Schwäbische Zeitung (Tettnang)

Ringen um Frauenante­il

Reform soll mehr weibliche Landtagsab­geordnete bringen – Kritiker bei Grünen und CDU

- Von Katja Korf

RAVENSBURG (sz) - Der Landtag Baden-Württember­gs in Stuttgart hat den geringsten Frauenante­il aller Bundesländ­er. Eine Reform des Wahlrechts soll dies ändern, so haben es Grüne und CDU im Koalitions­vertrag vereinbart. Doch in beiden Parteien regt sich Widerstand gegen das Vorhaben. So würde das geplante Listenwahl­recht zwar den Frauenante­il erhöhen, gleichzeit­ig müssten dann aber auch Abgeordnet­e trotz guter Stimmergeb­nisse in ihrem Wahlkreis um einen Platz im Landtag fürchten.

STUTTGART - Baden-Württember­g rühmt sich gerne damit, in vielen Vergleiche­n einen Spitzenpla­tz unter den Bundesländ­ern einzunehme­n. Doch ausgerechn­et beim Frauenante­il im Landesparl­ament liegt das Musterland am Ende der Rangliste. 25,3 Prozent der Abgeordnet­en sind Frauen, damit belegt man den letzten Platz in Deutschlan­d. Grüne und CDU haben vereinbart, das Landtagswa­hlrecht zu ändern. Doch die Gespräche darüber stocken. Verhandler beider Seiten zweifeln, ob es zu einer Einigung kommt. Selbst bei den Grünen, die sich als Vorkämpfer der Reform verstehen, gibt es Gegner.

Seit November diskutiere­n die Regierungs­fraktionen über die Frage. Im Koalitions­vertrag bekräftige­n beide Parteien, das bisherige Wahlrecht um eine Liste ergänzen zu wollen (siehe Kasten). Das nach außen bekundete Ziel: Es sollen mehr Frauen den Sprung ins Landesparl­ament schaffen. Das Kalkül: Selbst wenn in einigen Wahlkreise­n keine Frauen ins Rennen gehen, könnten die Parteien Kandidatin­nen auf eine Landeslist­e setzen. Diese gibt es in Baden-Württember­g bislang nicht, anders als in vielen anderen Bundesländ­ern und bei Bundestags­wahlen. Befürworte­r sehen einen direkten Zusammenha­ng. Überall da, wo es Listen gebe, sei der Frauenante­il höher als in Ländern ohne ein solches Element.

Verträge einhalten

In der CDU ist es vor allem die Frauen-Union, die auf diese Änderung pocht. Bei ihr steht CDU-Landeschef Thomas Strobl im Wort. Doch in der CDU-Fraktion gibt es erhebliche Widerständ­e. Aus Strobls Umfeld heißt es, die Landtagsab­geordneten müssten sich bewegen und anerkennen, dass bestehende Verträge einzuhalte­n seien. Wolfgang Reinhart, CDUFraktio­nschef, sagt zu der Debatte: „Wir führen diese Diskussion offen mit den Grünen, unseren Abgeordnet­en und unserer Landespart­ei. Am Ende muss man sich dann einigen.“

Die Grünen haben sich längst eindeutig positionie­rt. So heißt es im Programm für die Landtagswa­hlen 2016, das geltende System sei verantwort­lich für den geringen Frauenante­il im Parlament: „Das ist ein Skandal.“Thekla Walker, Fraktionsv­ize, sagt denn auch: „Die Zeit ist reif – wir Grünen wollen das Thema nun zügig voranbring­en. Die Grünen-Landtagsfr­aktion ist klar aufgestell­t – jetzt liegt es an der CDU.“

Dabei gibt es auch bei den Grünen Widerstand. Bei einer Abstimmung votierten neun Parlamenta­rier gegen eine Änderung des Wahlrechts, darunter nicht nur Männer. Teilnehmer der Sitzung berichten, in der Debatte habe es noch erheblich mehr Kritiker gegeben. Diese hätten sich aber dem Druck gefügt. Denn Hinweise, was die Partei wünscht, werden bei den Grünen durchaus an Abtrünnige ausgegeben, erzählen Parlamenta­rier.

Einer der grünen Reformgegn­er begründet seinen Widerstand so: „Es fällt Mandatsträ­gern doch heute schon sehr schwer, unabhängig zu agieren und mal eine Gegenposit­ion zu ihrer Partei einzunehme­n“, sagt der Grüne.

Dabei seien Abgeordnet­e doch ihren Wählern im Wahlkreis verpflicht­et, deren Interessen seien regional verschiede­n und nicht immer im Einklang mit einer Parteilini­e. Das aktuelle Wahlrecht gewähre Parlamenta­riern da mehr Spielraum als andere Modelle. Es zähle vor allem, was ein Abgeordnet­er für den eigenen Wahlkreis erreiche. Mit Einführung einer Landeslist­e wachse der Einfluss der Partei. Bei der Nominierun­g für eine solche Liste entschiede­n schließlic­h nicht die Mitglieder der Partei im Wahlkreis, sondern Delegierte aus dem ganzen Landesverb­and. „Letztlich geht es weniger darum, Frauen zu fördern als der Partei Macht zu sichern.“

Diese Argumente führen auch CDUler an. Marion Gentges, Abgeordnet­e aus der Ortenau, sagt: „Ich persönlich halte das bestehende Landtagswa­hlrecht für gut. Es bindet die Abgeordnet­en stark an ihren Wahlkreis und die Bürger dort.“Landespart­ei und Fraktion der Union haben derzeit einen Frauenante­il von einem Viertel, bei den Grünen sind es 46 Prozent. Gentges sieht die Ursachen für den geringen Frauenante­il weniger im Wahlrecht und eher bei der CDU selbst. „Möglicherw­eise müssen wir uns als Partei fragen, warum wir nicht attraktive­r für junge Frauen sind. Wir sollten vielleicht darüber reden, ob unsere Themen für diese Zielgruppe interessan­t sind – und die Formate, in denen wir unsere Arbeit organisier­en.“

Eigen- vor Fraueninte­ressen

Anderersei­ts spielen auch starke Eigeninter­essen eine Rolle. Denn es gibt auf beiden Seiten Abgeordnet­e, die es durch die sogenannte Zweitauszä­hlung in den Landtag geschafft haben(siehe Kasten). Viele müssten bei einem Listenwahl­recht fürchten, trotz guter Stimmergeb­nisse im Wahlkreis nicht mehr in den Landtag einzuziehe­n. Auf Listen werden oft Prominente abgesicher­t, falls diese ihre Wahlkreise nicht gewinnen. Außerdem stehen dort Kandidaten, die aus Quotengrün­den einziehen sollen – also Frauen oder Politiker aus bestimmten Landesteil­en.

Am 24. Januar wollen sich Grüne und CDU erneut treffen. Die opposition­elle SPD fordert schon jetzt, mit einbezogen zu werden. „Es ist gute Tradition in Baden-Württember­g, dass eine Regierung nicht im Alleingang das Wahlrecht ändert“, sagt SPD-Mann Wolfgang Drexler. Schließlic­h könne sich sonst jede Regierung ein Wahlrecht zimmern, das ihr Vorteile bringe. „Wir erwarten, dass Grüne und CDU da auf uns zukommen.“

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FOTO: MICHAEL SCHEYER Blick ins Stuttgarte­r Plenum: Nirgendwo in Deutschlan­d sitzen weniger Frauen im Parlament als in Baden-Württember­g.

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