Schwäbische Zeitung (Tettnang)
Weniger illegale Einreisen nach Deutschland
Wirtschaft fordert bessere Integration von Flüchtlingen – Zahl der Beschäftigten nimmt zu
BERLIN/ROM (dpa/AFP/KNA) - Die Zahl der Flüchtlinge, die über Österreich, Tschechien und die Schweiz nach Deutschland eingereist sind, ist in diesem Jahr deutlich zurückgegangen. Bis einschließlich November seien an der Grenze zu Bayern und Baden-Württemberg etwa 19 600 Flüchtlinge gezählt worden, teilte ein Sprecher der Bundespolizei mit. Im Vorjahreszeitraum waren es etwa 74 000 unerlaubte Einreisen.
Über Bayern kamen demnach knapp 16 000 Flüchtlinge nach Deutschland, 2016 waren es 70 000. An der deutsch-schweizerischen Grenze im Bereich der Inspektionen Weil am Rhein und Konstanz wurden bislang 3673 unerlaubt eingereiste Migranten aufgegriffen. Im gleichen Zeitraum 2016 waren es 4434 Flüchtlinge, im gesamten vergangenen Jahr 5039 Menschen.
Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) forderte derweil eine bessere Integration von Flüchtlingen. „Wir sollten bereit sein, die, die gekommen sind und aller Wahrscheinlichkeit auch nicht wieder gehen, von der ersten Stunde an in unsere Gesellschaft zu integrieren“, sagte DIW-Vorstandsmitglied Gert G. Wagner dem „Tagesspiegel“. Der Vorstandschef der Bundesagentur für Arbeit (BA), Detlef Scheele, zeigte sich optimistisch, dass dies 2018 noch besser gelingen könnte. Angesichts der guten Wirtschaftslage dürften im kommenden Jahr ähnlich viele Asylsuchende eine Arbeit finden wie 2017, sagte Scheele. Bis Ende September 2017 lag die Zahl der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten aus den acht Haupt-Asylländern bei 195 000; dies waren rund 75 000 mehr als 2016.
Zweifel am Gelingen der Integration äußerten dagegen die Kommunen. Mitte 2017 seien fast 600 000 Flüchtlinge Bezieher von Hartz-IV-Leistungen gewesen, sagt der Hauptgeschäftsführer des Städte- und Gemeindebundes, Gerd Landsberg, den Zeitungen der Funke Mediengruppe. Das sei im Vergleich zu 2016 ein Anstieg von mehr als 250 000 Menschen.
Der Umgang mit Flüchtlingen und Migranten spielte auch in den Weihnachtsbotschaften der Kirchen eine zentrale Rolle. Auf dem Petersplatz in Rom forderte Papst Franziskus Gläubige in aller Welt auf, „unsere Welt menschlicher und würdiger für die Kinder von heute und morgen zu gestalten“.
ROM - Papst Franziskus hat seine öffentlichen Auftritte an Weihnachten für deutliche politische Äußerungen genutzt. Erneut bezog der Papst aus Argentinien Position – für eine ZweiStaaten-Lösung im Nahen Osten und für eine entschiedenere Einwanderungspolitik.
Während der Christmette im Petersdom sprach Franziskus von jenen Menschen, die als Flüchtlinge nach Europa kommen. Er forderte alle Menschen, nicht nur die katholischen Christen, dazu auf, Vertriebene und Verfolgte „mit offenen Armen aufzunehmen“. Er stellte einen direkten Bezug zwischen Maria und Josef her, die „ja auch Verfolgte waren“. Man sehe auch heute, so der Papst, „die Spuren ganzer Familien, die gezwungen sind, von zu Hause wegzugehen, zu fliehen“.
„Kraft der Liebe“
Franziskus nutzte die weltweit ausgestrahlte Christmette aus dem Petersdom, der mit Tausenden von Gläubigen bis auf den letzten Platz ausgefüllt war, um die internationale Öffentlichkeit daran zu erinnern, dass Millionen von Menschen, „nicht freiwillig gehen, sondern gezwungen sind, sich von ihren Lieben zu trennen, weil sie aus ihrem Land vertrieben werden“.
Kein anderes Fest des Jahreskreises habe die Aufgabe, die Menschen daran zu erinnern, die „Kraft der Angst in eine Kraft der Liebe zu verwandeln, in eine neue Auffassung von Nächstenliebe“.
Auch in Zeiten politischer und wirtschaftlicher Konflikte, erklärte das Oberhaupt der katholischen Christenheit, habe man die Verpflichtung, „einen Raum der Gastfreundschaft zu schaffen“.
Franziskus setzt sich seit Beginn seines Pontifikats gezielt für Migranten und Arme ein. So lassen sich beim Petersplatz jeden Abend Dutzende von Obdachlosen aus Italien und aus Nord- und Schwarzafrika zum Schlafen nieder. Von Ordensleuten erhalten sie Lebensmittel und wärmende Decken. Im vergangenen Jahr ließ der Papst direkt am Platz kostenlose Duschen und einen Gratisfriseur für diese Menschen organisieren. Er hat in den vergangenen Monaten mehrfach betont, dass in Rom und auch anderswo in Italien viel zu wenig für Arme und Migranten getan werde.
Dieser Einsatz des Papstes stößt in Italien nicht nur auf Zustimmung. Matteo Salvini, Chef der rechten Partei Lega, kritisiert den Papst seit langem als „Quasi-Schlepper von Migranten nach Italien“. Der Papst, so Salvini, habe nicht das Recht dazu, Italien zu einem „grenzenlosen Einwanderungsland“zu erklären. Nicht wenige Geistliche im Vatikan sehen das ähnlich.
Auch für Zwei-Staaten-Lösung
Politisch wurde es auch am ersten Weihnachtsfeiertag beim traditionellen Segen Urbi et Orbi, der Stadt und dem Erdkreis. Vor dem Segen erstürmte eine junge Frau mit nacktem Oberkörper die monumentale Krippe auf dem Petersplatz. Es handelte sich um eine Aktivistin der Frauenrechtsorganisation Femen. Sie versuchte das Jesuskind aus der Krippe zu stehlen, wurde aber rechtzeitig von vatikanischen Gendarmen daran gehindert. Mit ihrer Aktion wollte Femen gegen die herrschende Sexualmoral im Kirchenstaat protestieren.
Franziskus nahm zu diesem Vorfall keine Stellung – wohl aber zur Lage im Nahen Osten. Er appellierte an die politisch Verantwortlichen, sich endlich verstärkt für eine Zwei-Staaten-Lösung einzusetzen, die erst eine friedliche Koexistenz in der Region möglich machen könne. In den Tagen vor Weihnachten hatte Franziskus die US-Regierung mehrfach aufgefordert, ihre Entscheidung zurückzunehmen, dass die US-Botschaft in Israel von Tel Aviv nach Jerusalem verlegt werden soll. „Der Wille zum Dialog muss sich durchsetzen“, appellierte der Papst. Man müsse endlich eine Koexistenz miteinander vereinbaren, „basierend auf den international anerkannten Grenzen“.