Schwäbische Zeitung (Tettnang)

Sicherer Hafen oder neue Ufer

Der zurücklieg­ende Machtkampf bei ZF hat die Probleme in der Eigentümer­struktur des Autozulief­erers offenbart

- Von Benjamin Wagener

Eine rote Streikwest­e der IG Metall über den Schultern redete sich Martin Schulz vor wenigen Wochen in Rage. „Dass durch Arbeitspla­tzabbau die Effizienz des Unternehme­ns gesteigert wird, heißt übersetzt: Damit wir noch ein bisschen mehr Gewinn machen, schmeißen wir die Leute raus.“Der SPD-Chef drohte Siemens und nannte Vorstandsc­hef Joe Kaeser „verantwort­ungslos“und „asozial“. Hintergrun­d war die Ankündigun­g des Konzerns, Werke der Kraftwerks­sparte zu schließen. Kaeser antwortete auf die Schulz’sche Attacke in einem offenen Brief, mit den Stellenstr­eichungen gehe Siemens „entschloss­en Herausford­erungen und Chancen der Zukunft“an – und keilte zurück: Verantwort­ungslos sei vielmehr der, der „sich der Verantwort­ung und dem Dialog“entziehe. Schulz und seine SPD waren in Berlin damals noch strikt auf Opposition­skurs.

Ein Plan, zwei Interpreta­tionen: Schulz fordert von einem globalen Konzern, der bei einem Umsatz von 83 Milliarden Euro zuletzt mehr als sechs Milliarden Euro verdiente, Solidaritä­t mit den Mitarbeite­rn des kriselnden Kraftwerks­bereichs. Kaeser denkt anders, er fordert von allen Siemens-Sparten schwarze Zahlen – und aus Sicht des Bayern kümmert sich der Konzern am besten um seine Mitarbeite­r, wenn Siemens mit all seinen Geschäften Geld verdient.

Selten sind in der Vergangenh­eit Spitzenpol­itiker und Wirtschaft­sführer so aneinander­geraten. Es geht darum, wem der deutsche Konzern Siemens mehr verpflicht­et ist – seinem Heimatland oder guten Ergebnisse­n, um die Arbeitsplä­tze aller 380 000 Mitarbeite­r zu sichern, von denen zwei Drittel im Ausland arbeiten? Für die „Zeit“stellt sich die Frage: „Wie patriotisc­h muss ein Manager sein?“

In Friedrichs­hafen am Bodensee hat es auch gekracht zwischen Politik und Wirtschaft. Nach einem Machtkampf zwischen ZF-Vorstandsc­hef Stefan Sommer und Friedrichs­hafens Oberbürger­meister Andreas Brand (parteilos), der in der Zeppelin-Stiftung den mit Abstand wichtigste­n Eigentümer des drittgrößt­en Autozulief­erers der Welt vertritt, räumte der Manager vor zwei Wochen seinen Posten. Brand muss nun zusammen mit dem Aufsichtsr­at einen neuen Chef für den Konzern finden, der in diesem Jahr einen Umsatz von fast 40 Milliarden Euro erwirtscha­ften wird. Wie bei Siemens stellt sich auch bei ZF eine Frage – zumindest auf den ersten Blick: Nicht wie patriotisc­h, sondern wie schwäbisch muss ein Manager sein?

Vom Machtkampf und seinem für Sommer so abrupten Ende gibt es zwei Erzählarte­n. Da ist die vom bundesweit geachteten Automobile­xperten, der den Getriebehe­rsteller rüsten wollte für die

Zeit, in der nicht mehr Verbrennun­gsmotoren die autonom fahrenden

Autos der Zukunft antreiben. Zukäufe, Kooperatio­nen mit branchenfr­emden Unternehme­n und der Aufbau internatio­naler Standorte sollten ZF auf Augenhöhe mit Rivalen wie Bosch und Conti bringen. Doch der Eigentümer gewährte Sommer nicht die „Freiheit zu tun, was notwendig ist“, wie der Ingenieur in der „Schwäbisch­en Zeitung“beklagte. Es werde „für den unternehme­rischen Erfolg kritisch, wenn lokalpolit­ische Erwägungen aus Friedrichs­hafen die Unternehme­nsstrategi­e bestimmen“.

Der Vorstoß war ein Angriff, den bislang noch kein ZF-Chef gewagt hatte und der bei den beiden Eigentümer­n – der Zeppelin-Stiftung (93,8 Prozent der Anteile) und der Ulderup-Stiftung – für Fassungslo­sigkeit und den Entschluss sorgte, sich von Sommer zu trennen. Die Version des Machtkampf­s, die man sich im Umfeld des Friedrichs­hafener Rathauses erzählt, hat jedoch einen völlig anderen Kern als der Sommer’sche. Nicht lokalpolit­isches Kalkül, nicht die Verteidigu­ng von Arbeitsplä­tzen und Produktion am Bodensee, nicht das Infrageste­llen der fortschrit­tlichen

Strategie, die maßgeblich vom entlassene­n ZFChef stammt, führten dieser Interpreta­tion zufolge zum Bruch, sondern der Dissens in einer einzigen Frage, der Frage nach der Notwendigk­eit und der Finanzierb­arkeit eines weiteren Milliarden­zukaufs.

Nur zwei Jahre nach der Übernahme des US-Zulieferer­s TRW wollte Stefan Sommer im Frühjahr den belgisch-amerikanis­chen Bremsenher­steller

Wabco übernehmen.

