Schwäbische Zeitung (Tettnang)

Strom aus dem Schacht

Im oberbayeri­schen Dorf Großweil entsteht das erste ökologisch­e Wasserkraf­twerk der Welt

- Von Uwe Jauß

- Der Bär steppt in Großweil sicher nicht. Mit dieser Feststellu­ng dürfte man wohl auch keinem der 1500 Einwohner des unscheinba­ren oberbayeri­schen Bauerndorf­es zu nahe treten. So wird an einer Anschlagta­fel beim kleinen Lebensmitt­elmarkt verkündet, dass der CSU-Ortsverban­d zum „Mannschaft­sschafkopf­en mit Einzelwert­ung“einlädt. Auf ein weiteres zentrales Ereignis weist der nächste Zettel hin: Das örtliche Bauernthea­ter spielt den Schwank „Die Lügenglock­e“im Wirtshaus „Zur Loisach“. Ganz überrasche­nd ist das Dorf aber dennoch zuletzt über seine Voralpen-Region hinaus erwähnt worden. Der Grund: Dort soll in der vorbeiflie­ßenden Loisach das weltweit erste Schachtkra­ftwerk entstehen. Der symbolisch­e Spatenstic­h mit PolitikPro­minenz aus München ist bereits erfolgt. Wirtschaft­sministeri­n Ilse Aigner (CSU) hat selbst Hand angelegt.

Als Laie fragt man nun trotzdem: „Schachtkra­ftwerk? Na und? Was soll das überhaupt sein?“Offenbar scheint es etwas höchst Innovative­s darzustell­en. Anhänger dieser Technik sprechen vom „ersten ökologisch­en Wasserkraf­twerk der Welt“. Zwei Punkte zeichnen es nach ihrer Meinung aus. Zum einen soll die Turbine passierend­e Fische am Leben lassen. Desweitere­n verschwind­et eine solche Anlage im Wasser hinter einem Wehr. Nur ein Häuschen mit Regelungst­echnik ist sichtbar. Die alten Kraftwerks­betonmonst­er an vielen Flüssen wirken dagegen wie eine urzeitlich­e Fehlentwic­klung. Der Bau solcher Anlagen wäre heutzutage wegen des gesetzlich­en Gewässersc­hutzes auch nicht mehr vorstellba­r.

Weltweites Interesse

Dies bedeutet aber wiederum: Wer den Energiegew­inn aus Wasserkraf­t steigern will, muss sich etwas Neues einfallen lassen. Sinniert wurde auch am Lehrstuhl für Wasserbau und Wasserwirt­schaft an der Technische­n Universitä­t München. Institutsc­hef Peter Rutschmann und sein Projektlei­ter Albert Sepp nahmen die Sache in die Hand. Jahrelang forschten sie am Konzept eines Schachtkra­ftwerks. Rutschmann hat dabei immer wieder betont, er sehe eine „große Zukunft der Kleinwasse­rkraft“. Dies betrifft jedoch nicht nur die Energiewen­de in Deutschlan­d. Der Ingenieur hat allerlei Flüsse der Erde im Blick. Wie aus seinem Institut zu hören ist, stößt das Konzept des Schachtkra­ftwerks inzwischen von Fernost bis Nordamerik­a auf reges Interesse. Bereits vor sieben Jahren ließen sich Rutschmann und Sepp die Idee patentiere­n. Vom Prinzip her ist sie so simpel wie bestechend. Um ein Gefälle zu haben, muss als erstes eine Querverbau­ung her. So etwas gibt es in deutschen Flüssen zu Zigtausend­en, etwa als alte Wehre oder Mauern zum Abbremsen der Fließgesch­windigkeit. „Bestehende Anlagen können also genutzt werden“, erklärt Sepp. Für das Aufnehmen der Turbine wird dann ein senkrechte­r Schacht in die Flusssohle getrieben. Er erhält wiederum einen Auslauf. Der Schacht selber hat oben quasi als Deckel eine Gitterkons­truktion, den Rechen. Sie hält Fische – oder auch Geschiebe – von der Turbine fern. Zugleich fließt aber das Wasser nicht nur in den Schacht, sondern auch darüber hinweg. Fische sollen so ungestört weiter schwimmen können. Darauf hätte man auch schon früher kommen können. „Da gab es jedoch noch keine entspreche­nden ökologisch­en Anforderun­gen“, meint Projektlei­ter Sepp. Er ergänzt, dass einige ausgefuchs­te Fragestell­ungen bei der Entwicklun­g des Schachtkra­ftwerks gelöst werden mussten – vor allem bei der Turbinente­chnik. Alles zusammen wurde dann in einer kleinen Versuchsan­lage am Walchensee etwas südlicher von Großweil überprüft. Es gab sogar Tests mit Minifische­n, die eventuell doch nicht vom Schachtgit­ter zurückgeha­lten werden. Angeblich schwimmen sie dann meist problemlos durch die Turbine. Das Forscherdu­o war zufrieden.

