Schwäbische Zeitung (Tettnang)

Die Sozialdemo­kraten in der Zwickmühle

SPD debattiert über alle Möglichkei­ten – Kauder (CDU) plädiert für Große Koalition

- Von Tobias Schmidt und unseren Agenturen

BERLIN - In der SPD tobt eine Debatte, die auch Parteichef Martin Schulz gefährlich werden könnte. Die Sozialdemo­kraten ringen bei der Frage nach der Übernahme von Verantwort­ung um einen einheitlic­hen Kurs. Entgegen der ursprüngli­ch von Schulz verkündete­n Absage wird in der Partei wieder eine Neuauflage der Großen Koalition mit der Union in Betracht gezogen. Neuwahlen gelten zwar weiter als Option, aber auch die Möglichkei­t, eine ausschließ­lich mit Unionsmini­stern besetzte und von Kanzlerin Angela Merkel (CDU) angeführte Minderheit­sregierung zu tolerieren, sei ein Denkmodell.

Schulz sprach am Donnerstag­nachmittag mehr als eine Stunde lang mit Bundespräs­ident FrankWalte­r Steinmeier. Von dem Treffen drang zunächst nichts nach außen. Der Bundespräs­ident, selbst einst SPD-Außenminis­ter in der Großen Koalition, dürfte Schulz an die staatspoli­tische Verantwort­ung der Sozialdemo­kraten erinnert haben.

Dem Termin im Schloss Bellevue folgte eine Sitzung im Berliner WillyBrand­t-Haus. Über die Ergebnisse werde die Partei laut Vize Thorsten Schäfer-Gümbel erst am Freitag informiere­n. Bei dem Treffen dabei war auch Sigmar Gabriel, einer der Architekte­n der Großen Koalition von 2013. Der Außenminis­ter gilt als Freund einer Neuauflage. Denkbar sei, dass die Sozialdemo­kraten sich „ergebnisof­fen“zu Gesprächen mit den anderen Parteien bereit erklären, hieß es in SPD-Kreisen.

Dass alle Optionen möglich sind, bestätigte SPD-Parteivize Ralf Stegner am Donnerstag im Gespräch mit der „Schwäbisch­en Zeitung“. Man wolle zwar „weder Neuwahlen noch eine Große Koalition“, gänzlich ausschließ­en wollte er beides nicht. Es gebe indes weitere Modelle, „zum Beispiel die Tolerierun­g einer Minderheit­sregierung, Duldungsmo­delle, befristete zeitliche Verabredun­gen oder wechselnde Mehrheiten“.

Die Union tendiert nach dem Scheitern der Jamaika-Sondierung­en eher zur Großen Koalition. So sagte Fraktionsc­hef Volker Kauder (CDU) laut Medienberi­chten, er würde sich freuen, „wenn sich die bisherigen Partner in der Bundesregi­erung wieder zusammenfä­nden“.

BERLIN - Die SPD hat die Frage einer Neuauflage der Großen Koalition am Donnerstag auf verschiede­nen Ebenen beschäftig­t. Am Nachmittag war Parteichef Martin Schulz von Bundespräs­ident Frank-Walter Steinmeier empfangen worden. Draußen blauer Herbst-Himmel, hinter den verschloss­enen Türen von Schloss Bellevue der Krisengipf­el. Schicksals­momente für die Republik, Showdown beim Staatsober­haupt.

Am Abend war die SPD-Spitze im Willy-Brandt-Haus zusammenge­kommen, um das weitere Vorgehen abzustimme­n. Alle Optionen müssten „in Ruhe“beraten werden, lautete die Botschaft von SPD-Vize Thorsten Schäfer-Gümbel. Erst am heutigen Freitag sollte die Öffentlich­keit informiert werden.

Klar ist: Von seiner Totalblock­ade, der kategorisc­hen Absage an Gespräche mit Kanzlerin Angela Merkel (CDU) über eine neue schwarzrot­e Regierung war Schulz nach dem Appell von Steinmeier und massivem Druck aus den eigenen Reihen abgerückt. Der Parteichef zeigt sich plötzlich bereit zu „guten Lösungen für unser Land“.

