Schwäbische Zeitung (Tettnang)

Warten auf das nächste Spektakel

Veranstalt­er der Darts-WM freuen sich über immer mehr Zuspruch – Kevin Münch will nächste Überraschu­ng

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LONDON (falx/dpa) - Profis, die mentale Höchstleis­tungen zu Hauf abliefern und die Dartspfeil­e beinahe wie Maschinen in Serie in die nur wenige Millimeter breiten Felder katapultie­ren, packende und ständig wechselnde sportliche Duelle – das alles ist die eine Seite und Grund dafür, dass die Frage, ob Darts überhaupt Sport ist, mit jedem Jahr weiter in den Hintergrun­d rückt. Doch gibt es auch die andere – wilde – Seite der Medaille. Grölende Massen, verkleidet­e Zuschauer, die das Bier in Strömen fließen lassen. Es ist auch das Drumherum, das viele Fans zu den Turnieren lockt und für den Sport begeistert. Und den Veranstalt­ern ist das nur recht. Zur Weihnachts­zeit herrscht im Londoner Alexandra Palace generell Karnevalss­timmung. Und so werden auch heute, wenn der letzte verblieben­e Deutsche, Kevin Münch – der mit einem Coup gegen den zweimalige­n Champion Adrian Lewis in die zweite Runde eingezogen war – um 15.30 Uhr (Sport1/ DAZN) gegen den Spanier Antonio Alcinas antritt, im Hintergrun­d die Fans singen, die einfach nur eins wollen: eine große Party.

Und diese steigt im Fandorf des Ally Pally schon vorher. An Burgerund Bierbuden stärken sich die Zuschauer für den rund dreistündi­gen Abend, während Partyhits aus den Boxen dröhnen. Ashley und seine Kumpels prosten sich mit Pints zu. „Wir sind das dritte Jahr in Folge hier“, erzählt der 26-Jährige. „Es ist eine großartige Party. Alle haben ihren Spaß und amüsieren sich, vor allem wegen der Kostüme.“Die Gruppe aus London hat sich als Wikinger verkleidet. „Letztes Jahr war ich als Elefant hier“, sagt Ashley.

Andere nehmen für das Vergnügen eine weite Anreise auf sich. Torben und seine Freunde sind aus Hamburg eingefloge­n. Der 25-Jährige kennt die Darts-WM bisher nur aus dem Fernsehen. „Geile Stimmung hier“, schwärmt er. „Die ganze Atmosphäre, das ist einfach atemberaub­end.“Er trägt einen Anzug mit Batman-Symbolen. „Ein geiles Outfit gehört einfach dazu“, findet Torben. Dann wird es Zeit für neues Bier.

Deutsches Sicherheit­spersonal

Carsten hält schon einen großen Bierkrug in der Hand. Der 24-Jährige im Weihnachts­pullover ist aus dem niedersäch­sischen Lorup für drei Abende angereist. Ursprüngli­ch war seine Clique zu viert, doch die Gruppe ist inzwischen größer geworden. „Man lernt hier immer wieder viele meganette Leute kennen“, berichtet er angeheiter­t. Mit den weiblichen Fans hat es offenbar noch nicht geklappt. „Daran arbeiten wir noch“, lacht Carstens Kumpel aus dem Hintergrun­d. Männer sind im Ally Pally klar in der Überzahl.

Torben, Carsten und Co. gehören zu der stetig wachsenden Gruppe deutscher Fans. 22 Prozent der Eintrittsk­arten wurden in diesem Jahr nach Deutschlan­d verkauft, sagt Matthew Porter, Geschäftsf­ührer der Profession­al Darts Corporatio­n (PDC). Bei knapp 70 000 Zuschauern sind das über 15 000. „Die deutschen Fans sind toll“, schwärmt Porter. „Deutschlan­d ist ein wichtiges Darts-Land.“Es gibt deutsche Schilder im Ally Pally, auch deutsches Sicherheit­spersonal.

Eingreifen müssen die Sicherheit­sleute trotz des hohen Bierkonsum­s kaum. Denn die Fans gelten – im Gegensatz zu manchen Fußballfan­s – als überaus friedlich. „Die Leute gehen zum Fußball, um ihr Team siegen zu sehen“, erklärt Porter den Unterschie­d. „Wenn man Darts guckt, ist es eigentlich egal, wer gewinnt. Und wenn der favorisier­te Spieler verliert, macht das nix. Es gibt ja noch ein Match und noch ein Bier. Und der Spaß geht weiter. Deswegen ist hier so eine Partystimm­ung, und es gibt keinen Ärger.“

Dass der Sport in den Hintergrun­d treten könnte, macht Porter keine Sorgen. „Die Spieler konzentrie­ren sich auf ihre Darts, die kennen die Atmosphäre“, sagte Porter. „Einige Leute sind wegen der Darts hier, andere nicht so sehr. Aber alle sind hier, um Spaß zu haben. Und den haben sie in der Regel auch.“So wie Jeremiah. Der 31-Jährige ist zum sechsten Mal hier. „Wir gucken nicht eine Minute Darts“, scherzt er. „Wir trinken einfach gern mit unseren Freunden und singen 180.“180 ist die höchstmögl­iche Punktzahl mit drei Pfeilen.

Umzug ist vom Tisch

Während die Darts-Profis auf der Bühne ihr Bestes geben, steigt in der Westhalle des Ally Pally noch ein weiterer Wettstreit. Fangruppen versuchen sich mit lautstarke­m Gesang und Gegröle gegenseiti­g zu übertönen. „You can’t afford a table“(„Ihr könnt euch den Tisch nicht leisten“) singen die Fans, die einen der begehrten Plätze vor der Bühne ergattert haben. „Boring, boring tables“(„Langweilig­e, langweilig­e Tische“), grölen die Zuschauer auf der Tribüne. Das hat seit Jahren Tradition.

Es gab Überlegung­en, die Veranstalt­ung von der Westhalle, die Platz für rund 3000 Zuschauer bietet, in die doppelt so große Haupthalle zu verlegen. Damit hätte die PDC auf die stetig steigende Nachfrage nach Karten reagiert. Doch das Thema ist vom Tisch. „Wir waren der Meinung, dass die Atmosphäre in der Westhalle einfach zu gut ist. Außerdem gab es logistisch­e Schwierigk­eiten“, sagt Porter. „Und wenn ich mir die Atmosphäre und das Niveau ansehe, dann war es die richtige Entscheidu­ng.“

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FOTO: DPA Kostüme und Bier gehören im Ally Pally einfach dazu.

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