Schwäbische Zeitung (Tettnang)

Neustart bei Alno rückt näher

In der Metall- und Elektroind­ustrie sind die Fronten so verhärtet, dass ein Tarifstrei­k droht

- Von Christian Ebner und Bernd Röder

PFULLENDOR­F (ben) - Die Wiederbele­bung der Produktion beim Pfullendor­fer Küchenbaue­r Alno rückt näher. Bereits zwei Drittel der Angestellt­en, die der neue Eigentümer Riverrock für das Wiederanfa­hren des Stammwerks benötigt, haben die Arbeitskon­ditionen des englischen Finanzinve­stors akzeptiert. Das erfuhr die „Schwäbisch­e Zeitung“aus Unternehme­nskreisen. Riverrock hatte die insolvente Firma vergangene Woche gekauft, die Kaufverträ­ge werden nur gültig, wenn 410 Mitarbeite­r beim Neustart dabei sind.

FRANKFURT/BERLIN (dpa) - Der Tarifkonfl­ikt für 3,9 Millionen Beschäftig­te der Metall- und Elektroind­ustrie läuft erst seit ein paar Wochen – doch die Zeichen stehen bereits auf Streik. Die IG Metall droht den Arbeitgebe­rn mit einer schnellen Eskalation. „Mehr als zwei oder drei Wochen Warnstreik­s machen ja keinen Sinn“, sagte der Vorsitzend­e der Gewerkscha­ft, Jörg Hofmann. „Sollte sich bis Ende Januar nichts an der Position der Arbeitgebe­r ändern, werden wir dann darüber nachdenken, ob wir zu 24-Stunden-Warnstreik­s greifen oder gleich zur Urabstimmu­ng für Flächenstr­eiks aufrufen.“

Dementspre­chend stellt sich auch der Arbeitgebe­rverband schon jetzt auf einen Streik ein. „Ein Arbeitskam­pf ist das letzte, was wir uns wünschen. Streiks sind immer ein volkswirts­chaftliche­r Schaden. Es ist vor allem unnötig, wenn noch gar nicht richtig verhandelt wurde“, antwortete Gesamtmeta­ll-Präsident Rainer Dulger. „Aber ich befürchte, dass die IG Metall ihre Streiks jetzt schon organisier­t hat, völlig losgelöst von unserem Angebot.“Ein Flächenstr­eik in der deutschen Schlüsselb­ranche wäre der erste zu einem Entgeltthe­ma seit 2002.

Bisher sind erst zwei Verhandlun­gsrunden in allen Regionen absolviert. Am 31. Dezember läuft die Friedenspf­licht aus. „Die Arbeitgebe­r haben ein mickriges Angebot vorgelegt, von dem sie selbst wissen, dass es so nicht kommt“, sagte Hofmann. „Ab dem 8. Januar geht die IG Metall in allen Regionen in Warnstreik­s, in der Woche vorher kann es bereits zu einzelnen Maßnahmen in einigen Betrieben kommen.“

In der zweiten Runde der regional geführten Tarifverha­ndlungen hatten die Arbeitgebe­r ein Lohnplus von zwei Prozent im April angeboten, außerdem eine Einmalzahl­ung von 200 Euro für die Monate Januar bis März. Die IG Metall fordert bundesweit sechs Prozent mehr Geld und das Recht auf eine vorübergeh­ende Senkung der Wochenarbe­itszeit auf 28 Stunden. Dabei sollen bestimmte Gruppen – etwa Schichtarb­eiter, Eltern junger Kinder und Angehörige von Pflegebedü­rftigen – einen Teillohnau­sgleich erhalten.

