Schwäbische Zeitung (Tettnang)
Dieses Kunstwerk wahrt das Briefgeheimnis
Wie Ottmar Hörls „Blaues Haus“in der Weststadt zum Wahrzeichen der Stadt geworden ist
RAVENSBURG - Es ist nicht lange her, dass Ottmar Hörl in Ravensburg war: Erst im Sommer hat der Künstler für seine Installation „Wölfe in der Stadt“68 Plastiktiere am Veitsburghang ausgesetzt – und bei dieser Gelegenheit das wohl bekannteste Kunstwerk im öffentlichen Raum der Stadt besucht, das er Ende der 1990er-Jahre konzipiert hat: das „Blaue Haus“.
Seit 1998 steht es prominent an der Zufahrt zur Weststadt auf einem künstlichen Hügel. „Mein Ziel war damals, mit dem ‚Blauen Haus‘ einen Aufenthaltsort zu schaffen, eine Art Aussichtspunkt inklusive einer Bank und einem Lindenbaum, einen Ort, den man gerne besucht.“Und an dem auch der Künstler selbst gern vorbeischaut. So, wie er es erst vor Kurzem getan hat.
„Ironische Gesamtausstrahlung“
Sechs Meter hoch und breit ist das Haus, vier Meter tief und mit verkehrsblau lackierten Aluminiumplatten verkleidet. Bereits im Frühjahr 1998 ist der Baum auf dem Hügel gepflanzt, im Sommer dann das Fundament für das Kunstwerk geschaffen worden. Gemeinsam mit Herbert Volz aus Ulm und Gerold Miller aus Altshausen hatte sich Hörl für den Wettbewerb beworben. Sponsor des geschätzt mehr als 100 000 D-Mark teuren Kunstwerks ist die Herzoglich-Württembergische Hofkammer. Der Installationskünstler überzeugte damals die Jury mit seinem Konzept wegen der „besonderen Originalität des Entwurfs, seiner plastischen Qualität in Anlehnung an das Gelände sowie der spielerisch ironischen Gesamtausstrahlung“. Noch heute hat der Hörl die Entstehungszeit „in äußerst angenehmer Erinnerung“, wie er auf Anfrage der „Schwäbischen Zeitung“erklärt.
„Das ‚Blaue Haus‘ erhält Besuch von Ravensburgern ebenso wie von Touristen, sozusagen von allen Generationen, Schulklassen inklusive“, sagt der Künstler. Ihm gefalle außerdem sehr, dass seine Skulptur auch Menschen zu eigenen Ideen inspiriert: „Der Raumgestalter Markus Fischinger beispielsweise entwickelte sogar eine Simulation mit dem Titel ‚Das Blaue Haus von Ottmar Hörl kommt in die Stadt‘, bei der meine Skulptur eine Symbiose mit der historischen Bausubstanz des Schellenberger Turms eingeht und zum Leuchtturm in der Innenstadt wird.“
Ein Leuchtturm der Gegenwartskunst, der außerdem über eine Besonderheit verfügt: einen Briefschlitz. Und eine von der Deutschen Post registrierte Anschrift. Wer an das „Blaue Haus“in Ravensburg seine Briefe adressiert, kann am Kunstwerk teilhaben. „Das ‚Blaue Haus‘ hat zwar keine Türen oder Fenster, da es auf der Grundlage eines blauen Piktogramms, des universellen Bildsymbols für Haus, entstand. Doch es hat einen schmalen Briefkastenschlitz“, sagt Hörl. Dass Menschen schriftlich auf sein Kunstwerk reagieren könnten, sei „eine wesentliche Idee im Hinblick auf die Skulptur“gewesen – „egal, ob es ein poetisches Gedicht, eine philosophische Abhandlung, ein Liebesbrief oder eine Schimpftirade ist“, so der Künstler. Und wer öffnet diese Post? „Niemand“, sagt Hörl. „Das ist Teil des künstlerischen Konzepts. Die Inhalte bleiben für alle Ewigkeit im Verborgenen.“Und doch vermutet er, dass Post aus aller Welt dort ankommt.
Und warum ist das Haus eigentlich blau? Das hat mehrere Gründe. Zum einen hat der Installationskünstler mit dem Verkehrsblau der Straßenschilder eine Farbe aus der Umgebung der Skulptur aufgegriffen. „Blau ist außerdem im Stadtwappen der Stadt Ravensburg zu finden und steht auch für die Weite und Unendlichkeit des Himmels“, erklärt Ottmar Hörl. Nur einmal wurde es vor zehn Jahren mit dem Friedrichshafener Amüsierbetrieb „Das Rote Haus“verwechselt: Für einen Aprilscherz hatten Unbekannte Schilder aufgestellt, die Gäste des Bordells am Bodensee zum „Blauen Haus“in die Weststadt führen sollten.