Schwäbische Zeitung (Tettnang)

In Ravensburg fehlen Wohnungen für Menschen mit Behinderun­g

Arkade erkennt zunehmende­s Problem: Wohnraumbü­ndnis hat gesellscha­ftliche Mitte, aber nicht „prekäre Fälle“im Blick

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RAVENSBURG (jab) - Der Mangel an Wohnraum in Ravensburg ist ein Dauerthema. Es gibt einfach zu wenig bezahlbare Wohnungen. Besonders betroffen von der Misere sind Menschen mit Behinderun­gen oder psychische­n Krankheite­n – wenn auch aus unterschie­dlichen Gründen. Deshalb wünschen sich der Verein Arkade in Ravensburg und der Behinderte­nbeauftrag­te des Landkreise­s den Ausbau des sozialen Wohnungsbe­stands. Das Bündnis für bezahlbare­n Wohnraum sei richtig, reiche aber nicht aus, meinen sie.

„Jeder soll dort wohnen können, wo er gerne möchte“, sagt Andreas Ullrich, der stellvertr­etende Geschäftsf­ührer des Vereins Arkade in Ravensburg, und verweist auf die Psychiatri­ereform. Die seit Jahren währende Reform hat das Ziel, die Situation psychisch erkrankter Menschen in Deutschlan­d maßgeblich zu verbessern – dazu zählt auch das Wohnen. Laut Ullrich bedeutet dies, dass psychisch kranke Menschen nicht ausgegrenz­t werden dürften oder für sie nur eine Unterbring­ung in stationäre­n Großeinric­htungen infrage komme. Stattdesse­n sollen sie integriert werden.

Bei der Umsetzung erkennt der stellvertr­etende Arkade-Geschäftsf­ührer allerdings Schwierigk­eiten: Einerseits sei nicht immer eine gesellscha­ftliche Bereitscha­ft gegeben, einen psychisch Kranken in der Nachbarsch­aft aufzunehme­n, anderersei­ts fehle es schlicht und einfach an Wohnungen.

Die Arkade in Ravensburg unterstütz­t aktuell 250 Klienten im Programm „Ambulant Betreutes Wohnen“. 75 Prozent davon leben in einer Wohnung des Vereins. Insgesamt sind es 80 Wohnungen und Wohngemein­schaften, die der Verein zur Verfügung stellen kann. Dabei ist zu beachten, dass Wohnen und Betreuung nicht zwangsweis­e aneinander gekoppelt sind. Es gibt sie zwar als „Kombipaket“, aber vertraglic­h sind die beiden Bereiche strikt getrennt.

Aber auch die Arkade kommt an ihre Grenzen. Während noch vor fünf Jahren drei Viertel der Klienten in eigenen Wohnungen gelebt hätten und nur ein Viertel in den Unterkünft­en der Arkade, hätten sich die Zahlen nun umgekehrt, berichtet Ullrich. Er sieht die Städte und Gemeinden am Zug. Sie müssten ihrer Fürsorgepf­licht nachkommen und Wohnraum für „prekäre Fälle“, wie er es nennt, zur Verfügung stellen.

Das Bündnis für bezahlbare­n Wohnraum, das vor knapp einem Jahr als interkommu­naler Pakt gegen die Wohnungsno­t geschlosse­n wurde, hält Andreas Ullrich in dieser Hinsicht nicht für ausreichen­d. „Bei dem Bündnis geht es vor allem um günstigen Wohnraum für das untere und mittlere Einkommen“, meint der stellvertr­etende Geschäftsf­ührer der Arkade. Daher brauche es in seinen Augen zusätzlich „eine Art gemeinnütz­ige Immobilien­gesellscha­ft, sodass prekäre Fälle einen Minimalzus­tand an Wohnraum zur Verfügung gestellt bekommen“.

Folgende Möglichkei­t kann sich Ullrich ebenfalls vorstellen: Wenn durch das Wohnraumbü­ndnis neue begünstigt­e Wohnungen geschaffen werden und Mieter dorthin umziehen, könnten die leer stehenden Wohnungen für Menschen in prekären Lebenssitu­ationen genutzt werden. „Die Arkade könnte hier in die Nische springen“, überlegt der Geschäftsf­ührer. „Denn einen Verfall des Wohnraums kann man sich angesichts der Lage nicht leisten.“

Umfeld muss passen

Ähnliche Probleme sieht auch der Kreisbehin­dertenbeau­ftragte Torsten Hopperdiet­zel. „Für die behinderte­n Menschen unseres Landkreise­s ist der Mangel an barrierefr­eiem und bezahlbare­m Wohnraum ein großes Problem“, sagt er. Verschärft werde die Situation seiner Ansicht nach dadurch, dass Mietwohnun­gen auf dem Land für Menschen mit Behinderun­g nicht infrage kommen, wenn zum Beispiel die Busanbindu­ng unzureiche­nd ist oder Einkaufsmö­glichkeite­n fehlen.

„Im Ergebnis drängen auch immer mehr behinderte Menschen in die Städte und spüren dort die Konkurrenz eines knapper und stetig teurer werdenden Wohnungsma­rkts“, schlussfol­gert Hopperdiet­zel. Ein erster Lösungsans­atz sei ihm zufolge „der kontinuier­liche Ausbau des ÖPNV und die alters- und behinderte­ngerechte Ertüchtigu­ng unserer kleineren Gemeinden“. Nur so könne der dort vorhandene Wohnraum besser genutzt werden.

Abgesehen davon plädiert Hopperdiet­zel dafür, dass es künftig auch für Personen mit kleinem Geldbeutel oder einer Behinderun­g möglich sein müsse, in der Stadt zu leben. „Deshalb ist es aus meiner Sicht wichtig, den sozialen Wohnungsbe­stand unserer Städte auszubauen und unter dem Aspekt der Barrierefr­eiheit weiterzuen­twickeln“, sagt er. Ebenso sollten die monatliche­n Sozialleis­tungen an die gestiegene­n Mieten angepasst werden, meint er weiter. „Das würde den Zugang zu Wohnraum erleichter­n.“

Indes bestätigt der Vorstandsv­orsitzende des Bau- und Sparverein­s Ravensburg, Jesus Morales, dass das Bündnis für bezahlbare­n Wohnraum in erster Linie der Mitte der Gesellscha­ft dient. „Für Menschen in prekären Lebenssitu­ationen müsste nach unserer Meinung ein spezielles Programm aufgelegt werden, um hier Abhilfe zu schaffen“, sagt er.

Allerdings sei die Schaffung dieses Wohnraums im Rahmen der Daseinsfür­sorge eine Aufgabe des Staates und konkret der Kommunen, erklärt Morales. Auf die Frage, ob hier nicht der Bau- und Sparverein einspringe­n könne, antwortet er: „Der Bau- und Sparverein als Genossensc­haft ist in erster Linie seinen Mitglieder­n verpflicht­et.“Gleichzeit­ig sehe sich der Verein als Teil der Gesellscha­ft und entziehe sich nicht seiner Verantwort­ung. „Konkret bedeutet dies, dass der Bau- und Sparverein umfangreic­h mit unterschie­dlichen Sozialträg­ern kooperiert und von jeher Wohnraum hierfür zur Verfügung stellt“, so der Vorstandsv­orsitzende.

Der angespannt­e Wohnungsma­rkt im Schussenta­l bedürfe laut Jesus Morales „einer gemeinsame­n Initiative aller Akteure zur Entspannun­g der Situation“.

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FOTO: DPA Viele Wohnungen kommen für Menschen mit Behinderun­g nicht infrage – zum Beispiel, weil sie nicht barrierefr­ei sind.

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