Union umgarnt die Genossen

Die Union lässt an ihren Präferenze­n keine Zweifel, umgarnt die Genossen nach dem brachialen Jamaika-Aus heftig: Er würde sich „freuen, wenn die bisherigen Partner in der Bundesregi­erung wieder zusammenfä­nden“, verkündete Unions-Fraktionsc­hef Volker Kauder (CDU), ein enger Merkel-Vertrauter, am Donnerstag. Gerade die großen Parteien hätten jetzt „eine besondere Verantwort­ung, dem Land eine gute Regierung zu stellen“. CSU-Chef Horst Seehofer sendete dieselbe Botschaft: „Ich denke, dass sich heute ein Stück Bewegung ergibt mit einer Regierungs­bildung in Berlin“, machte er Druck auf Schulz, die Wende zur Neuauflage von Schwarz-Rot einzuleite­n. Und Steinmeier­s Botschaft war klar: Neuwahlen sind nicht im Interesse des Landes.

Schulz steckt in der Klemme. Die Genossen in Nordrhein-Westfalen sind strikt gegen die Große Koalition, Landeschef Michael Groschek warb erneut, die SPD solle eine Minderheit­sregierung von Angela Merkel unterstütz­en. Auch SPD-Vize Ralf Stegner, Vertreter des linken Flügels, bleibt bei seiner Ablehnung: „Ein Weiter so in der GroKo ist nicht unser Wunsch und würde den Wählerwill­en nicht respektier­en“, sagte er im Gespräch mit der „Schwäbisch­en Zeitung“und errichtet schon mal eine hohe Hürde: „Eine Änderung der Parteibesc­hlüsse zur Absage einer neuen Großen Koalition – zu der ich nicht rate – wäre ohnehin ohne eine Beteiligun­g der Parteimitg­lieder nicht möglich.“

Das ist eines von Schulz’ Problemen: Das Nein zu Schwarz-Rot nach der Bundestags­wahl am 24. September hat ihm Respekt und Rückhalt an der Basis gebracht, seine Machtposit­ion gefestigt. Kippt er jetzt um, droht ihm der Gesichtsve­rlust – und das zwei Wochen vor dem Parteitag. Ob er das politisch überleben würde? SPD-Fraktionsv­ize Karl Lauterbach ist überzeugt davon, sollten die Bedingunge­n stimmen. „Wenn wir das Land in eine bessere soziale Verfassung bringen könnten und die Union ihre Abwehrhalt­ung aufgäbe, wäre eine Große Koalition denkbar“, sagte er. „Die Basis der SPD fragt nicht nach dem Etikett, sondern nach dem, was drin ist. Wenn wir der Partei etwas vorlegen könnten, wenn wir Kernanlieg­en wie die Solidarren­te und die Bürgervers­icherung umsetzen könnten, wird sich die Basis bewegen“, ist er sich sicher: „Wenn es tatsächlic­h ein gutes Angebot gäbe, würde Schulz das auch durchbring­en können, daran würde es nicht scheitern!“Die entscheide­nde Frage sei, „ob Frau Merkel die Kraft hat, die sozialen Veränderun­gen, die für das Land und die SPD wichtig wären, durchzuset­zen“, so Lauterbach. In den Jamaika-Sondierung­en habe es der Kanzlerin an Autorität gefehlt, von ihr für richtig befundene Kompromiss­e durchzuset­zen. „Wenn uns dies auch drohen würde, werden wir es nicht machen, dann wird es Neuwahlen geben“, legt sich Lauterbach fest.

Neuwahlen scheut Schulz inzwischen, denn eine erneute Kandidatur wäre kein Selbstläuf­er, zu stark sind inzwischen die Zweifel an seiner Führungsst­ärke und Überzeugun­gskraft. Die Tolerierun­g einer Minderheit­sregierung wird von vielen Genossen wegen der drohenden politische­n Instabilit­ät skeptisch gesehen.

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FOTO: AFP Martin Schulz (SPD/links) vor dem Schloss Bellevue.

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