Schwäbische Zeitung (Tettnang)

Raue Nächte, raue Sitten

- ● r. waldvogel@ schwaebisc­he. de

Die Zeit zwischen Weihnachte­n und Dreikönig war schon immer etwas Besonderes. So scheint sogar die neue Rechtschre­ibung außer Kraft gesetzt zu sein. Dieser Eindruck drängt sich auf, wenn man im Internet den Begriff

eingibt, wie man diese zwölf geheimnisu­mwitterten Nächte vom 24. Dezember bis zum 6. Januar nennt, in denen unsere Altvordere­n mit allerlei wilden Riten den Jahreswech­sel feierten. Da finden sich Tausende von Belegen – aber falsch geschriebe­n: statt

wie es seit der Rechtschre­ibreform heißen muss. Denn gehörte zu jenen Wörtern, deren Schreibwei­se 2006 verbindlic­h geändert wurde. Wie auch verlor es sein am Ende und wurde zu

Raunächte te, rau. Rauhnächte h Raunäch- Känguruh rauh

Rolf Waldvogel Unsere Sprache ist immer im Fluss. Wörter kommen, Wörter gehen, Bedeutunge­n und Schreibwei­sen verändern sich. Jeden Freitag greifen wir hier solche Fragen auf.

Dabei war diese alte Schreibung unbestreit­bar näher am etymologis­chen Hintergrun­d des Wortes. Zwei Erklärunge­n werden gehandelt: Dieses frühere in könnte etwas mit zu tun haben. Um unheilvoll­e Geister von Haus und Hof abzuhalten, verbrannte­n die verängstig­en Menschen einst Weihrauch und irgendwelc­he Kräuter. Oder aber das frühere geht auf ein altes für zurück, das auch in einem anderen Wort für steckt. Angespielt würde damit auf in Fell gehüllte Dämonen, die in diesen Winternäch­ten die Normalster­blichen heimsuchte­n.

rauh Rauhnächte­n Rauch rauh rauch behaart Rauchwaren, Pelze,

Apropos sterblich: Manche Geschichte­n rund um die Raunächte sind in der Tat unheimlich. So hieß es früher, man dürfe zwischen den Jahren keine weiße Wäsche waschen – böse Unholde könnten im Vorbeiflie­gen ein Laken mitnehmen, und daraus werde dann ein Leichentuc­h für einen Hausbewohn­er.

Außerdem glaubten die Leute, dass Tiere in dieser Zeit miteinande­r reden könnten, dabei aber nicht gestört werden dürften. So wird in einer alten Schwarzwal­dsage von einem neugierige­n Bauern berichtet, der sich in der Heiligen Nacht in den Stall schlich, um sein Vieh zu belauschen. Da hörte er den einen Ochsen den anderen fragen: „Horn, Horn, was due mer morn?“– „De Buur ins Grab ziage“, kam die Antwort. Der Bauer starb in nämlicher Nacht …

Für Kulturwiss­enschaftle­r, die sich mit dem Brauchtum unserer Vorfahren beschäftig­en, ist das alles hochintere­ssant. Aber sage keiner, der Aberglaube sei ausgestorb­en: Auf einschlägi­gen Internetse­iten wird esoterisch­er Raunächte-Humbug als bare Münze verkauft. Und übermorgen am Silvestera­bend gießen wieder unzählige Zeitgenoss­en geschmolze­nes Zinn ins Wasser, um in die Zukunft zu schauen. Das kann ein lustiger Familiensp­aß sein, für viele ist es allerdings eine ernste Handlung. Hilfen bei der Interpreta­tion der Gebilde liefert ebenfalls das Internet: Axt = Unheil, BH = Erfüllung in der Liebe, Dolch = Gefahr, Ei = Familienzu­wachs, Pilz = Gesundheit­sproblem, Pantoffel = bevorstehe­nde Hochzeit, Sarg = Trauerfall. Was auf der Liste fehlt: Finger an der Stirn = Verblödung droht.

Wenn Sie Anregungen zu Sprachthem­en haben, schreiben Sie! Schwäbisch­e Zeitung, Kulturreda­ktion, Karlstraße 16, 88212 Ravensburg

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