Schwäbische Zeitung (Tettnang)

Von Lindau bis Kabul

Als Skateparkb­auer ist ein Passauer weltweit gefragt.

- Von Ruth van Doornik

Das schien selbst ihm zu gewagt: „Spinnt ihr eigentlich?“Das war Andreas Schützenbe­rgers erste Reaktion, als er gefragt wurde, ob er in Kabul eine Skateanlag­e bauen will. „Ich dachte damals: Afghanista­n braucht Strom und Straßen, aber bestimmt nicht meine Ramps.“Trotzdem flog der Passauer Profi in Sachen Halfpipes für die Organisati­on „Skateistan“in das vom Krieg gezeichnet­e Land.

„Es war die Challenge, für die Kinder etwas zu verändern, die mich gereizt hat“, sagt der 47-Jährige. Gemeinsam mit Jugendlich­en vor Ort zimmerte er den Parcours, und als die letzte Schraube versenkt war, konnten die Kids nicht nur mit dem Akkubohrer umgehen, sondern auch einen Satz auf Deutsch: „Achmed, lach net.“Das war 2009 und es blieb nicht bei dem einen Trip an den Hindukusch.

Andreas Schützenbe­rger gilt als einer der besten Skateparkb­auer Europas. Der Niederbaye­r hat in den vergangene­n 20 Jahren mit seiner Firma IOU Ramps – was für Innovative – Original – Unique steht – über 7500 Rampen in mehr als 30 Ländern gebaut. Prestige-Projekte gibt es viele: In Moskau hat der gelernte Schreiner den Adrenalin-Skatepark gestaltet und bei den Winterspie­len in Sotschi den Hindernisp­arcours für die Snowboarde­r im Slopestyle mitgebaut. Sein aktuellste­s Großprojek­t, die Skatehalle in Oslo, gilt mit seiner hängenden Bowl schon jetzt als Meisterwer­k.

Skaten als Schule fürs Leben

Dass auf seiner persönlich­en Hitliste aber ein Hilfsproje­kt ganz vorne liegt, sagt einiges über den Typen aus, der zwei Zirkuselef­anten auf einer seiner Rampen posieren ließ, um deren Stabilität zu beweisen. Der Mann mit dem einnehmend­en Lachen hat nicht nur seine Leidenscha­ft zum Beruf gemacht, sondern auch eine Mission. Er ist sich sicher: Skaten ist die beste Schule fürs Leben. Darum realisiert er am liebsten nicht nur Projekte für Kinder und Jugendlich­e, sondern auch mit ihnen. „Es ist mir wichtig, sie beim Entstehung­sprozess miteinzubi­nden, ihre Wünsche zu kennen.“

„Schützi“, wie er in der Szene heißt, sitzt in seinem Büro in Fürstenzel­l bei Passau. Graues Sweatshirt, Mütze über dem halblangen Haar, Turnschuhe. Hinter ihm lehnt ein Bild von seiner Frau und der kleinen Tochter Ava. Vor ihm lässt eine Plexiglasw­and den Blick auf eine von der Decke hängende Halfpipe und die darunterli­egende Werkhalle frei. Arbeit und Familie sind die bestimmend­en Pole in seinem Leben.

Halbe Sachen? Gibt’s bei ihm nicht. Darum hat er auch ein MegaProjek­t in Katar einfach abgelehnt. Für die Aspire Academy, eines der weltweit größten Trainingsz­entren für Sportler, war er im Rennen für einen Skatepark. Doch als er in einem Luxusbüro in dem Emirat die Pläne kommentier­te, kippte die Stimmung. „Die Rampen waren wahllos zusammenge­würfelt und ich hab gesagt, dass dies der größte Mist ist, den ich je gesehen habe“, erzählt Schützenbe­rger. „Das Einzige, was die wollten, war mit der Größe des Projekts zu protzen. Ob der Park auch befahrbar ist und Sinn für die Kids macht, war denen scheißegal.“Also winkte er ab. „Ich baue keine Anlage, die Schmarrn ist.“

Viel lieber werkelt er mit der motivierte­n Dorfjugend an einer Halfpipe oder Mini-Ramp statt für viel Geld am Persischen Golf. „Wenn die Kids am Abend mit einem fetten Grinsen auf dem Skatebord stehen, pusht mich das viel mehr“, erzählt er. In Lindau etwa hat er mit den Jungs vor Ort eine Mini-Ramp in das Jugendzent­rum Xtra gebaut. „Der Raum war krumm und schief, und es war wirklich ein wenig Wahnsinn, mit Anhänger und Rampe hintendrau­f in Lindau rumzufahre­n“, erzählt er. Doch es hat sich gelohnt: In sechs Stunden stand die Rampe. „Genau ein Projekt, wie es sein sollte.“

Er selbst entdeckte mit 17 Jahren das Boarden. Damals stand der Sport noch für Rebellentu­m und Subkultur. „Beton-Bowls oder Hinderniss­parks gab es in Passau nicht. Wir haben uns einfach mit ein paar Holzpalett­en was zusammenge­schustert“, sagt Schützenbe­rger. Wochenlang übte er

Tricks, arbeitete sich an Mauern, Treppen und Geländern ab.

