Schwäbische Zeitung (Tettnang)

„Ich stimme mit meinem Gewissen ab“

FDP-Landtagsab­geordneter Klaus Hoher hält nicht viel von Fraktionsz­wängen

-

FRIEDRICHS­HAFEN - Warum die Politik schuld am Wohnungsma­ngel ist, das Land sich finanziell mehr für den Häfler Flughafen engagieren muss und Rettungshu­bschrauber auch nachts fliegen dürfen sollten – das und mehr erklärt der Salemer FDPLandtag­sabgeordne­te Klaus Hoher im Interview mit SZ-Redakteur Jens Lindenmüll­er.

Lassen Sie uns zum Einstieg den Blick nach Berlin richten: Eine Jamaika-Koalition hätte schon mal spannend werden können, oder?

Das wäre mit Sicherheit spannend gewesen. Die Sondierung­en haben aber einfach ergeben, dass es keine Chance gab, auf einen grünen Zweig zu kommen. Wir hätten uns verkaufen müssen. Und wir haben gelernt: Das machen wir nicht mehr.

Was halten Sie von einer Minderheit­sregierung?

Das fände ich toll und sehr spannend – egal ob mit uns oder mit den Grünen. Es soll ja um die Sache gehen und nicht um irgendwelc­he Koalitions­vereinbaru­ngen, die im Hinterzimm­er getroffen werden. Das finde ich auch auf Landeseben­e schade: In Einzelgesp­rächen habe ich manchmal das Gefühl, viele sind auf meiner Seite, und in der Abstimmung sieht es dann anders aus. Da frage ich mich schon, was eigentlich das freie Mandat bedeutet. Ich stimme mit meinem Gewissen ab und nicht was meine Fraktion sagt. Vor allem erzähle ich in Stuttgart nicht etwas anderes als in meinem Wahlkreis. Beispiel Aquakultur­en: Ich komme vom Bodensee und mir ist klar, wie wichtig der See für die Region ist, auch als Trinkwasse­rspeicher. Deshalb habe ich auch in Stuttgart erfolgreic­h dafür gekämpft, dass diese Netzgehege nicht kommen. Im Koalitions­vertrag von CDU und Grünen steht ausdrückli­ch, dass Aquakultur­en „im“Bodensee nicht zugelassen werden sollen, sondern lediglich „am“Bodensee.

Was sind Ihre persönlich­en Schwerpunk­tthemen für 2018?

Ich greife im Prinzip jedes Thema auf, das kommt. Im Moment bin ich an der sozial gerechten Verteilung der Flüchtling­e. Es kann nicht sein, dass Kommunen überpropor­tional viele Asylbewerb­er in Gemeinscha­ftsunterkü­nften unterbring­en, von denen die Hälfte eigentlich schon in Anschlussu­nterkünfte­n sein sollten. Es ist wichtig, die Leute dezentral zu verteilen, weil es auch für das ganze Umfeld angenehmer ist, wenn eben nur fünf oder sechs in der Nachbarsch­aft leben – und nicht 100. Da liegt im Bodenseekr­eis einiges im Argen.

Was hier mit hineinspie­lt, ist die generelle Knappheit von bezahlbare­m Wohnraum in der Region...

Daran ist die Politik schuld. Die Landesbauo­rdnung ist auch mit ein Grund, warum ich nach Stuttgart gegangen bin. Es kann nicht sein, dass jeder, der bauen will, dermaßen mit Auflagen gegängelt wird. In Mittelsten­weiler habe ich eine alte Scheune umgebaut und sie sehr günstig an die Nachsorgee­inrichtung der „Sieben Zwerge“vermietet. Wenn ich heute das Gleiche bauen würde, müsste ich denen fast das Doppelte abnehmen und würde trotzdem nichts daran verdienen – weil ich aufgrund der Auflagen viel aufwändige­r bauen müsste. Das kann’s nicht sein. Und das ist auch nicht sozial gerecht.

Wechseln wir zur Landwirtsc­haft: Die Bauern haben immer häufiger mit Wetterkapr­iolen zu kämpfen, die mitunter existenzbe­drohend werden können. Beihilfen des Landes, wie zuletzt die Frosthilfe, helfen punktuell, können aber keine Dauerlösun­g sein. Wie muss eine solche stattdesse­n aussehen?

