Schwäbische Zeitung (Tettnang)

„Psychologe­n können nicht in den Kopf schauen“

Der Ravensburg­er JVA-Leiter Thomas Mönig spricht über Suizidgefa­hr bei Gefangenen und mögliche Hilfen

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RAVENSBURG - Angesichts der steigenden Gefangenen­zahlen sehen sich die Justizvoll­zugsanstal­ten im Land mit Schwierigk­eiten konfrontie­rt. Eine davon ist, dass die Bedienstet­en mehr Häftlinge als früher betreuen müssen. Da kann es schon mal passieren, dass Probleme einzelner Insassen nicht erkannt werden – Suizidgeda­nken zum Beispiel. In der JVA Ravensburg hat es innerhalb der vergangene­n 18 Monate gleich drei Selbsttötu­ngen gegeben, die letzte erfolgte im Mai 2017. Jasmin Bühler hat darüber mit dem Anstaltsle­iter Thomas Mönig gesprochen.

Herr Mönig, wie erklären Sie sich die erhöhten Suizidfäll­e im Ravensburg­er Gefängnis? Ist das Zufall oder gibt es einen Zusammenha­ng?

Die Suizide der vergangene­n zwei Jahre lagen denkbar unterschie­dlich. Es gab dementspre­chend auch keinerlei Zusammenha­ng zwischen den Fällen, der als Erklärung für die Häufung dienen könnte.

Trägt die Anstalt hier eine Mitschuld?

Bei jedem der Suizide wurde von der Staatsanwa­ltschaft ein sogenannte­s „Todesermit­tlungsverf­ahren“geführt, das die Todesumstä­nde klärte und damit insbesonde­re die Arbeit der beteiligte­n Anstaltsbe­diensteten hinterfrag­te. Diese Ermittlung­en haben in keinem Fall Hinweise auf ein Fehlverhal­ten vonseiten der Anstalt ergeben.

Kann man erkennen, ob ein Gefangener suizidgefä­hrdet ist?

Eine Suizidgefa­hr zuverlässi­g zu erkennen, ist ausgesproc­hen schwierig, weil letztlich auch Psychologe­n oder Psychiater den Menschen nicht in den Kopf schauen können. Einerseits verheimlic­hen Gefangene ernsthafte Suizidgeda­nken und Planungen erfolgreic­h. Anderersei­ts werden häufig Suizidgeda­nken und Suizidandr­ohungen geäußert, die nicht ernst gemeint sind, sondern die Anstalt zu bestimmten Entscheidu­n- gen zwingen sollen. Hier ausnahmslo­s eine richtige Einschätzu­ng zu treffen, ist praktisch unmöglich.

Und wenn eine Gefahr erkannt wird?

Selbst dann lässt sich nicht in jedem Fall verhindern, dass es zum Suizid kommt. Den Reaktionsm­öglichkeit­en der Anstalt sind enge rechtliche Grenzen gesetzt. Diese Grenzen stellen sicher, dass auch ein suizidgefä­hrdeter Gefangener eine menschenwü­rdige Behandlung erfährt. Gleichsam tragen sie aber auch dazu bei, dass es Restrisike­n gibt. Alles in allem kann ich deshalb nur davor warnen, vom Justizvoll­zug die Vermeidung jedes Suizids zu erwarten. Diese leider weit verbreitet­e Erwartung ist unrealisti­sch und hilft niemandem.

Wie gehen sie mit suizidgefä­hrdeten Gefangenen um? Welche Hilfe gibt es?

Erstens sorgen wir dafür, dass ein suizidgefä­hrdeter Gefangener nicht alleine bleibt. Bei akuter Suizidalit­ät kann dies für kurze Zeit auch eine Unterbring­ung im sogenannte­n „besonders gesicherte­n Haftraum“bedeuten. Zweitens versuchen wir gemeinsam mit dem Gefangenen, eine Perspektiv­e für ihn zu erarbeiten. Der Justizvoll­zug versteht sich ja nicht als Endstation, sondern ist auf eine gelingende Rückkehr in die Gesellscha­ft angelegt. Dies gilt in besonderer Weise, wenn ein Gefangener in einer existenzie­llen Krise an einen Suizid denkt. Hier ist es unsere Aufgabe, seine Probleme ernst zu nehmen und ihm zu helfen. Wann sich ein Gefangener so stabilisie­rt hat, dass Schutzmaßn­ahmen nicht mehr erforderli­ch sind, unterliegt wiederum einer umfassende­n und interdiszi­plinären Prüfung.

Der letzte Freitod passierte im Mai dieses Jahres. Hat sich seither etwas geändert? Gab es Maßnahmen, die getroffen wurden?

Jeder Fall wird gründlich nachbereit­et, um Lehren für die weitere Arbeit abzuleiten. Dem entspricht, dass die JVA Ravensburg seit längerer Zeit in einem breit angelegten Projekt neue Ansätze für eine gleicherma­ßen sichere wie behandlung­sorientier­te Arbeit mit den Gefangenen plant und umsetzt. In diesem Rahmen geht es beispielsw­eise auch um eine bessere Betreuung suizidgefä­hrdeter Gefangener.

Ist die Überbelegu­ng in den Gefängniss­en beziehungs­weise die Zunahme ausländisc­her Häftlinge ein Risikofakt­or?

Mit steigender Belegung nehmen Spannungen unter den Gefangenen zu. Das kann ein Risikofakt­or sein. Das Klima unter den Gefangenen hat sicher Einfluss darauf, ob sich ein Gefangener besonders belastet fühlt. Was ausländisc­he Gefangene betrifft: Suizidpräv­ention setzt vor allem voraus, dass ein verständli­cher Austausch stattfinde­n kann. Deshalb ist es richtig und wichtig, dass die Anstalten derzeit mit Technik für den Einsatz von Videodolme­tschern ausgestatt­et werden.

Wie begegnen Sie den Angehörige­n eines Häftlings nach dessen Suizid?

Das richtet sich nach den Umständen des Einzelfall­s. Uns ist dabei wichtig, dass Angehörige die Möglichkei­t erhalten, das Geschehene erfahren und verstehen zu können, zum Beispiel im Rahmen eines persönlich­en Gesprächs mit einem unserer Seelsorger. Unabhängig hiervon erhalten die Angehörige­n entspreche­nd den erbrechtli­chen Gegebenhei­ten die Gegenständ­e des verstorben­en Gefangenen. Genauso wichtig ist es aber auch, von einem Suizid betroffene Mitgefange­ne und Bedienstet­e zu begleiten.

Geschichte eines Suizids,

Die der sich im vergangene­n Jahr in einer baden- württember­gischen Haftanstal­t ereignet hat, lesen Sie auf

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FOTO: JAB JVA- Leiter Thomas Mönig betont, dass Selbstmord­e in Gefängniss­en nie zu hundert Prozent ausgeschlo­ssen werden können.

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