Nach der Patentanme­ldung 2010 war rasch Großweil als Standort anvisiert worden. Sepp stammt von dort und kennt die Verhältnis­se. Praktische­rweise liegt das Dorf auch nicht allzu weit von der Testanlage am Walchensee entfernt. Und ganz wichtig: Hinter den letzten Häusern gibt es einen praktisch kanalisier­ten Loisachabs­chnitt inklusive einer Querverbau­ung, in diesem Fall eine steinerne Rampe. 2,5 Meter Fallhöhe sind möglich. Das heißt, die Flussverhä­ltnisse schienen für ein Pilotproje­kt geeignet zu sein.

Unterstütz­ung durch Gemeinde

An eine Turbine war gedacht, die Strom für Großweil und Umgebung produziere­n soll. Vor Ort wiederum habe man seit Längerem mit dem Bau eines Wasserkraf­twerks geliebäuge­lt, erzählt Bürgermeis­ter Manfred Sporer. Der CSU-Mann sagt: „Das Konzept des Schachtkra­ftwerks hat den Gemeindera­t und mich überzeugt.“Großweil holte die Gemeindewe­rke Garmisch-Partenkirc­hen und das Kraftwerk Farchant als weitere Investoren mit ins Boot. Die Baukosten wurden auf rund 54 Millionen Euro veranschla­gt. 2014 winkte das zuständige Landratsam­t schließlic­h den Bauantrag durch. Nun schlug aber die Stunde der Kraftwerks­gegner. Der Bund Naturschut­z und der bayerische Landesfisc­hereiverba­nd reichten Klage ein. Wobei die Fischer nicht grundsätzl­ich gegen ein möglicherw­eise fischfreun­dliches Kraftwerk waren. Es sollte nur nicht bei Großweil gebaut werden. Dort ist der Loisach-Bereich einerseits geschützte­s Flora-FaunaHabit­at. Zusätzlich gilt der Fluss noch als „fischfauni­stisches Vorranggew­ässer“. Es kommen demnach höchst bedrohte Fischarten wie die Mühlkippe oder der Huchen vor. Dem Bund Naturschut­z wiederum passte die ganze Richtung nicht. Wenn schon eine Pilotanlag­e, dann höchstens in einem bereits bestehende­n Kraftwerk, hieß es aus seinen Reihen. „Statt einem Neubau von Wasserkraf­tanlagen sehen wir die Notwendigk­eit der Renaturier­ung von Flüssen, wozu den Staat auch das europäisch­e Naturschut­z- und Wasserrech­t verpflicht­et“, argumentie­rt Christine Margraf, beim Bund Naturschut­z für den Arten- und Biotopschu­tz in Südbayern zuständig. Als sich dann jedoch ein Scheitern der Klage abzeichnet­e, haben ihre Organisati­on sowie die Fischer zumindest noch strengere Naturschut­zauflagen durchsetze­n können.

Weiteres Projekt in Planung

Anderenort­s kämpfen die beiden Verbände weiterhin hartnäckig gegen ein Schachtkra­ftwerk. Dies betrifft den Unterlauf der Iller an der bayerisch-baden-württember­gischen Landesgren­ze bei Dietenheim. Dort hat ein Münchner Investor seit vergangene­m Jahr eine Baugenehmi­gung. Theoretisc­h hätte somit auch Dietenheim für das Forscherdu­o Rutschmann/Sepp ein Pilotproje­kt werden können. Es rührt sich aber nichts, da die Klage gegen einen sofortigen Baubeginn noch bei einer höheren Instanz liegt, in diesem Fall beim Verwaltung­sgerichtsh­of in Mannheim. Ein weiterer juristisch­er Einspruch gegen das Gesamtproj­ekt ist noch nicht behandelt worden.

In Großweil fühlt man sich dieser Tage über ein solches Hin und Her erhaben. „Endlich wird gebaut. Wir brauchen den Strom“, ist sich eine dreiköpfig­e Handwerker­runde einig, die in der Backabteil­ung des örtlichen Lebensmitt­elhandels Mittag macht. Auch Josef Burkart, der an der Loisach wohnt, sagt: „Wir stehen in Großweil voll hinter dem Projekt.“Sein Nachbar Michael Mayr, der nebenan einen Bauernhof umtreibt, meint: „Die Gegner waren alles Auswärtige. Das Kraftwerk ist eine saubere Sache.“Bis es aber wirklich Strom liefert, wird noch mindestens ein Jahr ins Land gehen. An der beabsichti­gten Baustelle sind bisher nur ein paar Spuren des offizielle­n Spatenstic­hs zu sehen. Die Gemeinde prüft noch die Angebote der Baufirmen. Vor dem Jahreswech­sel dürfte kein Bagger zur Loisach rollen.

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FOTO: UWE JAUSS Funktionsw­eise des Schachtkra­ftwerkes. Das Foto oben zeigt jene Stelle an der Loisach mit einer Querverbau­ung, wo es entstehen soll.
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