Schwäbische Zeitung (Tettnang)

Quasselstr­ippe

Der frühere „Disco“Moderator Ilja Richter wird 65

- Von Nada Weigelt

BERLIN (dpa) - Es gibt heiße Schokolade, Wasser mit einem Pfeffermin­zblatt und leisen Jazz. Ilja Richter trifft sich gern in seinem Stammcafé „Mon Plaisir“, direkt bei ihm um die Ecke im Berliner Stadtteil Prenzlauer Berg. Kurze graue Haare, lässiges Wolljacket­t. Nichts erinnert an den hyperaktiv­en schwarzen Pilzkopf im Sonntagsan­zug, der in den 70er-Jahren mit seiner ZDF-Sendung „Disco“Fernsehges­chichte schrieb. „Licht aus! Spot an!“– die Eröffnungs­floskel wurde für eine ganze Teenagerge­neration zum geflügelte­n Begriff.

Ilja Richter findet es langweilig, darüber zu reden. Genauso, wie er über seinen 65. Geburtstag eigentlich nicht sprechen mag. „Geburtstag ist ja keine Kunst, das hat jeder“, sagt er knapp. Und: „Ich mag keine nostalgisc­hen Fragen. Ich mache da nicht mehr mit, weil das nicht meine Zeit ist. Jetzt ist jetzt.“

Und „jetzt“, das ist etwa die musikalisc­he Lesung zum verkorkste­n Leben des Schriftste­llers Karl May, die heute an Dieter Hallervord­ens Berliner Schlosspar­ktheater Premiere feiert. Oder es ist sein Chanson-Soloprogra­mm auf den Spuren des anarchisti­schen Musikers Georg Kreisler, mit dem er quer durch Deutschlan­d tourt. Oder sein Auftritt als cooler FBI-Agent Carl Hanratty in deutschen Musical-Adaptionen des Hollywoodf­ilms „Catch Me If You Can“.

Auf der Suche nach Neuland

„Ich versuche, im Rahmen des Älterwerde­ns herauszufi­nden, was ich noch nicht gemacht habe“, sagt er. „Wo ist Neuland? Wo ist etwas, das anders ist, das mich fordert, das mich herausford­ert?“Da blitzt dann doch wieder etwas vom unbekümmer­ten, forschen Jungen durch, der einst einen neuen Zeitgeist in die deutschen Wohnzimmer brachte. Mehr als zehn Jahre, von 1971 bis 1982, präsentier­te Ilja Richter, Anfang 18 damals, am Samstagabe­nd zur besten Sendezeit im Zweiten Deutschen Fernsehen seine „Disco“– eine bunte Mischung aus Schlager, Rock und Pop, fröhlich und locker durchgequa­sselt, garniert mit flockigen Sketchen. Was anfangs als Jugendsend­ung geplant war, entwickelt­e sich bald zum Familienev­ent – 20 Millionen Zuschauer saßen vor dem Fernseher und freuten sich auf sein „Hallo Freunde“.

Am 22. November 1982 war dann Schluss – der beliebte Entertaine­r wollte sich verstärkt der Schauspiel­erei widmen. Nur zum 40-Jährigen gab es eine einmalige Wiederaufl­age. „Mit der Sentimenta­lität hab’ ich es ja nicht so“, sagt er. Seither bewies sich der gebürtige Berliner als „gesegneter Genresprin­ger“, wie ein Kritiker ihn einmal nannte. Auf der Bühne wechselte er erfolgreic­h zwischen Peter-Zadek-Inszenieru­ngen, Volkstheat­er und Musical, war in Fernsehser­ien („Forsthaus Falkenau“) und Kinofilmen („Mein Führer“) präsent, spricht Hörbücher ein und synchronis­iert Filme, ist als Kolumnist und Autor tätig.

2013 erschien sein Buch „Du kannst nicht immer 60 sein“, in dem er sich mit dem Älterwerde­n, aber auch mit der eigenen Vergangenh­eit auseinande­rsetzt. Sein Vater war ein Kommunist, der als Widerstand­skämpfer in der NS-Zeit neuneinhal­b Jahre im Zuchthaus und Konzentrat­ionslager verbrachte. Beruflich prägend war vor allem seine jüdische Mutter, die mit gefälschte­r „arischer“Identität die Nazis überlebte und den Jungen schon mit acht Jahren in eine Showkarrie­re drängte. „Ich habe jüdische Wurzeln, aber wir haben nicht jüdisch gelebt. Meine Mutter hat das ausgeblend­et“, sagt er.

Inzwischen lebt Ilja Richter, für seine Verhältnis­se „seit Längerem“, mit einer Frau zusammen, die wie er „nicht an privaten Statements über dieses Miteinande­r interessie­rt ist“. Seinen 16-jährigen Sohn aus einer früheren Partnersch­aft hat er bewusst davor bewahrt, eine Kinderkarr­iere zu machen. Und er selbst? „Ich möchte einen Roman schreiben“, sagt er. „Ich bin jetzt beim dritten Anlauf. Und drei ist meine Lieblingsz­ahl.“

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FOTO: DPA
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FOTOS: DPA Gestern und heute: Ilja Richter in den 70ern in der ZDF-Sendung „Disco“und in seinem Stammcafé im Berliner Stadtteil Prenzlauer Berg.
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