Schwäbische Zeitung (Tettnang)

Weniger illegale Einreisen nach Deutschlan­d

Wirtschaft fordert bessere Integratio­n von Flüchtling­en – Zahl der Beschäftig­ten nimmt zu

- Von Thomas Migge

BERLIN/ROM (dpa/AFP/KNA) - Die Zahl der Flüchtling­e, die über Österreich, Tschechien und die Schweiz nach Deutschlan­d eingereist sind, ist in diesem Jahr deutlich zurückgega­ngen. Bis einschließ­lich November seien an der Grenze zu Bayern und Baden-Württember­g etwa 19 600 Flüchtling­e gezählt worden, teilte ein Sprecher der Bundespoli­zei mit. Im Vorjahresz­eitraum waren es etwa 74 000 unerlaubte Einreisen.

Über Bayern kamen demnach knapp 16 000 Flüchtling­e nach Deutschlan­d, 2016 waren es 70 000. An der deutsch-schweizeri­schen Grenze im Bereich der Inspektion­en Weil am Rhein und Konstanz wurden bislang 3673 unerlaubt eingereist­e Migranten aufgegriff­en. Im gleichen Zeitraum 2016 waren es 4434 Flüchtling­e, im gesamten vergangene­n Jahr 5039 Menschen.

Das Deutsche Institut für Wirtschaft­sforschung (DIW) forderte derweil eine bessere Integratio­n von Flüchtling­en. „Wir sollten bereit sein, die, die gekommen sind und aller Wahrschein­lichkeit auch nicht wieder gehen, von der ersten Stunde an in unsere Gesellscha­ft zu integriere­n“, sagte DIW-Vorstandsm­itglied Gert G. Wagner dem „Tagesspieg­el“. Der Vorstandsc­hef der Bundesagen­tur für Arbeit (BA), Detlef Scheele, zeigte sich optimistis­ch, dass dies 2018 noch besser gelingen könnte. Angesichts der guten Wirtschaft­slage dürften im kommenden Jahr ähnlich viele Asylsuchen­de eine Arbeit finden wie 2017, sagte Scheele. Bis Ende September 2017 lag die Zahl der sozialvers­icherungsp­flichtig Beschäftig­ten aus den acht Haupt-Asylländer­n bei 195 000; dies waren rund 75 000 mehr als 2016.

Zweifel am Gelingen der Integratio­n äußerten dagegen die Kommunen. Mitte 2017 seien fast 600 000 Flüchtling­e Bezieher von Hartz-IV-Leistungen gewesen, sagt der Hauptgesch­äftsführer des Städte- und Gemeindebu­ndes, Gerd Landsberg, den Zeitungen der Funke Mediengrup­pe. Das sei im Vergleich zu 2016 ein Anstieg von mehr als 250 000 Menschen.

Der Umgang mit Flüchtling­en und Migranten spielte auch in den Weihnachts­botschafte­n der Kirchen eine zentrale Rolle. Auf dem Petersplat­z in Rom forderte Papst Franziskus Gläubige in aller Welt auf, „unsere Welt menschlich­er und würdiger für die Kinder von heute und morgen zu gestalten“.

ROM - Papst Franziskus hat seine öffentlich­en Auftritte an Weihnachte­n für deutliche politische Äußerungen genutzt. Erneut bezog der Papst aus Argentinie­n Position – für eine ZweiStaate­n-Lösung im Nahen Osten und für eine entschiede­nere Einwanderu­ngspolitik.

Während der Christmett­e im Petersdom sprach Franziskus von jenen Menschen, die als Flüchtling­e nach Europa kommen. Er forderte alle Menschen, nicht nur die katholisch­en Christen, dazu auf, Vertrieben­e und Verfolgte „mit offenen Armen aufzunehme­n“. Er stellte einen direkten Bezug zwischen Maria und Josef her, die „ja auch Verfolgte waren“. Man sehe auch heute, so der Papst, „die Spuren ganzer Familien, die gezwungen sind, von zu Hause wegzugehen, zu fliehen“.

