Schwäbische Zeitung (Tettnang)
CDU macht Führungsversagen in SPD aus
Streit um Bürgerversicherung schwelt weiter – Kompromissbereitschaft bei Familiennachzug
BERLIN (dpa/AFP/sz) - Knapp zwei Wochen vor den Sondierungsgesprächen zwischen Union und SPD über eine Regierungsbildung empört sich der neue sächsische Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) über immer neue Forderungen aus der SPD. „Hier sind etliche Genossen unterwegs, die mit Maximalforderungen offenbar die Gespräche unmöglich machen wollen“, sagte er der „Bild“-Zeitung. SPD-Chef Martin Schulz bescheinigte er ein massives Führungsversagen: „Schulz sollte hier für Ordnung sorgen oder klar sagen, wenn er ein Scheitern will.“
Streit entzündet sich unter anderem an der von führenden Sozialdemokraten immer wieder zur Bedingung gemachten Bürgerversicherung. SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach forderte am Donnerstag, der Weg in Richtung einer Bürgerversicherung müsse jetzt beginnen. Nordrhein-Westfalens Sozialminister Karl-Josef Laumann (CDU) verteidigte dagegen das bestehende System aus privater und gesetzlicher Krankenversicherung. „Gleichmacherei“führe nicht zu einer besseren Versorgung der Patienten. Spitzenmedizin werde nicht mit einem Sys- tem erreicht, das den Wettbewerb ausschließe, sagte Laumann.
Kompromissbereitschaft signalisiert die Union dagegen beim Thema Familiennachzug für Flüchtlinge. „Für eine Ausweitung der Härtefallregelung bin ich offen“, sagte etwa CSU-Innenpolitiker Stephan Mayer. Ähnlich äußerte sich Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU). Allerdings dürfe dabei „die Obergrenze von 200 000 Zuwanderern jährlich nicht überschritten werden“, sagte Herrmann der „Süddeutschen Zeitung“. Der stellvertretende CDU-Vorsitzende Armin Laschet hatte am Dienstag mit einem Kompromissvorschlag zu einer Härtefallregelung beim Familiennachzug Bewegung in die Debatte gebracht.
Derweil stellen die Bundesbürger dem politischen Spitzenpersonal weiter keine guten Zeugnisse aus. Nachdem eine am Mittwoch veröffentlichte Umfrage gezeigt hatte, dass jeder Zweite einen vorzeitigen Rückzug Angela Merkels befürwortet, wurde nun auf Basis einer am Donnerstag veröffentlichten EmnidBefragung SPD-Chef Martin Schulz zum „Verlierer des Jahres“erklärt.
Der Naturschutzbund ( Nabu) hat den Präsidenten des Deutschen Bauernverbands,
mit dem Negativ- Preis „ Dinosaurier des Jahres 2017“bedacht. Der 56- Jährige erhalte ihn für seine „ rücksichtslose Blockade einer umweltfreundlichen Agrarreform“, erklärte der Nabu. Rukwied streite die Hauptverantwortung der industriellen Landwirtschaft für das Artensterben ab und verteidige naturschädliche Subventionen. Der „ Dinosaurier des Jahres“ist eine 2,6 Kilo schwere Nachbildung einer Riesenechse und wird seit 1993 verliehen. Rukwied reagierte gelassen. „ Der Nabu hat mit seinem alljährlichen Ritual bereits eine Reihe verdienter Persönlichkeiten ausgezeichnet. Ich freue mich über diesen Preis“, sagte er.
Rukwied, seit fünf Jahren an der Spitze des Verbandes, gilt als Mann mit großem Einfluss auf die Politik. Er ist weniger polemisch als seine Vorgänger, aber ebenso machtbewusst und hart in der Sache. Rukwied hat in Nürtingen Landwirtschaft mit dem Schwerpunkt Betriebswirtschaft studiert. Der Vater dreier Kinder bewirtschaftet einen 300 Hektar großen Hof in Eberstadt ( Landkreis Heilbronn). Dort baut er Getreide, Gemüse und etwas Wein an. Den größeren Teil seiner Zeit verbringt er allerdings in seinem Büro in Berlin.
Rukwied mischt sich ein, wenn es um Regeln geht für die Produzenten von Fleisch, Gemüse, Obst und Milch. Er verharmlose die Umweltprobleme der Landwirtschaft und blockiere eine faire und umweltverträgliche Verteilung der milliardenschweren Agrarsubventionen, meint der Nabu. Seit 1960 hätten 80 Prozent der Betriebe ihre Arbeit aufgeben müssen.
Auf Rukwied, der auch Präsident des europäischen Agrarverbandes Copa ist, warten schwierige Verhandlungen. Die EU zahlt jährlich 60 Milliarden Euro an die Bauern, sechs Milliarden davon nach Deutschland. Dieses System wird derzeit überarbeitet. Umweltschützer, auch andere wie etwa die SPD, wollen die Zahlungen stärker als bisher an den Naturschutz koppeln. Rukwied will das im Grunde nicht. Hanna Gersmann
wied, Joachim Ruk-
Joachim Rukwied ist seit fünf Jahren Präsident des Deutschen Bauernverbandes.