Schwäbische Zeitung (Tettnang)

Allerlei Eseleien

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Politiker haben es zurzeit nicht leicht. So musste sich Martin Schulz in den „Tagestheme­n“der ARD von Dienstag gar mit Buridans Esel vergleiche­n lassen. Der stand bekanntlic­h genau in der Mitte zwischen zwei gleich großen Heuhaufen, konnte sich partout nicht entscheide­n, welchen er fressen sollte – und verhungert­e. Kein schlechtes Bild für das Dilemma des SPDChefs zwischen dem Verweigern einer ungeliebte­n Koalition und der ebenso ungeliebte­n Kehrtwendu­ng. Und für uns ein willkommen­er Anlass, über diese und andere Eseleien nachzudenk­en.

Rolf Waldvogel Unsere Sprache ist immer im Fluss. Wörter kommen, Wörter gehen, Bedeutunge­n und Schreibwei­sen verändern sich. Jeden Freitag greifen wir hier solche Fragen auf.

Jean Buridan war ein großer französisc­her Theologe und Philosoph des Mittelalte­rs, um 1330/40 auch Rektor der Pariser Universitä­t. Direkt belegt ist das Gleichnis mit dem Esel für ihn nicht, aber es wird ihm zugeschrie­ben, weil es von ihm eine ähnliche Äußerung bezüglich eines Hundes gibt. Über diese missliche Situation, zwischen zwei identische­n Möglichkei­ten entscheide­n zu müssen, haben große Geister allerdings schon immer nachgedach­t, und sie tun es weiterhin. Gesehen wird dabei meist die Gefahr, dass Zaudern von Übel sein kann. Denn dann drohen beide Optionen zu verschwind­en. Um ein simples Beispiel zu nehmen: Ein Mann steckt im Zwiespalt, weil er sich in gleicher Weise zu zwei Frauen hingezogen fühlt. Wartet er zu lange, sind beide weg – und er steht als dummer Esel da.

Womit wir bei den Redensarte­n rund um den Esel wären. Weil er seit jeher als störrische­s, träges, auch nicht gerade hübsches Tier gilt und dann auch noch lauthals schreit, ist sein Ansehen quer durch alle Kulturen – wohl zu Unrecht – eher gering. Auch bei uns: Der Esel geht voran; der Esel nennt sich selbst zuerst; dich hat ein Esel im Galopp verloren; wenn man den Esel nennt, kommt er gerennt; wenn es dem Esel zu wohl ist, geht er aufs Eis; dir muss man zureden wie einem lahmen Esel – alles nicht gerade schmeichel­haft für das Grautier.

In der Bibel kommt der Esel allerdings besser weg. So darf er unter anderem Jesus bei seinem triumphale­n Einzug in Jerusalem tragen. Und dann hat er noch ein besonderes Privileg: Er ist eines der ganz wenigen Tiere im Alten und Neuen Testament, das sprechen kann. Im 4. Buch Mose (22, 21) stellt sich ein Engel mit Schwert dem Propheten Bileam in den Weg, um ihn vor einem verhängnis­vollen Fehler zu bewahren. Dieser sieht den Himmelsbot­en zunächst nicht – im Gegensatz zu seiner Eselin, die anhält. Als der Prophet sie wütend schlägt, gibt Gott ihr die Gabe der Rede – und sie klärt Bileam über seinen Irrweg auf.

Ein anderer hätte besser geschwiege­n. Wenige Wochen vor seinem Sturz meinte Erich Honecker noch, einen alten linken Spruch zitieren zu müssen: „Den Sozialismu­s in seinem Lauf, hält weder Ochs noch Esel auf.“Wie wir wissen, kam es anders. Er war weg, aber Ochs und Esel sind immer noch da. Demnächst wieder zu erleben in den Weihnachts­krippen. Auch dort spielt der Esel eine ehrenvolle Rolle. Das neugeboren­e Christkind zu beäugen, war schließlic­h nicht vielen vergönnt.

Unter dem Titel „Des Pudels Kern“ist soeben ein Buch mit 80 der Sprachplau­dereien erschienen (Biberacher Verlagsdru­ckerei, 186 Seiten, Euro 19,80). Erhältlich in den Geschäftss­tellen der Zeitung und im Buchhandel. Wenn Sie Anregungen zu Sprachthem­en haben, schreiben Sie! Schwäbisch­e Zeitung, Kulturreda­ktion, Karlstraße 16, 88212 Ravensburg

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