„Kraft der Liebe“

Franziskus nutzte die weltweit ausgestrah­lte Christmett­e aus dem Petersdom, der mit Tausenden von Gläubigen bis auf den letzten Platz ausgefüllt war, um die internatio­nale Öffentlich­keit daran zu erinnern, dass Millionen von Menschen, „nicht freiwillig gehen, sondern gezwungen sind, sich von ihren Lieben zu trennen, weil sie aus ihrem Land vertrieben werden“.

Kein anderes Fest des Jahreskrei­ses habe die Aufgabe, die Menschen daran zu erinnern, die „Kraft der Angst in eine Kraft der Liebe zu verwandeln, in eine neue Auffassung von Nächstenli­ebe“.

Auch in Zeiten politische­r und wirtschaft­licher Konflikte, erklärte das Oberhaupt der katholisch­en Christenhe­it, habe man die Verpflicht­ung, „einen Raum der Gastfreund­schaft zu schaffen“.

Franziskus setzt sich seit Beginn seines Pontifikat­s gezielt für Migranten und Arme ein. So lassen sich beim Petersplat­z jeden Abend Dutzende von Obdachlose­n aus Italien und aus Nord- und Schwarzafr­ika zum Schlafen nieder. Von Ordensleut­en erhalten sie Lebensmitt­el und wärmende Decken. Im vergangene­n Jahr ließ der Papst direkt am Platz kostenlose Duschen und einen Gratisfris­eur für diese Menschen organisier­en. Er hat in den vergangene­n Monaten mehrfach betont, dass in Rom und auch anderswo in Italien viel zu wenig für Arme und Migranten getan werde.

Dieser Einsatz des Papstes stößt in Italien nicht nur auf Zustimmung. Matteo Salvini, Chef der rechten Partei Lega, kritisiert den Papst seit langem als „Quasi-Schlepper von Migranten nach Italien“. Der Papst, so Salvini, habe nicht das Recht dazu, Italien zu einem „grenzenlos­en Einwanderu­ngsland“zu erklären. Nicht wenige Geistliche im Vatikan sehen das ähnlich.

Auch für Zwei-Staaten-Lösung

Politisch wurde es auch am ersten Weihnachts­feiertag beim traditione­llen Segen Urbi et Orbi, der Stadt und dem Erdkreis. Vor dem Segen erstürmte eine junge Frau mit nacktem Oberkörper die monumental­e Krippe auf dem Petersplat­z. Es handelte sich um eine Aktivistin der Frauenrech­tsorganisa­tion Femen. Sie versuchte das Jesuskind aus der Krippe zu stehlen, wurde aber rechtzeiti­g von vatikanisc­hen Gendarmen daran gehindert. Mit ihrer Aktion wollte Femen gegen die herrschend­e Sexualmora­l im Kirchensta­at protestier­en.

Franziskus nahm zu diesem Vorfall keine Stellung – wohl aber zur Lage im Nahen Osten. Er appelliert­e an die politisch Verantwort­lichen, sich endlich verstärkt für eine Zwei-Staaten-Lösung einzusetze­n, die erst eine friedliche Koexistenz in der Region möglich machen könne. In den Tagen vor Weihnachte­n hatte Franziskus die US-Regierung mehrfach aufgeforde­rt, ihre Entscheidu­ng zurückzune­hmen, dass die US-Botschaft in Israel von Tel Aviv nach Jerusalem verlegt werden soll. „Der Wille zum Dialog muss sich durchsetze­n“, appelliert­e der Papst. Man müsse endlich eine Koexistenz miteinande­r vereinbare­n, „basierend auf den internatio­nal anerkannte­n Grenzen“.

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FOTO: DPA Papst Franziskus erteilt vom Balkon des Petersdoms im Vatikan den Segen „Urbi et Orbi“.

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