Schwäbische Zeitung (Tettnang)
Steigbügelhalter für die Kanzlerin
Zum Artikel „Druck in der SPD auf Chef Schulz wächst“(23.11):
Es ist, zugegebenermaßen, eine nicht einfache Situation für die SPD. Die Partei hat das schlechteste Ergebnis einer Bundestagswahl eingefahren und müsste schon deshalb in die Opposition gehen, um sich inhaltlich wie auch personell neu auszurichten. Nun hat sich gezeigt, dass die Kanzlerin nicht in der Lage ist, eine neue Regierung aus Union, den Grünen und der FDP zu bilden. Die Grünen, die sich ja wohl bis fast zur Selbstverleugnung verbogen haben, wären zwar bereit gewesen, viele ihrer Grundsätze über Bord zu werfen um eine neue Regierung zu ermöglichen, doch die FDP, die noch immer unter dem Trauma der Bundestagswahl 2013 leidet, sah sich nicht in der Lage, einem neuen Bündnis mit Merkel zuzustimmen.
Nun soll also die SPD, die trotz guter Regierungsarbeit vom Wähler abgestraft wurde, den Steigbügelhalter für die abgehalfterte Kanzlerin abgeben, um deren Machtgelüste weitere vier Jahre abzusichern. Das ist billiges Denken und wird den verbleibenden Möglichkeiten nicht gerecht. So kann die Wahlverliererin Merkel, die für die CDU ja das schlechteste Wahlergebnis seit 1949 eingefahren hat, eine Minderheitsregierung bilden. Hier hat doch die SPD signalisiert, dass sie diese Minderheitenregierung tolerieren wird und sich nicht in Totalopposition begibt. Dies scheut Merkel aber, da sie dann nicht mehr so einfach durchregieren kann und auch für Fehler persönlich verantwortlich gemacht wird. Dabei würde dies frischen Wind in das Parlament bringen, denn dann wäre Sacharbeit angesagt und nicht das unsägliche Mauscheln, bekannt als Fraktionszwang, welches ein Markenkern Merkelscher Politik ist.
Eine andere Möglichkeit wäre in der Tat eine Neuauflage der Großen Koalition. Hier hätte die SPD die Chance weitreichende Forderungen wie die Erhöhung des Mindestlohnes und der Hartz IV-Sätze, keine Altersrente unter 1100 Euro oder sofortige Maßnahmen für den sozialen Wohnungsbau in etwaige Koalitionsverhandlungen einzubringen und auch durchzusetzen. Da Merkel weder einer Minderheitenregierung noch einer erneuten Groko unter diesen Umständen zusagen wird, wird sie die Flucht in Neuwahlen wählen. Hier sind aber die Hürden hoch – und ob sie dies politisch überleben wird, ist mehr als fraglich.
Hans Brauchle, Leutkirch
Anerkennung für Lindner
Zum Artikel „Vom Bambi zum Terminator“(22.11.):
Die Ausführungen von Herrn Lindner (Foto: dpa) sind durchdacht, der Entscheid, Jamaika platzen zu lassen, konsequent und völlig richtig. Deutschland steht vor einer grundsätzlichen Neuausrichtung, das ist das Signal der Bundestagswahlen, bei denen die Karten völlig neu gemischt worden sind.
Die Grünen überschätzen sich gewaltig. Von den Jamaika-Parteien, die bundesweit an der Wahl beteiligt waren, sind sie eindeutig die kleinste Gruppierung. Aber die Grünen haben ihre Extrempositionen nicht aufgeben wollen. Wortklaubereien ihrer grauen Eminenz wie bezüglich des Familiennachzuges sollten in bisher praktizierter Manier die Grundlage für „falsches Regieren“geben – dem hat die FDP nun unmissverständlich den Riegel vorgeschoben. „Ist doch schön, so ein Ausflug in die Südsee“– das ist nun dem grünen Ministerpräsidenten versagt. (Bitte, Herr Kretschmann: Jamaika liegt in der Karibik).
Die Sozialdemokraten möchten auf keinen Fall den Lückenbüßer abgeben und mit der schwer angeschlagenen CDU, bei der es nur um den Erhalt von Bundeskanzlerin Merkel geht, wieder eine Große Koalition eingehen – nur das nicht! Bei Neuwahlen hat die SPD die Chance mit einem neuen Kandidaten – Scholz oder Nahles – die Scharte wieder auszuwetzen. Ich würde Frau Nahles vorziehen; sie spricht wie Lindner klar und deutlich – allerdings mit anderem Inhalt.
