Schwäbische Zeitung (Tettnang)
Weihnachten auf einem Hügel bei Bethlehem
Seit meinem Besuch in Bethlehem drängen sich immer wieder die Bilder des heutigen Bethlehems in die bekannten Krippenlandschaften, mit denen wir uns Jahr für Jahr zur Advents und Weihnachtszeit umgeben. Bethlehem ist anders: eine palästinensische Stadt voller Menschen, die wie eingesperrt leben müssen, weil eine riesige Mauer Bethlehem von seinem Umland trennt. Eine Mauer, die auf der einen Seite als Schutz vor terroristischen Übergriffen gesehen wird, während die Menschen auf der anderen Seite sie als fortgesetzte Demütigung empfinden. Die Mauer spaltet und verletzt, ausgerechnet an dem Ort, wo nach biblischer Überlieferung der Friede auf Erden angekündigt wurde.
Immer wieder flackerte Hoffnung auf, dass vielleicht doch ein Friedensprozess diese Mauer beseitigen könnte. Aber gerade die jüngsten Entwicklungen zeigen, wie schwer es diese Hoffnung hat. Vor den Augen der Weltöffentlichkeit dürfen Israelis Beschlüsse der UN missachten und weiterhin palästinensisches Land besetzen und besiedeln, während gleichzeitig palästinensische Hassprediger den Staat Israel ins Meer treiben möchten. Und leider wird auf beiden Seiten immer auch der Name Gottes angerufen, um die eigene Position zu untermauern.
Eingangsschild: „Wir weigern uns, Feinde zu sein“
Gott sei Dank gibt es auf beiden Seiten Menschen, die sich nicht aufhetzen und instrumentalisieren lassen. Eine dieser Hoffnungsgestalten habe ich kennenlernen dürfen. Es ist Daoud Nassar, der mit seiner Familie ganz in der Nähe von Bethlehem lebt. „Wir weigern uns, Feinde zu sein“, steht am Eingangstor zu seinem großen Grundstück. Das Familiengrundstück umfasst einen 42 Hektar großen Weinberg mit über 4000 Olivenbäumen, dazu Aprikosenbäume und Reben. Ein begehrtes Stück Land. „Dahers Weinberg“ist der letzte nicht von israelischen Siedlern besetzte Hügel zwischen Jerusalem und Hebron im Westjordanland. Im Tal befindet sich das palästinensische Dorf Nahalin, auf den Hügeln rings um den Weinberg erstrecken sich gut ausgebaute israelische Siedlungen.
Daoud Nassar hat das Land von seinem Großvater Daher Nassar, einem christlichen Araber, geerbt. Dieser hatte es 1916 noch unter dem Sultan im Osmanischen Reich erworben. Die Besitzrechte an dem Grundstück sind mehrfach verbrieft – dennoch tobt seit 1991 ein Rechtsstreit darum. Vom Weinberg aus ließen sich tieferliegende Straßen und palästinensische Dörfer leicht kontrollieren – für den Verkauf des Grundstücks bekam Daoud Nassar von der israelischen Regierung viel Geld angeboten, sogar ein Visum für die Ausreise in die USA. Doch Geld ist nicht das, was Daoud Nassar für sein Land möchte.
Mauern abbauen und Vorurteile beseitigen
Er will in seinen Rechten anerkannt werden und dort leben können, wo er und seine Familie daheim sind. Im Jahr 2000 gründete er das Begegnungszentrum „Tent of Nations“(Zelt der Nationen). Sein großes Anliegen ist, dass Israelis und Palästinenser, Juden, Muslime und Christen sich begegnen und so besser verstehen lernen können. Er will Mauern abbauen und Vorurteile beseitigen. Das Angebot reicht von Sommercamps für Kinder aus Bethlehem über Computer-, Landwirtschaftsund Gesundheitskurse für Frauen bis hin zu gemeinschaftlichen Ernteaktionen. Besonders wichtig ist Daoud Nassar die Einladung zum Gespräch miteinander.
Ein Traum, der Anfang einer neuen Wirklichkeit sein könnte
Dieser Mann hat mich tief beeindruckt. Der kleine David gegen den übermächtigen Goliath, so sehe ich seinen mühsamen Kampf gegen die israelischen Einschüchterungsversuche. Daoud lehnt mit fast grenzenloser Beharrlichkeit den Weg der Gewalt ab und zeigt einen anderen Weg auf. Er lässt sich auch dann nicht zu Gewalt hinreißen, als ihm ein Großteil der Bäume und Weinstöcke mit Bulldozern zerstört wird. Er träumt nach wie vor von einem Zelt, in dem die verschiedensten Völker, Kulturen, Religionen zusammenkommen und einander respektvoll begegnen. Ein hoffnungsloser Idealist, ein Schöngeist, ein Gutmensch?
Er hat das Weihnachtsfest verstanden. Er ist erfüllt von der Friedensbotschaft der Geburt Christi und schöpft daraus die Kraft für seinen engagierten und beeindruckenden Einsatz. Mittlerweile ist aus seinen ersten Schritten eine Bewegung geworden, noch nicht stark genug, um die Verhältnisse in Palästina gänzlich zu ändern, aber doch ein Anfang, der immer mehr Solidarität erfährt und Menschen sammelt, die auf ihre Weise das Geschehen von Weihnachten fortsetzen. Das lässt hoffen. Am Anfang ist es nur ein Traum, aber wenn viele gemeinsam träumen, ist das der Beginn einer neuen Wirklichkeit.