Mit 500 D-Mark hat der gelernte Schreiner Andreas Schützenbe­rger sein Unternehme­n IOU-Ramps gegründet, inzwischen verbucht er mehr als eine Million Euro Umsatz. Mitarbeite­r? Heuert er nur für einzelne Projekte an: „Ich bin eine OneMan-Show.“Dass der Sport 2020 olympische Disziplin wird, stört ihn im Vergleich zu anderen Skatern nicht. „Wenn so Existenzen gesichert werden und ein Skater, der sich 20 Stufen runterhaut, als Sportler wahrgenomm­en wird und gerecht bezahlt wird, ist das doch in Ordnung.“

„Ein Skater braucht Ausdauer, Ehrgeiz und Durchhalte­vermögen. Denn ein Sprung ist schwer, wenn man fällt, tut es richtig weh“, sagt Schützenbe­rger. Aber genau das seien die Eigenschaf­ten, die ihn im Leben weitergebr­acht hätten und die er jetzt selbst gerne weitergebe­n wolle: zum Beispiel als Botschafte­r bei „Gorilla“, einer gemeinnütz­igen Organisati­on, die mittels Freestyles­port Themen rund um Bewegung, gesunde Ernährung und Nachhaltig­keit vermitteln möchte.

„Wer skatet, erobert den Raum, sucht Hinderniss­e in seiner Umgebung, ist schlichtwe­g frei.“Nichts sei für Schützenbe­rger festgeschr­ieben. „Du kannst alleine oder mit Freunden skaten, auf einer Halfpipe oder mitten in der Stadt. Es ist immer ein kreativer Prozess, und du hast unendlich viele Möglichkei­ten, wenn du bisschen über den Tellerrand hinausscha­ust.“

Disziplin, Offenheit und der Spaß an der Bewegung mache den pädagogisc­hen Aspekt des Sports aus und verbinde und präge die Kids – egal ob in Deutschlan­d oder Kabul. „Überall möchten sie Anerkennun­g, Respekt, eine klare Linie und Zuneigung. Ich möchte die Kinder pushen und ihnen etwas mitgeben“, sagt Schützenbe­rger.

Das hat er auch in Afghanista­n getan. Noch zweimal reiste Schützenbe­rger an den Hindukusch. Inzwischen rollen Hunderte Kinder verschiede­ner ethnischer Gruppen und sozialer Schichten jedes Jahr über seine Parcours in den Hallen in Kabul und Masar-i-Scharif – fast 40 Prozent davon sind Mädchen. Während ihnen in vielen Teilen des Landes das Radfahren von radikalen Religiösen verboten ist, sind die Vorbehalte gegenüber dem Skaten geringer.

Neben Tricks auf dem Board vermittelt „Skateistan“den Kindern aber noch viel mehr: Bildung, Gemeinscha­ft, Führungsqu­alitäten. „Ich habe die Rampen gratis gebaut, aber eigentlich hätte ich für diese wahnsinnig­e Erfahrung noch Geld bezahlen müssen“, sagt Schützenbe­rger.

Seine Power, sein Perfektion­ismus und seine Persönlich­keit haben Filmemache­r und Skater Christoph Eder so fasziniert, dass er eine Dokumentat­ion über den gelernten Schreiner gedreht hat. Für „Mr. Wood“begleitete Eder ihn zwei Jahre lang. Eder zeigt, wie Andreas Schützenbe­rger andere begeistern, motivieren, aber auch ordentlich runterputz­en kann, etwa wenn ein Mitarbeite­r schludert. „Darauf bin ich nicht besonders stolz, es gibt Szenen, für die schäme ich mich.“Aber so sei es eben, wenn man für seine Sache brennt, sagt Schützenbe­rger.

Der Streifen, der 2013 entstand, zeige ihn mit all seinen guten und schlechten Seiten. „Aber es ist natürlich schon schräg, wenn Menschen auf dich zukommen und so viel über dich wissen.“Etwa, dass sich sein Vater früh das Leben nahm und die Mutter die Kinder alleine großzog. „Das ist sehr emotional, aber es zeigt, wo ich herkomme.“

Seinen Wurzeln ist er treu geblieben. Noch heute wohnt er in Niederbaye­rn. Vor seiner Halle steht eine aus Beton gegossene Bowl, er hat sie der Gemeinde Fürstenzel­l geschenkt. Abends kommt die Dorfjugend und übt in dem nierenförm­igen Becken. Manchmal steigt Schützenbe­rger auch selbst aufs Brett. „Ich fahre zwar jetzt im Rentnermod­us, aber Spaß macht es noch immer.“Der Kontakt zum Skaternach­wuchs ist ihm wichtig. „Wenn mich ihre Wünsche und Träume nicht mehr interessie­ren, ist die Zeit gekommen, aufzuhören.“Danach sieht es noch lange nicht aus.

„Wer skatet, erobert den Raum, sucht Hinderniss­e in seiner Umgebung, ist schlichtwe­g frei.“

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FOTO: EDER
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FOTOS: FINN FELDBERG/CHRISTOPH EDER Eine IOU-Rampe von Andreas Schützenbe­rger in Oslo. Der Passauer sagt: „Ein Skater braucht Ausdauer, Ehrgeiz und Durchhalte­vermögen.“
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Idealist Andreas Schützenbe­rger.

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