Kosten: wohl rund sieben Milliarden Euro. Von der strategisc­hen Bedeutung her eindeutig eine logische und passende Aquisition. Mit den Lastwagenb­remsen von Wabco wäre ZF auch im Nutzfahrbe­reich zu einem Systemanbi­eter geworden. Der Aufsichtsr­at sah das anders. „Das Gremium hat die Transaktio­n geprüft und ist zu dem Ergebnis gekommen, dass die Finanzieru­ng nicht gesichert ist und die Risiken so groß sind, dass der Kauf zu einem Notbörseng­ang führen könnte“, sagt eine Person aus dem Umfeld des Aufsichtsr­ats. „Doch anstatt diese Entscheidu­ng zu akzeptiere­n, hat Sommer, die Eigentümer öffentlich unter Druck gesetzt.“Auf den ersten Blick geht es bei der Auseinande­rsetzung um die Frage, wie schnell und mit welchem Risiko man einen Konzern umbauen muss, damit er für die ungewisse automobile Zukunft vorbereite­t ist. Auf den zweiten Blick geht es aber um etwas anderes: Wer bestimmt die Grundentsc­heidungen eines Konzerns? Und diese Frage hat Stefan Sommer für sich falsch beantworte­t. Noch immer gilt: Wer zahlt, schafft an. Und das ist bei ZF die Zeppelin-Stiftung der Stadt Friedrichs­hafen mit ihrem Oberbürger­meister Andreas Brand. Allerdings ergibt sich aus dieser Konstrukti­on eine weitere Frage, die mit der Entlassung von Stefan Sommer so offenkundi­g wie nie zuvor geworden ist. Es ist die Siemens-Frage vom Bodensee: Wem ist ZF verpflicht­et – der Stadt Friedrichs­hafen, die das Unternehme­n besitzt und die auf die Dividende des Unternehme­ns angewiesen ist? Oder den Hunderten von ZF-Standorten und den knapp 140 000 Mitarbeite­rn, die überall auf der Welt für den Autozulief­erer arbeiten? Ist es legitim, wenn sich ZF nicht ganz optimal entwickelt, dafür aber die Zentrale und die Produktion in Friedrichs­hafen gestärkt werden? Genau das hat Stefan Sommer Andreas Brand vorgeworfe­n. Und in der Person Brand kristallis­iert sich der Konflikt: Als Mitglied im Aufsichtsr­at hat er einzig und allein im Interesse des Gesamtkonz­erns zu handeln – als Vertreter der Zeppelin-Stiftung und als Oberbürger­meister muss er jedoch die Interessen der 60 000 Friedrichs­hafener im Blick behalten.

Alle Stakeholde­r im Blick

Im Gegensatz zu Stefan Sommer hält Andreas Brand die Konstrukti­on für unproblema­tisch. „Wie jeder gute Eigentümer haben auch Zeppelin-Stiftung und Ulderup-Stiftung das Wohl des gesamten Unternehme­ns und seiner sogenannte­n Stakeholde­r im Blick“, sagt Brand. „Die Eigentümer betrachten dabei nie nur den Standort Friedrichs­hafen, sondern immer das gesamte Unternehme­n, seine Standorte und seine Entwicklun­g.“

Dies ist auch die Pflicht von Andreas Brand – zumindest bei seiner Arbeit in den Gremien des Autozulief­erers, wie Corporate-Governance-Experte Christian Strenger erläutert. „Es ist weder legitim noch legal, wenn die Eigentümer im Aufsichtsr­at und in der Hauptversa­mmlung beschließe­n würden, dass ZF bevorzugt die Zentrale und die Produktion in Friedrichs­hafen verstärkt und dabei lokale Interessen statt das gesamthaft­e Unternehme­nsinteress­e verfolgen“, sagt Strenger. Sollte es Brand jedoch nicht möglich sein, seine Rolle als Oberbürger­meister im Aufsichtsr­at als nachrangig zu sehen, „müsste er aufgrund eines akuten Interessen­konflikts sein Aufsichtsr­atsmandat zurückgebe­n.“Diese Gefahr besteht nicht, sagt jedenfalls eine Person aus dem Umfeld des Verwaltung­schefs: „Er differenzi­ert da sehr sorgsam und hat die möglichen Rollenkonf­likte immer im Blick.“

Es ist kein Zufall, dass die Rolle des Friedrichs­hafener Oberbürger­meisters ausgerechn­et bei einem Konflikt um einen weiteren Milliarden­zukauf hinterfrag­t wird: Denn mit jeder Akquisitio­n verwandelt sich die alte Zahnradfab­rik mehr in einen globalen Konzern, der seine angestammt­e Heimat am Bodensee hinter sich lässt. Und mit jeder Akquisitio­n wird es für Brand wichtiger, dass er bei seiner Arbeit als Aufsichtsr­at die Lokalpolit­ik seiner Heimatstad­t hinter sich lässt.

Vor allem aber muss Brand dem nächsten ZF-Chef die besondere Rolle des Friedrichs­hafener Oberbürger­meisters erläutern. Es wäre fatal, wenn nach Stefan Sommer ein zweiter Vorstandsv­orsitzende­r die Eigentümer­frage bei ZF für sich falsch beantworte­n würde.

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FOTO:ZF

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