Christian Lindner hat den Dank, die Anerkennung der Republik verdient: er erschüttert Merkel und ihre CDU – „Mangelnde Führung in den Sondierungen. Immer nur zu moderieren und keine Richtung vorzugeben, funktioniere nicht, wenn da keine Seite sei, auf die man sich schlagen könne“(Andrea Nahles) – und er gibt dem Land eine Chance, sich neu zu organisieren.
Jürg Walter Meyer, Leimen
Alternative Rot-Rot-Grün
Zum Artikel „FDP lässt Jamaika platzen“(20.11.):
Der Wahlerfolg der FDP sollte eigentlich Ansporn für verantwortungsvolles Handeln sein. Stattdessen gefällt sich der FDP-Chef Lindner nach wochenlangen Gesprächen darin, mit elitärem Gehabe die verblüfften Verhandlungspartner bei Nacht und Nebel im Regen stehen zu lassen. Die CSU ist heilfroh, nicht den Schwarzen Peter zugeschoben zu bekommen, obwohl der unfähige Verkehrsminister Dobrindt seine Arroganz wie eine Monstranz vor sich herträgt. Wenn er den kompromissbereiten Grünen vorhält, nur „Schwachsinnstermine“abzuräumen, sollte er erst einmal seine „Schwachsinnsmaut“an die Wand nageln, mit der er die Große Koalition genervt hat, bis CDU und SPD notgedrungen wider besserer Einsicht dem Blödsinn zustimmten.
Wie lange der Burgfrieden zwischen CSU und CDU anhält, bleibt abzuwarten. Im Moment steht die CSU wegen der Landtagswahl und personellen Machtkämpfen mit dem Rücken zur Wand. Mir graut vor der Vorstellung, ein möglicher CSU- und/ oder Regierungschef Söder wäre der Sieger. Dann beginnt das unwürdige Gezerre zwischen den „Schwestern“erneut.
Als Alternative bleiben nur Neuwahlen. Damit kann sich die SPD aus ihrer selbst auferlegten Blockade lösen, müsste aber schnell und überzeugend ihre alten Vorbehalte gegen die Linke aufgeben. So wie sich die Grünen zum anerkannten Regierungspartner entwickelt haben, wird auch die Linke in der (außen-)politischen Realität ankommen. Damit würde der Weg zu einer Koalition SPD/Grüne/ Linke möglicherweise frei als eine Alternative zu einer Großen Koalition und einer Minderheitsregierung mit den Grünen.
Ottmar Haberbosch, Riedlingen
Es wäre ein Chaos geworden
Da sage noch einer, es gäbe in der Politik keine Überraschungen mehr. Da geht doch eine Partei hin und schlägt die Fleischtöpfe des Regierens aus. Keine Sekretärinnen, die der Staat bezahlt, keine Dienstwagen mit Chauffeur, keine noch so schönen Zusatzgehälter haben gereicht, damit sich die FDP mit der Merkel ins gemachte Bett gelegt hätte. Es wäre doch so einfach gewesen. Als Retter der Demokratie hätte man gegolten. Die roten Teppiche waren ausgerollt. Und gerade die Partei, der man bisher immer vorgeworfen hat, sie strebe nur nach den Posten, gerade die hat widerstanden. Widerstanden einer Regierung, die doch niemals funktioniert hätte! Wer glaubt denn, Trittin und Dobrindt könnten auch nur einen Monat miteinander regieren? Eine Regierung von Seehofer bis Lindner, von Merkel bis Özdemir wäre doch in kurzer Zeit auseinandergeflogen.
Die harmoniesüchtigen Deutschen werfen es einer Partei jetzt vor, die Reißleine gezogen zu haben. Was glauben diejenigen denn, wo das geendet hätte, außer in pausenlosem Streit? Es wäre ein Chaos geworden, das sehr viel schlimmer wäre, als gar keine Regierung zu haben. Danke Christian Lindner! Sie hatten den Mut, sonst offensichtlich keiner. Und wer aus ideologischen Gründen ein Problem hat, einer liberalen Partei dankbar zu sein, der möge doch prüfen, ob er dieser Entscheidung nicht wenigstens seinen Respekt zollen muss.
Klaus Küble, Bergatreute
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