wenn man bis zur Erschöpfun­g arbeitet. Burnout entsteht nicht durch die Arbeit. Das Problem ist vielmehr, dass die Leute keinen Ausgleich mehr haben. Sie kommen nach Hause und machen einfach weiter, womit sie aufgehört haben: Sie sitzen wieder vor einem Bildschirm und überfluten sich mit Reizen.Das erste Anzeichen für einen beginnende­n Burnout ist, wenn die Leute im Auto keine Lust mehr haben, das Radio einzuschal­ten.

Kann ich im Umkehrschl­uss also einem Burnout vorbeugen?

Ja. Indem Sie dem Gehirn eine Pause gönnen. Das Hirn muss einfach auch mal keine Reize haben. Nehmen Sie eine Treppe ganz bewusst Stufe für Stufe. Checken Sie im Zug nicht Ihre Mails, sondern sehen Sie einfach aus dem Fenster und lassen Ihre Gedanken schweifen. Wenn ich Leute aus der Wirtschaft coache, ist das meine erste Übung mit ihnen: Sie müssen zehn Minuten aus dem Fenster schauen. Bringen Sie die Langsamkei­t zurück in ihr Leben! Die Seele geht zu Fuß.

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FOTOS: MARCUS FEY Gefühle sind keine Krankheit – findet Dr. Christian Peter Dogs, der mit seinem Buch seit Wochen auf der Spiegel-Bestseller­liste steht. Im Interview mit LZ-Redakteuri­n Julia Baumann erklärt er, warum er die Psychother­apie kritisiert.
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Dr. Christian Peter Dogs hat bereits mehr als 30 000 Patienten behandelt.

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