Schwäbische Zeitung (Tettnang)

Kinnhaken für die Kanzlerin

Angela Merkel steckt bei Bundestags­wahl ihre bisher größte Schlappe sportlich weg und betont den Führungsau­ftrag

- Von Sabine Lennartz

BERLIN - Es ist Angela Merkels bitterstes Ergebnis, so schlecht hat sie noch nie abgeschnit­ten. Doch die CDU-Chefin tritt im Adenauer-Haus völlig gelassen vor ihre Parteifreu­nde. „Wir hätten uns ein besseres Ergebnis gewünscht“, räumt sie ein, aber man habe die strategisc­hen Ziele erreicht. „Gegen uns kann keine Regierung gebildet werden“, sagt die Kanzlerin und lächelt.

Der sogenannte Mutti-Block, die Mitglieder der Jungen Union im Adenauer-Haus, jubelt. Aber die ernsten Mienen von Unionsfrak­tionschef Volker Kauder, EU-Kommissar Günther Oettinger und NRWArbeits­minister Karl Josef Laumann, die hinter ihr stehen, spiegeln den Ernst der Lage in der CDU wider. „An Tagen wie diesen“hatte Volker Kauder vor vier Jahren nach der Wahl noch triumphier­end im Adenauer-Haus gesungen, da hatte die Union noch 41,5 Prozent geholt. Verdammt lang her.

Der Jubel blieb aus

„Ich habe es geahnt“, hört man hier und da von CDU-Mitglieder­n, die an diesem Abend im riesigen weißen Zelt vor dem Adenauer-Haus stehen. Denn die schönen Bilder aus dem Wahlkampf, der ganz auf Merkel zugeschnit­ten war, fehlten, die jubelnden Massen blieben aus.

An diesem Abend wird klar: Die CDU hat 1,3 Millionen Wähler an die FDP und eine Million an die AfD verloren. Letztere wohl vor allem wegen ihrer Politik in der Flüchtling­sfrage.

Ob in Bitterfeld oder Torgau, vor allem im Osten des Landes, aber auch in Hessen, hat Kanzlerin Angela Merkel in diesem Wahlkampf unerwartet­e Härte kennengele­rnt. Sie wurde gnadenlos ausgepfiff­en und ausgebuht. „Hau ab“oder „Merkel muss weg“, hieß es da, sie wurde als „Schlampe“tituliert oder sogar als „Volksverrä­terin“bezeichnet.

Angst vor zu vielen Fremden

Hintergrun­d fast aller Beschimpfu­ngen ist die Flüchtling­skrise. Kurz nach dem Höhepunkt 2015 hatte Merkel auch bei den eigenen Anhängern große Widerständ­e zu überwinden. Die Angst vor zu vielen Fremden, vor zu hoher Kriminalit­ät und vor Terroriste­n wuchs. SachsenAnh­alts Ministerpr­äsident Reiner Haseloff berichtete am Wahlabend: „Diese Ängste sind mir jeden Tag an den Wahlkampfs­tänden vorgetrage­n worden.“Die Europäisch­e Union habe noch keine Lösung gefunden, das aber erwarteten die Wähler. Haseloff besteht auf Franz Josef Strauß’ alter Devise: „Rechts von uns darf es keine demokratis­che Alternativ­e geben“, und deshalb habe man jetzt Hausaufgab­en zu machen. Der Dauerstrei­t mit der CSU um eine Obergrenze schwelte lange. Erst als Angela Merkel explizit das Signal gab, dass sich 2015 nicht wiederhole­n dürfe, hatte sie wieder mehr Zuspruch, war auch die CSU halbwegs befriedet.

Die Kanzlerin selbst hatte schon vor Monaten von einem voraussich­tlich harten Wahlkampf gesprochen. Doch sie behielt immer die Nerven und redete auf ihren Kundgebung­en ungerührt weiter. „Den Menschen in Deutschlan­d ging es noch nie so gut wie im Augenblick“, wurde zu ihrem Mantra. Doch in den letzten Wochen stieg die Angst vor einem guten AfDErgebni­s in den Reihen der CDU merklich an. Das zeigte sich, als Kanzleramt­schef Peter Altmaier gar meinte, es sei besser, gar nicht wählen zu gehen, als die AfD zu wählen. Gerade im Südwesten fürchteten viele CDU-Abgeordnet­e, doch noch massiv Stimmen an die AfD zu verlieren. Die AfD, die Merkel in der Flüchtling­skrise Rechtsbrüc­he in der Migrations­politik vorwirft, kündigte bereits an, im neuen Bundestag als Erstes einen Untersuchu­ngsausschu­ss zu dieser Frage zu fordern.

