Schwäbische Zeitung (Tettnang)

Weihnachte­n auf einem Hügel bei Bethlehem

- Von Pfarrer Rudolf Hagmann

Seit meinem Besuch in Bethlehem drängen sich immer wieder die Bilder des heutigen Bethlehems in die bekannten Krippenlan­dschaften, mit denen wir uns Jahr für Jahr zur Advents und Weihnachts­zeit umgeben. Bethlehem ist anders: eine palästinen­sische Stadt voller Menschen, die wie eingesperr­t leben müssen, weil eine riesige Mauer Bethlehem von seinem Umland trennt. Eine Mauer, die auf der einen Seite als Schutz vor terroristi­schen Übergriffe­n gesehen wird, während die Menschen auf der anderen Seite sie als fortgesetz­te Demütigung empfinden. Die Mauer spaltet und verletzt, ausgerechn­et an dem Ort, wo nach biblischer Überliefer­ung der Friede auf Erden angekündig­t wurde.

Immer wieder flackerte Hoffnung auf, dass vielleicht doch ein Friedenspr­ozess diese Mauer beseitigen könnte. Aber gerade die jüngsten Entwicklun­gen zeigen, wie schwer es diese Hoffnung hat. Vor den Augen der Weltöffent­lichkeit dürfen Israelis Beschlüsse der UN missachten und weiterhin palästinen­sisches Land besetzen und besiedeln, während gleichzeit­ig palästinen­sische Hasspredig­er den Staat Israel ins Meer treiben möchten. Und leider wird auf beiden Seiten immer auch der Name Gottes angerufen, um die eigene Position zu untermauer­n.

Eingangssc­hild: „Wir weigern uns, Feinde zu sein“

Gott sei Dank gibt es auf beiden Seiten Menschen, die sich nicht aufhetzen und instrument­alisieren lassen. Eine dieser Hoffnungsg­estalten habe ich kennenlern­en dürfen. Es ist Daoud Nassar, der mit seiner Familie ganz in der Nähe von Bethlehem lebt. „Wir weigern uns, Feinde zu sein“, steht am Eingangsto­r zu seinem großen Grundstück. Das Familiengr­undstück umfasst einen 42 Hektar großen Weinberg mit über 4000 Olivenbäum­en, dazu Aprikosenb­äume und Reben. Ein begehrtes Stück Land. „Dahers Weinberg“ist der letzte nicht von israelisch­en Siedlern besetzte Hügel zwischen Jerusalem und Hebron im Westjordan­land. Im Tal befindet sich das palästinen­sische Dorf Nahalin, auf den Hügeln rings um den Weinberg erstrecken sich gut ausgebaute israelisch­e Siedlungen.

Daoud Nassar hat das Land von seinem Großvater Daher Nassar, einem christlich­en Araber, geerbt. Dieser hatte es 1916 noch unter dem Sultan im Osmanische­n Reich erworben. Die Besitzrech­te an dem Grundstück sind mehrfach verbrieft – dennoch tobt seit 1991 ein Rechtsstre­it darum. Vom Weinberg aus ließen sich tieferlieg­ende Straßen und palästinen­sische Dörfer leicht kontrollie­ren – für den Verkauf des Grundstück­s bekam Daoud Nassar von der israelisch­en Regierung viel Geld angeboten, sogar ein Visum für die Ausreise in die USA. Doch Geld ist nicht das, was Daoud Nassar für sein Land möchte.

Mauern abbauen und Vorurteile beseitigen

Er will in seinen Rechten anerkannt werden und dort leben können, wo er und seine Familie daheim sind. Im Jahr 2000 gründete er das Begegnungs­zentrum „Tent of Nations“(Zelt der Nationen). Sein großes Anliegen ist, dass Israelis und Palästinen­ser, Juden, Muslime und Christen sich begegnen und so besser verstehen lernen können. Er will Mauern abbauen und Vorurteile beseitigen. Das Angebot reicht von Sommercamp­s für Kinder aus Bethlehem über Computer-, Landwirtsc­haftsund Gesundheit­skurse für Frauen bis hin zu gemeinscha­ftlichen Ernteaktio­nen. Besonders wichtig ist Daoud Nassar die Einladung zum Gespräch miteinande­r.

Ein Traum, der Anfang einer neuen Wirklichke­it sein könnte

Dieser Mann hat mich tief beeindruck­t. Der kleine David gegen den übermächti­gen Goliath, so sehe ich seinen mühsamen Kampf gegen die israelisch­en Einschücht­erungsvers­uche. Daoud lehnt mit fast grenzenlos­er Beharrlich­keit den Weg der Gewalt ab und zeigt einen anderen Weg auf. Er lässt sich auch dann nicht zu Gewalt hinreißen, als ihm ein Großteil der Bäume und Weinstöcke mit Bulldozern zerstört wird. Er träumt nach wie vor von einem Zelt, in dem die verschiede­nsten Völker, Kulturen, Religionen zusammenko­mmen und einander respektvol­l begegnen. Ein hoffnungsl­oser Idealist, ein Schöngeist, ein Gutmensch?

Er hat das Weihnachts­fest verstanden. Er ist erfüllt von der Friedensbo­tschaft der Geburt Christi und schöpft daraus die Kraft für seinen engagierte­n und beeindruck­enden Einsatz. Mittlerwei­le ist aus seinen ersten Schritten eine Bewegung geworden, noch nicht stark genug, um die Verhältnis­se in Palästina gänzlich zu ändern, aber doch ein Anfang, der immer mehr Solidaritä­t erfährt und Menschen sammelt, die auf ihre Weise das Geschehen von Weihnachte­n fortsetzen. Das lässt hoffen. Am Anfang ist es nur ein Traum, aber wenn viele gemeinsam träumen, ist das der Beginn einer neuen Wirklichke­it.

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FOTO: TENT OF NATIONS In Bethlehem steht dieser Stein mit der Aufschrift „Wir weigern uns, Feinde zu sein“am Eingangsto­r des „Tent of Nations“(Zelt der Nationen), einem Begegnungs­zentrum bei Bethlehem. Dort sollen sich Menschen jeder Herkunft und Religion treffen und...

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