Schwäbische Zeitung (Tettnang)
Seehofer fordert Regierung bis Ostern
Der CSU-Chef und Kanzlerin Merkel erhöhen den Druck auf die SPD
BERLIN - Die Union dringt auf zeitnahe Gespräche mit der SPD. „Die Welt wartet nicht auf uns“, sagte Bundeskanzlerin Angela Merkel, die CDU-Vorsitzende, in ihrer Neujahrsansprache. Aus der Sicht von Horst Seehofer muss die Bildung der neuen Regierung spätestens Anfang April beendet sein. „Ostern ist der allerspäteste Zeitpunkt, dann ist Anfang April. Sonst würde ich sagen, wir hätten unsere Hausaufgaben nicht gemacht als Berufspolitiker, wenn man in einer solchen Zeit keine Regierungsbildung zusammenbringt“, erklärte der CSU-Chef.
Allerdings belasten bereits vor dem offiziellen Beginn der sechstätigen Sondierungen am 7. Januar weitreichende Forderungen der möglichen Koalitionspartner die Gespräche. Am Mittwoch treffen sich die Spitzen von Union und SPD zu einem weiteren Vorgespräch.
Die Verzögerungen bei der Regierungsbildung nennt der Politikwissenschaftler Alfred Grosser – auch in Bezug auf die EU – „katastrophal“. Der Publizist hält eh wenig von einer neuen GroKo. „Jetzt läuft in Berlin alles auf eine Große Koalition zu, die nicht mehr wirklich groß ist und von zwei Wahlverlierern gebildet wird. Die Große Koalition stärkt die extremen Ränder links und rechts“, sagte Grosser der „Schwäbischen Zeitung“.
BERLIN - Angela Merkel (CDU) will keine Zeit mehr verlieren. „Die Welt wartet nicht auf uns“, mahnt die Kanzlerin in ihrer Neujahrsansprache. Eigentlich sollte es das Aufbruchsignal für die neue Regierung sein. Doch die lässt noch immer auf sich warten. Und so bleibt Merkel in ihrer Rede am Silvesterabend nur, aus der Not eine Tugend zu machen, zügige Sondierungen von Union und SPD zu versprechen und Tempo zu machen.
Ein Dutzend Mal schon hat die Regierungschefin ihre Neujahrsbotschaft via Fernsehschirm verbreitet. Doch diesmal ist es anders. Nach dem bisher schlechtesten Ergebnis der Union bei einer Bundestagswahl seit 1949 und dem Scheitern der Jamaika-Verhandlungen steht Merkel ohne Regierung da, ist nur noch geschäftsführende Kanzlerin und hat zuletzt in Umfragen deutlich an Zustimmung verloren.
Kommt doch noch die Neuauflage der Großen Koalition oder gibt es Neuwahlen? Die Politiker hätten die Aufgabe, sich um die Herausforderungen der Zukunft zu kümmern und müssten die Bedürfnisse aller Bürger im Auge haben, sagt Merkel. „Diesem Auftrag fühle ich mich verpflichtet – auch und gerade bei der Arbeit daran, für Deutschland im neuen Jahr zügig eine stabile Regierung zu bilden.“
Noch nie haben Sondierungen und Koalitionsverhandlungen in Deutschland bisher länger gedauert. „Ostern ist der allerspäteste Zeitpunkt, dann ist Anfang April“, steckt CSU-Chef Horst Seehofer den Zeitplan für die weiteren Gespräche mit der SPD ab. Andernfalls hätte man als Berufspolitiker seine Hausaufgaben nicht gemacht, „wenn man in einer solchen Zeit keine Regierungsbildung zusammenbringt“, erklärte er. Schwarz-Rot bis Ostern oder andernfalls Neuwahlen, so die Botschaft der Unionsspitze vor dem dritten Gespräch der Partei- und Fraktionschefs von CDU, CSU und SPD am Mittwoch. Dann wird das Drehbuch für die Sondierungen festgelegt werden, die vom 7. bis 12. Januar laufen sollen. Sechs Tage intensive Beratungen, die anders als bei den Jamaika-Partnern geführt werden sollen: weniger große Runden, keine Indiskretionen und keine gegenseitigen Attacken als störende Begleitmusik, so das Ziel. Wenn alles gut gehe, könnte Ende Januar mit den Koalitionsverhandlungen begonnen werden, hofft CSU-Chef Seehofer. Wäre da nur nicht der SPD-Sonderparteitag, der zunächst am 21. Januar darüber entscheiden muss.
Jede Menge Differenzen
Pünktlich vor Beginn der Sondierungen wollen die CSU-Bundestagsabgeordneten auf ihrer Klausurtagung in Kloster Seeon einige rote Linien ziehen. So sollen die Sozialleistungen für Asylbewerber gekürzt werden, wie Landesgruppenchef Alexander Dobrindt dem „Münchner Merkur“sagte. Außerdem sollen Steuererhöhungen, wie sie die SPD zuletzt gefordert hatte, ausgeschlossen und der Solidaritätszuschlag vollständig abgebaut werden. Die Sozialdemokraten dagegen fordern eine Anhebung des Spitzensteuersatzes und höhere Steuern für Reiche.
Auch an anderen Stellen gibt es Differenzen zwischen Schwarz und Rot: Von den Rüstungsausgaben über Bildungspolitik, der SPD-Forderung nach einer Bürgerversicherung bis hin zur Flüchtlings- und Integrationspolitik liegen Union und SPD noch weit auseinander. Für SPD-Vize Thorsten Schäfer-Gümbel ist die Große Koalition keineswegs ausgemachte Sache: „Die Minderheitsregierung bleibt eine Option, auch wenn Kanzlerin Angela Merkel das nicht wahrhaben will.“