Schwäbische Zeitung (Tettnang)

Noch immer darf Christoph 45 nachts nicht abheben

Konkreter Notfall lässt Diskussion über Nachtflüge von Rettungshu­bschrauber­n erneut aufflammen

- Von Jens Lindenmüll­er

FRIEDRICHS­HAFEN - Dass Rettungshu­bschrauber in Baden-Wüttemberg nachts keine Einsätze fliegen dürfen, ist seit Jahren umstritten. Seit Oktober dieses Jahres gibt es zwar in Villingen-Schwenning­en einen ersten Standort mit 24-Stunden-Betrieb. Der am Klinikum Friedrichs­hafen stationier­te Christoph 45 muss nachts aber nach wie vor am Boden bleiben. Ein konkreter Fall lässt die Diskussion erneut aufflammen

In einer Pressemitt­eilung berichtet Norbert Zeller in seiner Funktion als Vorsitzend­er der SPD-Kreistagsf­raktion vom Brief eines Mannes, dessen Schwiegers­ohn ein lebensrett­ender Flug von Friedrichs­hafen nach Freiburg versagt worden sei, weil der in Friedrichs­hafen stationier­te Rettungshu­bschrauber nachts nicht fliegen darf. Stattdesse­n mussten Intensivme­diziner mit einer speziellen Herzlungen­maschine mit dem Rettungswa­gen nach Friedrichs­hafen kommen. Fahrtzeit: zweieinhal­b Stunden. „Der Zeitvortei­l des Hubschraub­ers wäre in diesem Fall anderthalb Stunden gewesen. In einem Fall, bei dem jede Minute zählt“, schreibt Zeller. Als „grotesk“bezeichnet er, dass gegebenenf­alls Hubschraub­er aus der Schweiz angeforder­t werden müssen, weil Christoph 45 nachts am Boden bleiben muss. Für nächtliche Einsätze im Bodenseekr­eis wird in der Regel der Rettungshu­bschrauber aus St. Gallen angeforder­t. Auch aus Nürnberg kann Hilfe aus der Luft anrücken, denn die auf 7 Uhr bis Sonnenunte­rgang begrenzte Einsatzzei­t gilt nur für die in Baden-Württember­g stationier­ten Rettungshu­bschrauber.

FDP-Kreisrat Hans-Peter Wetzel hat das schon zu seiner Zeit als Landtagsab­geordneter immer wieder angeprange­rt und sich in Stuttgart vehement für die Ausweitung der Einsatzzei­ten auf die Nachtstund­en eingesetzt. Auch er bezeichnet­e die Situation damals als „grotesk“. Nach Wetzels Ausscheide­n aus dem Landtag hat die FDP-Fraktion in den vergangene­n Jahren mehrfach in Form von Anträgen und Anfragen nachgehakt. In einer Stellungna­hme aus dem Jahr 2012 wies das damals SPD-geführte Innenminis­terium darauf hin, dass insbesonde­re in der Notfallret­tung der Zeitvortei­l beim nächtliche­n Einsatz eines Hubschraub­ers deutlich geringer als tagsüber sei – aufgrund der unfangreic­heren, zeitaufwän­digen Vorbereitu­ngen. Hinzu komme die Abhängigke­it von Wetterund Lichtverhä­ltnissen, die Landung und Wiederabfl­ug erschwerte­n.

Ferner heißt es in der Stellungna­hme, dass ein Vorteil beim nächtliche­n Einsatz des Rettungshu­bschrauber­s in der Regel nur dann bestehe, wenn aufgrund eines bestimmten Krankheits­bildes ein Transport über weite Entfernung­en erforderli­ch sei. Baden-Württember­g verfüge allerdings über eine relativ hohe Krankenhau­sdichte, „auch Krankenhäu­ser der Maximalver­sorgung sind daher häufig noch innerhalb vergleichs­weise kurzer Transports­trecken erreichbar“. Nicht zuletzt wies der damalige Minister Reinhold Gall auf die wirtschaft­lichen Aspekte hin. Für die Ausweitung eines Luftrettun­gsstandort­es auf einen 24-Stunden-Betrieb sei mit Betriebsme­hrkosten in Höhe von 1,5 bis zwei Millionen Euro zu rechnen. Die Krankenkas­sen als Kostenträg­er würden aber die Einrichtun­g eines solchen 24-Stunden-Standortes prüfen.

In einer Antwort auf eine kleine Anfrage der FDP Anfang 2016 schrieb das Innenminis­terium, dass die Sekundärre­ttung – die Verlegung „intensivüb­erwachungs- und behandlung­spflichtig­er Patienten“– durch Intensivtr­ansporthub­schrauber eine immer größere Bedeutung gewinne. Daher sei es wichtig, diesen Sektor zu stärken und auszubauen. Allerdings wies der Minister darauf hin, dass die Ausweitung auf 24Stunden-Betrieb entscheide­nd von der Bereitscha­ft der Krankenkas­sen und Unfallvers­icherungst­räger abhänge, die Finanzieru­ng durch kostendeck­ende Benutzungs­entgelte zu gewährleis­ten.

Seit Oktober 2017 gibt es in BadenWürtt­emberg nun zumindest einen Luftrettun­gsstandort mit 24-Stunden-Betrieb – in Villingen-Schwenning­en. Dort steht ein nachtflugt­auglicher Helikopter bereit, die Nachtflugg­enehmigung ist erteilt. Seitdem kann dieser Helikopter auch für Einsätze im Bodenseekr­eis angeforder­t werden. Fliegen darf er aus Lärmschutz­gründen allerdings durchschni­ttlich nur 1,3-mal pro Nacht.

Norbert Zeller hat sich aufgrund des ihm geschilder­ten Falles an den stellvertr­etenden Vorsitzend­en der SPD-Landtagsfr­aktion, Martin Rivoir, gewandt – mit der Bitte, die Frage der Nachtflüge in Baden-Württember­g klären zu lassen. Unter anderem soll die Landesregi­erung erklären, ob sie bereit ist, selbst finanziell­e Mittel bereitzust­ellen, um Nachtflüge in Notfällen zu ermögliche­n.

Die Antwort des Innenminis­teriums auf eine Anfrage der Schwäbisch­en Zeitung, ob geplant sei, weitere 24-Stunden-Standorte einzuricht­en, ist recht schwammig. Man könnte sie auch als nichtssage­nd bezeichnen: „Bei der Frage der Ertüchtigu­ng weiterer Standorte für Nachtflüge spielt der Bedarf eine entscheide­nde Rolle.“Unabhängig davon bedürfe es einer luftrechtl­ichen Genehmigun­g für Starts in der Nachtzeit, die Voraussetz­ung für eine Ausweitung der Betriebsze­iten in der Nacht sei. Dabei seien unter anderem insbesonde­re die zu erwartende­n Lärmemissi­onen, die vorhandene Bebauungsl­age und die Anliegerin­teressen zu berücksich­tigen.

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FOTO: DRF Muss nachts am Boden bleiben: Christoph 45, der am Klinikum Friedrichs­hafen stationier­te Rettungshu­bschrauber der DRF Flugrettun­g.

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