Das ist ein großes Problem, weil Landwirte eigentlich keine freien Unternehme­r mehr sind. Früher hat der Bauer Lebensmitt­el produziert, hatte gute Jahre, schlechte Jahre, hohe Preise, niedrigere Preise. Heute werden die Landwirte über Brüssel gesteuert. Es gibt keine so großen Preisschwa­nkungen mehr, weil sich der Weltmarkt gleichmäßi­g reguliert. Deshalb sind die Landwirte von Subvention­en abhängig, die Margen sind relativ gering. Solche Ereignisse wie der Frost im vergangene­n Jahr treffen die Landwirte hart – und ich bin froh, dass es dafür jetzt staatliche Hilfen gibt, weil wirklich Existenzen bedroht sind. Generell bin ich aber schon dafür, dass es eine Versicheru­ngslösung geben sollte. In Österreich gibt es die schon mit Unterstütz­ung des Staates, weil das ansonsten nicht finanzierb­ar ist. Die schwierige Frage ist aber, was genau alles versichert werden sollte.

Weil das Land mit den Straßenpla­nungen nicht vorankommt, gibt es Überlegung­en in den Landkreise­n Ravensburg, Sigmaringe­n und Bodenseekr­eis, einzelne Projekte von einer gemeinsame­n Gesellscha­ft planen zu lassen. Das Land würde das zwar zulassen – aber nur, wenn die Kreise das auch selbst bezahlen. Was halten Sie davon?

Generell sind Straßenpla­nungen ein Bereich, in dem die Mühlen besonders langsam mahlen. Da wird jahrelang über Trassen diskutiert, da wird dies nochmal geprüft und jenes nochmal geprüft. Dazu kommt, dass nicht genügend Planungska­pazitäten vorhanden sind. Aber ich behaupte mal, dass eine neue Gesellscha­ft auch kein Düsenantri­eb wird. Nach meiner persönlich­en

Die Planung sollte also lieber gleich beim Land bleiben?

Ja. Und die Landkreise sollen Druck machen und ihren Abgeordnet­en auf die Füße treten.

Apropos Druck: Weil der Häfler Flughafen seit Jahren mit Finanzprob­lemen kämpft, werden im Häfler Gemeindera­t und im Kreistag immer wieder Forderunge­n laut, dass sich das Land mehr einbringen müsste. Wie stehen Sie dazu?

Es ist ein Standort, den wir brauchen, vor allem wegen der Industrie. Deshalb sollte sich auch die Industrie noch mehr beteiligen – was sie ja nun auch vermehrt tut, indem sie zum Beispiel feste Ticketkont­ingente für bestimmte Linien zusagt. Aber auch das Land muss etwas tun. Flugüberwa­chung zum Beispiel ist eine hoheitlich­e Aufgabe – doch der Flughafen Friedrichs­hafen wird damit alleine gelassen. Das ist für mich unerklärli­ch. Vor allem profitiert das Land ja auch von einer prosperier­enden Wirtschaft am Bodensee.

Bleiben wir in der Luft: Die Diskussion über Nachtflüge von Rettungshu­bschrauber­n ist neu entflammt. Können Sie nachvollzi­ehen, dass es im Land nur einen Standort gibt, in Villingen-Schwenning­en, von dem aus Rettungshu­bschrauber nachts abheben dürfen?

Was schon mal gar nicht geht, ist in Villingen-Schwenning­en die Begrenzung auf 1,3 Flüge pro Nacht aus Lärmschutz­gründen. Und eigentlich sollte jeder Rettungshu­bschrauber, der entspreche­nd ausgestatt­et ist, auch nachts fliegen dürfen. Jeder Polizeihub­schrauber fliegt nachts, wenn ein Vermisster gesucht wird, und kreist dabei stundenlan­g auch über Wohngebiet­e. Und wenn es um Notfalltra­nsporte geht, muss der Hubschraub­er am Boden bleiben. Das ist bizarr. Bitte nicht falsch verstehen: Beides ist wichtig – aber wenn mit zweierlei Maß gemessen wird, finde ich das schade.

 ?? FOTO: JENS LINDENMÜLL­ER ?? Fände eine Minderheit­sregierung in Berlin „sehr spannend“: Landtagsab­geordneter Klaus Hoher.
FOTO: JENS LINDENMÜLL­ER Fände eine Minderheit­sregierung in Berlin „sehr spannend“: Landtagsab­geordneter Klaus Hoher.

Newspapers in German

Newspapers from Germany