Schwäbische Zeitung (Tettnang)
„Nicht nur Nobelpreisträger“
Unterschiede im Abitur
„Die Richter haben jetzt bei ihrer Entscheidung berücksichtigt, dass es in den Bundesländern absolut unterschiedliche Voraussetzungen für den Erwerb des Abiturs gibt. Da ist es höchst problematisch, dieses Abitur zur Voraussetzung für ein Medizinstudium zu machen“, erklärte Ärztekammer-Präsident Montgomery.
Das Urteil betrifft den überwiegenden Teil der zu vergebenden Studienplätze, von denen 20 Prozent über die Note (Numerus clausus 1,0 bis 1,2) vergeben werden, ebenso viele über die Wartezeit (aktuell 14 bis 17 Semester) und 60 Prozent über die Auswahl der Hochschulen. Auch hier entscheidet vor allem die AbiNote. Zuletzt kamen auf 11 000 Studienplätze 62 000 Bewerber.
Die Bundesärztekammer fordert, dass zehn Prozent mehr Studienplätze geschaffen werden. Außerdem müsse es bundesweite Assessmentcenter und einheitliche Kriterien für die Vergabe geben. „Das Auswahlverfahren ist dringend reformbedürftig, weil es in vielen Punkten weder sachgerecht noch verfassungsgemäß ist. Man kann dem Bundesverfassungsgericht nur dankbar sein, dass es die Dinge so deutlich beim Namen nennt“, lobte auch der Vizechef des Marburger Bundes, Andreas Botzlar, das Karlsruher Urteil. Die Politik habe jetzt einen klaren Arbeitsauftrag, erklärte er im Gespräch mit der „Schwäbischen Zeitung“.
Wartezeiten begrenzen
Die Verfassungsrichter gaben einen klaren Auftrag an Bund und Länder: Die Auswahlverfahren und Eignungstests an den Unis müssen künftig vereinheitlicht und in „standardisierter und strukturierter Form“stattfinden, die Wartezeiten auf einen Studienplatz begrenzt werden. Auch müssten Kriterien bei der Vergabe berücksichtigt werden, die nichts mit dem Abi-Durchschnitt zu tun haben, aber für die Eignung zum Beruf des Mediziners wichtig seien. Bereits im Frühjahr hatten sich Bund und Länder auf einen „Masterplan Medizinstudium 2020“geeinigt. Nach den Reformplänen sollen Medizinstudenten künftig praxisorientierter und nah an Patienten arbeiten und zudem die Allgemeinmedizin wieder mehr im Mittelpunkt stehen. Um den Ärztemangel auf dem Land zu beseitigen, sollen die Länder bis zu 10 Prozent der Studienplätze für Bewerber vergeben können, die sich bereit erklären, später als Allgemeinmediziner in ländlichen Gebieten mit schlechter Versorgung zu arbeiten. BERLIN - Frank
Ulrich Montgomery (Foto: dpa), Präsident der Bundesärztekammer sieht im Urteil eine Chance für Bund und Länder, das Auswahlverfahren neu zu gestalten. Im Interview mit Andreas Herholz fordert er mehr Studienplätze für Mediziner.
Kann jetzt jeder Arzt werden?
Nein, die Gefahr sehe ich nicht. Aber die Abiturnoten können nicht als ausschließliches Kriterium für die Zulassung zum Medizinstudium dienen. Wir brauchen nicht nur Nobelpreisträger als Ärzte. Wir brauchen Menschen, die andere Menschen versorgen wollen, wie etwa Ärzte auf dem Land. Als Arzt braucht man menschliche, soziale und kommunikative Kompetenzen.
Wird es jetzt einen Ansturm auf das Medizinstudium geben?
Nein, damit rechne ich nicht. Aber wir brauchen mehr Ärzte und deshalb auch mehr Studienplätze. Diese Frage war nicht Gegenstand der Betrachtung des Bundesverfassungsgerichts. Die Bundesländer sollten jetzt endlich aus der Kleinstaaterei ihrer Bildungspolitik herauskommen und bessere Voraussetzungen für ein bundesweit vergleichbares Abitur schaffen. Bund und Länder müssen in einem Masterplan 2020 das Medizinstudium und das Auswahlverfahren für Studierende neu gestalten. Das ist jetzt eine große Chance. Das Verfassungsgericht hat dafür eine Frist bis 31.12.2019 gesetzt. Bis dahin muss der Gesetzgeber dies umsetzen. Neben der Abiturnote muss es dann ein bundesweit einheitliches Verfahren geben.
Ein Problem waren bisher immer die extrem langen Wartezeiten auf einen Studienplatz …
Die Wartezeit der Bewerber ist heute mit 14 bis 17 Semestern deutlich länger als die Regelstudienzeit mit zwölf Semestern. Das gefährdet den Studienerfolg. Das Gericht hat hier die Frage aufgeworfen, ob die Wartezeit nicht begrenzt werden müsste. Die Verfassungsrichter haben im Verfahren deutlich gemacht, dass die Wartezeit nicht über der Regelstudienzeit liegen sollte. Das ist den Bewerbern nicht zuzumuten. Auch hier zeigt sich, dass wir dringend mehr Studienplätze brauchen.
Geklagt hatte ein junger Rettungssanitäter. Warum kommt die Entscheidung erst jetzt?
Gottes Mühlen mahlen langsam und die des Bundesverfassungsgerichtes nur unwesentlich schneller. Hier handelt es sich schließlich auch um ein Grundsatzurteil für künftige Generationen. Das ist eine gute Entscheidung. Beide Kläger haben inzwischen einen Medizinstudienplatz. Man kann den beiden dankbar sein.