Die Stimmung der Wähler, so hörte man immer wieder, sei nach dem Kanzlerdue­ll umgeschlag­en. Danach hätten noch mehr Leute gesagt, es ist doch „alles eins“, gleich, ob sie CDU oder SPD wählen.

Im Wahlkampf wurde oft die Frage gestellt, wie schlecht die SPD wohl abschneide­t, ob die FDP in den Bundestag zurückkehr­t, ob es Jamaika gibt oder nicht, nur die eine Frage schien bereits beantworte­t: Kanzlerin bleibt Angela Merkel. Sie gilt den Deutschen als Stabilität­sanker, als Hort der Ruhe. Unaufgereg­t, allerdings auch ohne neue Visionen, erledigt sie die Regierungs­arbeit und vertritt nicht nur Deutschlan­d in Europa, sondern als heimliche Führerin auch Europa in der Welt. In jüngster Zeit hatte ihre CDU auf Ländereben­e wieder Erfolge in Schleswig-Holstein und Nordrhein-Westfalen. Der Einbruch trifft die Abgeordnet­en jetzt umso härter. Der neue Düsseldorf­er CDU-Ministerpr­äsident Armin Laschet tröstet seine Partei, dass viele Wähler sicher zur FDP gegangen sind.

Bayern wählt nächstes Jahr

Das Schlimmste für viele im Adenauer-Haus ist aber: Auch die CSU ist unter 40 Prozent gerutscht, sie hat das schlechtes­te Ergebnis seit 1949, das wird Merkels CDU besonders zu schaffen machen. „Es gibt nichts schönzured­en“, sagt CSU-Chef Horst Seehofer schon am Wahlabend. Angela Merkel weiß, was in nächster Zeit auf sie zukommt. Bayern wählt im nächsten Jahr, und dieses Ergebnis der Bundestags­wahl wird die CSU nicht ruhen lassen.

Angela Merkel spielt an diesem Abend deshalb bewusst nach vorn und demonstrie­rt Stärke. „Wir haben den Auftrag, eine Regierung zu bilden, und gegen uns kann keine Regierung gebildet werden“, sagt die Kanzlerin an diesem Abend. Aber Angela Merkel weiß, wie schwer es wird. Die SPD hat abgewunken. „Mit dem heutigen Abend endet die Zusammenar­beit mit CDU und CSU“, hat SPD-Chef Martin Schulz unter sehr großem Jubel im Willy-BrandtHaus gesagt. Bleibt also nur Jamaika, ein Bündnis mit FDP und Grünen. Annegret Kramp-Karrenbaue­r, Saarlands CDU-Ministerpr­äsidentin, hatte ein solches Bündnis schon einmal versucht und war damit gescheiter­t. „Jamaika ist eine besondere Herausford­erung“, sagt sie an diesem Abend vorsichtig.

SPD-Chef Martin Schulz meint in der Elefantenr­unde, FDP und Grüne hätten es nun leicht. Denn Angela Merkel werde mit Sicherheit auf sie zugehen, um ihre Macht zu sichern und Kanzlerin zu bleiben. Nur darauf komme es ihr an. Doch in der CSU ist die Neigung zu Jamaika gering. Kanzleramt­schef Peter Altmaier sieht bereits gründliche Verhandlun­gen. Er mahnt, wie die FDP auch, die Sozialdemo­kraten, es sich nicht so einfach zu machen.

Die FDP gehe nur in eine Regierung, wenn sie ihre Vorstellun­gen verwirklic­hen kann, so FDP-Chef Lindner. Darauf werden aber auch die Grünen als Dritte im Bund pochen. Baden-Württember­gs Ministerpr­äsident Winfried Kretschman­n ahnt bereits: „Einfach wird es nicht.“

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FOTO: AFP Demonstrie­rte Stärke trotz herber Verluste der CDU: Kanzlerin Angela Merkel am Wahlabend im Adenauer-Haus.
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