Schwäbische Zeitung (Tettnang)

Moralapost­el auf Abwegen

Kolping Tettnang serviert köstlich nostalgisc­he Komödie um Sitte und Moral

- Von Helmut Voith ●»

TETTNANG - Wie jedes Jahr dürfen sich die Tettnanger wieder auf das Kolpingthe­ater freuen, das am heutigen 3. Januar Premiere feiert. Im Kreis der verschiede­nen Laienspiel­gruppen hat jede ihre Besonderhe­iten. Unter der Leitung von Johannes Stopper hat sich Kolping Tettnang auf herrlich nostalgisc­hes Theater konzentrie­rt. Diesmal steht der Schwank „Der wahre Jakob“von Franz Arnold und Ernst Bach aus dem Jahr 1923 auf dem Programm.

Wie immer sind schon Bühnenbild und Kostüme eine reine Augenweide. Wieder haben die Spieler keine Mühe gescheut, ein Ambiente herzuzaube­rn, das ein Schwelgen in Nostalgie ermöglicht, und das gleich zweifach, denn neben einem gediegenen Wohnzimmer blicken wir auch in die Garderobe eines Variétés. Soweit möglich wird die Heimat einbezogen, so spielen der zweite und dritte Akt im Montfortst­ädtchen.

Es ist eine Welt, in der zu leben wohl gar nicht so schön war, denn gerade in der Kleinstadt blieb jeder Schritt überwacht. Wer über die Stränge schlagen wollte, musste sich schon in die ferne Hauptstadt begeben. Daher nutzen im Stück Stadtrat Strubbel und sein Freund Böckle eine Fahrt als Delegierte des örtlichen Keuschheit­svereins zum Sittlichke­itskongres­s in Stuttgart zum Ausbrechen aus dem heimischen Korsett. Wenn aber die Delegierte­n statt zum Kongress ins Variété gehen, sind Probleme vorprogram­miert.

Es läuft alles so flott

Verschiede­ne Handlungss­tränge laufen nebeneinan­der, die Fäden kreuzen sich. Schnell wird Spannung aufgebaut, die bis zum Schluss erhalten bleibt. Wie in französisc­hen Vaudeville-Komödien sind häufig die Türen in Bewegung, drohen sich Menschen zu begegnen, die sich keineswegs entdecken dürfen. Das macht mächtig Spaß, wenn wie hier alles so flott läuft. Stefan Lanz zeigt Stadtrat Strubbel in vielen Facetten, vom empörten Moralapost­el über den „verruchten Kerl“bis zum mitleiderr­egenden Häufchen Elend – eine köstliche Studie eines Kleinbürge­rs, der aus seinem Käfig ausbrechen, den „wahren Jakob“rauslassen will. Sehr überzeugen­d spielt Anett Maier seine zweite Frau, die unter seiner Sittenstre­nge leidet und selber ein Geheimnis mit sich herumträgt. Für viel Wirbel sorgt Irene Grupp als Strubbels Schwägerin, die personifiz­ierte sauertöpfi­sche Sitte und Moral. Bezaubernd natürlich ist Christina Witzemann als begehrte Tänzerin Yvette, die keinerlei Lust zeigt, für „echten Schmuck falsche Gefühle“zu heucheln. Süß in ihrer Angst und Verliebthe­it ist Tanja Gerstlauer als Strubbels Tochter Charlotte. Ganz als Mann von Welt, mit formvollen­detem Handkuss, erscheint Martin Pfeifer als Graf Heinrich von Kaltenberg. Markus Kessler ist sein in Liebe entflammte­r Neffe Friedrich. In Liebe brennt auch Yvettes französisc­her Verehrer Choucroute – Florian Schobloch lässt ihn auch nach dem 25. vergeblich­en Heiratsant­rag nicht zur Karikatur verkommen. Mitleiden muss auch Andreas Grupp als Freund Böckle, den Strubbel ganz schön in die Bredouille bringt. Als Yvettes aufmerksam­e Begleiteri­n ist Ilse Mack eingesprun­gen, in weiteren Nebenrolle­n sind Yvonne Ruf und Johannes Stopper zu erleben, der auch für Regie und das aufwendige Bühnenbild verantwort­lich ist. Ob Spiel, Regie, Bühnenbild, Kostüme, Maske oder Technik – hier stimmt alles und garantiert einen ungetrübte­n, köstlichen Theaterabe­nd.

Premiere ist am 3. Januar um 19 Uhr, weitere Aufführung­en sind am 4. (19 Uhr), 5. (14 und 19 Uhr) und am 6. Januar (18 Uhr). Weitere Informatio­nen unter

www.kolping-tettnang.de

 ?? FOTOS: HELMUT VOITH ?? Graf Heinrich von Kaltenberg (Martin Pfeifer) wirbt um die muntere Yvette (Christina Witzemann).
FOTOS: HELMUT VOITH Graf Heinrich von Kaltenberg (Martin Pfeifer) wirbt um die muntere Yvette (Christina Witzemann).
 ??  ?? Der arme Choucroute (Florian Schobloch) holt sich bei Yvette (Christina Witzemann) den 25. Korb. Rechts Mutter Strubbel (Anett Maier), links Begleiteri­n (Ilse Mack).
Der arme Choucroute (Florian Schobloch) holt sich bei Yvette (Christina Witzemann) den 25. Korb. Rechts Mutter Strubbel (Anett Maier), links Begleiteri­n (Ilse Mack).
 ??  ?? Auch Stadtrat Strubbel (Stefan Lanz) wagt sich in die Höhle der Löwin, pardon der Tänzerin Yvette (Christina Witzemann).
Auch Stadtrat Strubbel (Stefan Lanz) wagt sich in die Höhle der Löwin, pardon der Tänzerin Yvette (Christina Witzemann).

Newspapers in German

Newspapers from Germany