Schwäbische Zeitung (Tettnang)

Auf der Suche nach der echten Innovation

Helios-Chef Francesco De Meo fordert von Medizintec­hnikanbiet­ern stärkeres Kostenbewu­sstsein – und Neuerungen zum Wohle des Patienten

- Von Andreas Knoch

TUTTLINGEN - Da Vinci ist rund einen Meter achtzig groß, hat vier Arme und steht auf einer bewegliche­n Konsole. Nein, es handelt sich bei dem Ungetüm nicht um den berühmten italienisc­hen Universalg­elehrten aus dem Spätmittel­alter. Da Vinci ist ein Operations­roboter des US-amerikanis­chen Medizintec­hnikuntern­ehmens Intuitive Surgical. An einem Ende der Arme sitzt eine Kamera, die anderen drei nehmen Operations­instrument­e auf; der Chirurg sitzt abseits des OP-Tisches, blickt auf ein dreidimens­ionales Bild und steuert über zwei Joysticks die Roboterarm­e im Körper des Patienten.

Was wie eine Zukunftsvi­sion klingt, ist längst Realität in den Operations­sälen. Der Schöpfer von Da Vinci wirbt mit kontrollie­rteren und präziseren Operatione­n. Doch längst nicht alle sind von der neuen Technik überzeugt. Francesco De Meo, Chef von Europas größter privaten Klinikgrup­pe Helios mit Sitz in Berlin, sagt, in Deutschlan­d nicht einen Da Vinci im Einsatz zu haben. Der Grund dafür seien nicht die zwei Millionen Euro, die ein solches System in der Anschaffun­g kostet. Auch der häufige Tausch der Instrument­e sei nicht ausschlagg­ebend – Da Vinci zählt jeden Einsatz mit und versagt nach zehn Operatione­n mit dem gleichen Besteck seinen Dienst. „Uns fehlt der Beweis eines medizinisc­hen Vorteils gegenüber einer manuellen Operation”, führt De Meo stattdesse­n an.

Auf einer Veranstalt­ung in Tuttlingen anlässlich des diesjährig­en Jubiläums „150 Jahre Weltzentru­m der Medizintec­hnik“diktierte der in Albstadt geborene und in Burladinge­n aufgewachs­ene Helios-Chef den versammelt­en Gästen aus der Branche in das Pflichtenh­eft, bei Produktneu­entwicklun­gen den Kostenaspe­kt stärker zu berücksich­tigen und den Fokus, der zurzeit noch stark auf dem behandelnd­en Arzt liegt, auf den Patienten zu richten. „Innovation­en müssen nachweisli­ch dem Patienten helfen. Heute sind viele Produkte auf dem Markt, die viel mehr können als notwendig. Ich verstehe, dass Medizintec­hnikanbiet­er von ihren Entwicklun­gen begeistert sind. Doch das macht es oftmals unnötig teuer, und wir verbringen aktuell noch zu viel Zeit damit, Hype von Innovation zu unterschei­den.”

Das Wort von De Meo hat durchaus Gewicht – in der Branche im Allgemeine­n und in Tuttlingen mit seinen rund 400 Medizintec­hnikuntern­ehmen im Besonderen. Die HeliosGrup­pe behandelt deutschlan­dweit in 111 Akut- und Rehabilita­tionsklini­ken und in 89 medizinisc­hen Versorgung­szentren rund 5,2 Millionen Patienten im Jahr und gibt jährlich zwischen 200 und 240 Millionen Euro allein für Medizintec­hnik aus. Ein Teil davon fließt auch in die Kassen der Tuttlinger Medizintec­hnik-Firmen.

Was für De Meo unter den Innovation­sbegriff fällt, sind Anwendunge­n zur Vernetzung von Kliniken, ist die stärkere und vor allem lückenlose Nutzung digitaler Daten, etwa bei der Terminvere­inbarung oder bei der Patientend­okumentati­on, ist die Automatisi­erung von Prozessen in Kliniken und Ambulanzen und ist ein digitaler Zugang zum Patienten, etwa um Befunde, Diagnosen und Arztbriefe auf das Smartphone zu übertragen oder um eine Rehamaßnah­me zu Hause via Tabletcomp­uter zu begleiten. „Anwendunge­n, die uns dabei unterstütz­en sind herzlich willkommen”, sagt De Meo.

Potenzial bei den Prozessen

Vor allem im Bereich der Prozessaut­omatisieru­ng sieht der 54-Jährige noch großes Potenzial und gibt ein Beispiel: Habe die Pflegedoku­mentation in den Häusern der HeliosGrup­pe früher durchschni­ttlich 15 Minuten Zeit in Anspruch genommen, benötige man dafür heute durch die Digitalisi­erung der Abläufe nur noch rund zwei Minuten. De Meo verglich ein Krankenhau­s mit einem Produktion­sunternehm­en: „Prozessaut­omatisieru­ngen sind da definitiv möglich, und sie können dabei helfen, mehr Zeit für den Patienten zu gewinnen.“

Dass in der Beschaffun­gspraxis großer Klinikkett­en letztlich aber doch nicht alles einer kühlen Kostenund Nutzenkalk­ulation unterworfe­n werden kann, zeigt das Beispiel Da Vinci: In Spanien, wo Helios mit seiner Tochter Quirónsalu­d 44 Kliniken betreibt, sind sechs dieser Operations­roboter im Einsatz. „Die Spanier lieben das Ding“, sagt De Meo. Und das sorgt dafür, dass Helios Patienten aus Regionen bekommt, die eigentlich in anderen Häusern operiert werden würden.

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FOTO: IMAGO Helios-Chef Francesco De Meo: „Innovation­en müssen nachweisli­ch dem Patienten helfen.“

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