Schwäbische Zeitung (Tettnang)
Die richtigen Knöpfe gedrückt
Freitag geht als Weltcup-Führender über die Hochfirstschanze – Qualifikation abgebrochen
TITISEE-NEUSTADT - Mittelprächtig. Das trifft es. Mittelprächtig ist der vergangene Winter für Richard Freitag gewesen – allenfalls: 13. in der Saisonhierarchie des Skispringens war der Sachse nach seiner achten Weltcup-Saison, ein dritter Platz in Zakopane sein stärkstes Einzelresultat. Wirklich glücklich lief auch die Nordische Weltmeisterschaft nicht: Als Zuschauer erlebte Richard Freitag in Lahti deutsches Mixed-Gold, von der Normalschanze wurde er Neunter, von der Großschanze 19. Und als er, im Mannschaftswettbewerb, seine besten WM-Sprünge zeigte, holte tückischer Wind einen Kollegen allzu früh nach unten: Medaille futsch! Richard Freitag, 25 Jahre jung, 165 Weltcup-Einsätze solo, 34 im Team, beschloss: Etwas muss anders werden.
Inzwischen ist Richard Freitag 26; 169 und 36 heißen die aktuellen Kenndaten, und anders geworden ist so einiges. Zuallererst: die Ergebnisse. Vierter war Richard Freitag in Wisla, Sechster in Kuusamo, Erster und Zweiter schließlich in Nizhny Tagil. Bemerkenswert auch die Platzierungen in der Qualifikation (Fünfter, Dritter, Vierter), beträchtlich der Beitrag zu den deutschen Teamauftritten (Platz vier, Platz zwei) im werdenden Olympiawinter. Anders ist folglich auch: Der Mann, der dieses Wochenende in Titisee-Neustadt auf dem Absprungbalken der Hochfirstschanze sitzt, sitzt dort im gelben Leibchen des Weltcup-Führenden. Für Richard Freitag eine noch recht neue Erfahrung. Eine, die prima passt zur Beschreibung der eigenen Befindlichkeit: „Tierisch Spaß“mache das Skispringen gerade.
Den macht es auch, weil Richard Freitag „seinen Sprung etwas in die Richtung verändert hat, dass er nicht mehr so stark auf Höhe geht, er kann jetzt noch schneller sein Flugsystem finden“. Werner Schuster, der Bundestrainer, wartete am Freitag mit dieser Analyse auf. Gerade war die Qualifikation für das Einzelspringen am Sonntag wegen böig drehender Winde früh abgebrochen worden, bei seinen Trainingsversuchen ist Richard Freitag zuvor jeweils die zweitgrößte Weite (130,5 und 135 Meter) gelungen. Nochmals Werner Schuster: „Diese Prozesse, die dauern einfach, die sind schon länger im Gang. Im Moment sind die Zeichen auf positiv.“
Natürlich hat das etwas damit zu tun, sagt Richard Freitag, „dass wir einfach gut gearbeitet haben im Herbst“. Nach einem Sommer, in dem er bewusst nur punktuell die MattenWettbewerbe der Grand-Prix-Serie mitgenommen hatte. Die Termine im zweitklassigen Continental Cup ließen sich schlicht besser mit dem Training abstimmen, außerdem sollte Richard Freitag „sich auch mit dem Prozess des Wieder-Gewinnen-Könnens auseinandersetzen“. Diese Rechnung Werner Schusters mag kurzfristig nicht aufgegangen sein (bester Platz bei sechs Starts war ein vierter in Trondheim), Selbstvertrauen jedoch holte sich sein Sportler.
Der gemeisterte Neuanfang im Allgäu tat ein Übriges. Richard Freitag, geboren in Erlabrunn, ist Überzeugungserzgebirgler. Familienmensch überdies. Ende Juli zog es ihn dennoch gen Süden. Mit dem Nordischen Kombinierer David Welde teilt er sich in Oberstdorf eine Wohnung, mit (unter anderen) Andreas Wellinger und Markus Eisenbichler eine Trainingsgruppe. Das Sich-mit-denBesten-Messen quasi als Normalzustand – das spornt an, das motiviert, das macht besser. Werner Schuster ist da eine Anmerkung wichtig: Richard Freitags Formsteigerung allein „auf den Umzug zurückzuführen, das würde viel zu kurz greifen. Er hat an persönlicher Reife gewonnen, er hat an den richtigen Knöpfen gedrückt.“Und: „Zwischen 25 und 30 haben viele Sportler ihr Höchstleistungsalter.“
Für Richard Freitag heißt das vor Titisee-Neustadt: Ausbeute aus vier Weltcup-Wettbewerben sind 270 Weltcup-Punkte – bereits jetzt mehr als die Hälfte seines gesamten Vorjahresertrags (507). Pyeongchang steht an, vorher die Tournee, vorher (in Oberstdorf!) die Skiflug-WM. Vollmundige Prognosen? Sind auch in Gelb nicht Richard Freitags Ding. „Eins“, sagt er, „nach dem anderen!“
Hier und jetzt deshalb nur: die Hochfirstschanze.
Die abgebrochene Qualifikation wird heute (14.30 Uhr) vor dem Teamspringen (16 Uhr) nachgeholt. Für Sonntag sind Probedurchgang (14.30 Uhr) und Einzelwettbewerb (15.30 Uhr) geplant. TV: ARD und Eurosport.