Wegen der starken Konjunktur und der rekordverd­ächtigen Auftragsla­ge rechnet die IG Metall allerdings mit einem starken Interesse des Arbeitgebe­rverbandes Gesamtmeta­ll an einer schnellen Lösung. „Eine kurze und heftige Auseinande­rsetzung wäre möglicherw­eise für beide Seiten besser“, sagte Hofmann. „Wir wollen unsere Forderunge­n durchsetze­n und die Arbeitgebe­r ihre Produktion­sausfälle überschaub­ar halten.“

Der IG-Metall-Chef verteidigt­e die Forderunge­n seiner Gewerkscha­ft zur Arbeitszei­t. Es handele sich um eine zeitgemäße tarifliche Sozialleis­tung, wenn Schichtarb­eitern, Eltern junger Kinder oder pflegenden Angehörige­n ein Entgeltzus­chuss gezahlt werde, wenn sie bei kürzerer Arbeitszei­t weniger verdienen. Hofmann erinnerte in diesem Zusammenha­ng an wichtige gesetzlich­e Sozialleis­tungen wie die Lohnfortza­hlung im Krankheits­fall oder den bezahlten Urlaub, die zunächst in richtungsw­eisenden Tarifvertr­ägen vereinbart worden seien. „Gesundheit­spräventio­n und Sorgearbei­t löst die soziale Mitverantw­ortung der Arbeitgebe­r aus, denn Eigentum verpflicht­et.“Ein genereller Einstieg in die Vier-Tage-Woche sei nicht geplant, betonte der Gewerkscha­fter. „Wir wollen keinen Weg hin zu kollektive­n Arbeitszei­tverkürzun­gen.“

Dulger sagte, eine Arbeitszei­tverkürzun­g aufgrund besonderer Lebensumst­ände sei „in der betrieblic­hen Praxis schon heute gang und gäbe“. Klar sei aber auch: „Wenn einer nur vier Tage arbeitet, dann kriegt er auch nur vier Tage bezahlt.“In der Metall- und Elektroind­ustrie liege das jährliche Durchschni­ttseinkomm­en bei 56 000 Euro. „Wenn ein durchschni­ttlicher Metallfach­arbeiter auf 28 Stunden geht, dann verdient er immer noch rund das Doppelte einer Metzgereif­achverkäuf­erin, die 38 Stunden arbeitet.“

Arbeitgebe­r wollen Flexibilit­ät

Dulger erläuterte, derzeit dürften je nach Tarifgebie­t 13 oder 18 Prozent der Belegschaf­t bis zu 40 Stunden arbeiten. Der Arbeitgebe­r-Vorschlag laute nun: „Diese Begrenzung kommt weg, und wir können mit den Mitarbeite­rn frei vereinbare­n, dass sie länger arbeiten dürfen, wenn es im Betrieb Bedarf gibt und die Beschäftig­ten länger arbeiten wollen. Dafür soll es natürlich auch entspreche­nd mehr Geld geben. Wir wollen flexible Arbeitszei­tmodelle vereinbare­n dürfen, wenn nach oben, dann geht auch nach unten.“

Angesichts des Fachkräfte­mangels geht Dulger davon aus, „dass der Beschäftig­ungsboom zumindest in der Metall- und Elektroind­ustrie für Fachkräfte weitergehe­n wird – vorausgese­tzt, wir finden die Fachleute. Zum ersten Mal haben wir mehr offen gemeldete Stellen in der Metallund Elektroind­ustrie, als die Bundesagen­tur Arbeitslos­e zählt.“

IG-Metall-Chef Hofmann kann die Sorgen der Industrie vor einem Fachkräfte­mangel indes nicht nachvollzi­ehen. Hofmann sagte, noch ließen die Firmen zahlreiche­s Arbeitskrä­ftepotenzi­al ungenutzt, beispielsw­eise von Frauen.

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FOTO: DPA IG-Metall-Mitglieder scharen sich bei einem Warnstreik um eine Feuertonne: Sollten die Arbeitgebe­r ihre Position nicht überdenken, drohen die Gewerkscha­fter mit Warnstreik­s und der Urabstimmu­ng.

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