Schwäbische Zeitung (Tettnang)
Borussia Boll lässt nichts anbrennen
Die Düsseldorfer holen wieder mal den Pokal, ihr Anführer schreibt Rekorde
NEU-ULM – Dass das deutsche Clubtischtennis eher spannungsarm ist – Borussia Düsseldorf holte am Samstag beim Final Four vor 3950 Zuschauern in der Ratiopharm-Arena mit einem 3:0 gegen den 1. FC Saarbrücken zum sechsten Mal in Serie den Pokal – liegt weniger an der Sportart als an Timo Boll. Der bald 37-Jährige bog im Spitzeneinzel gegen Tiago Apolonia einen 5:11, 6:7-Rückstand scheinbar mühelos in ein 11:9, 11:3, 11:8 um und führte den Rekordmeister, der im Halbfinale auch Werder Bremen 3:0 geschlagen hatte, ans Ziel aller Träume.
Auch in Neu-Ulm wurde wieder mal deutlich, welch fairer Sportsmann der Rekord-Europameister ist: „Das Spiel hätte auch anders laufen können, ich hatte es lange Zeit überhaupt nicht unter Kontrolle. Man muss halt auch Glück haben“, sprach Boll, ehe er sich im Konfettiregen mit seinen schwedischen Kollegen Kristian Karlsson und Anton Källberg, die die deutschen Nationalspieler Patrick Franziska und Patrick Baum bezwungen hatten, feiern ließ. So gut wie jedem Fan gönnte Boll danach ein gemeinsames Selfie, alle Düsseldorf-Anhänger durften sich zudem mit dem Pokal in der Hand fotografieren lassen – wenn man das Ding zum 26. Mal gewinnt, scheint man es mit den Besitzrechten etwas lockerer zu nehmen.
Für Boll war es – 21 Jahre nach dem ersten Coup – bereits der elfte Titel, auch in dieser Disziplin hält er nun den Rekord, er überholte den heutigen Bundestrainer Jörg Roßkopf. Selbstverständlich sei das nicht, „denn mit den ganzen Titeln wird die Motivation sicher nicht größer. Dass wir es trotzdem immer wieder schaffen und keinen Schlendrian zulassen, das macht uns schon stolz“, sagte Boll. Auf die Frage, ob das nun ewig so weitergehe, reagierte er allerdings ernst. Er habe kürzlich die TV-Doku über Boris Becker gesehen, „das war erschreckend, wie er sich beim bloßen Laufen quält, so will ich im Alter nicht daherkommen und an meinem Körper leiden. Bevor mir nur noch alles weh tut, werde ich hoffentlich aufhören“, meinte der Hesse. Aber: Wenn er fit bleibe, könne er sich vorstellen, auch mit Anfang 40 noch konkurrenzfähig zu sein. Nicht nur bis zu Olympia 2020 in Japan, auch darüber hinaus könnte Deutschlands Mr. Tischtennis dem Sport also noch erhalten bleiben.
Spielen statt trainieren
Aktuell dürfte Boll in seinem ungefähr 14. Frühling sein. Seit zwei Jahren blieb er von Verletzungen verschont, seit dem Sommer spielte er extrem viele Turniere und maß sich ständig mit den Weltbesten. Allein neunmal weilte er in Asien, es tat ihm sichtlich gut. „Ich hatte vielleicht vier klassische zweieinhalbstündige Trainingseinheiten, geschadet hat mir das nicht. Training kann keinen Wettkampf ersetzen“, sagte Boll, der bereits 2003 die Nr. 1 der Welt war und nach einem grandiosen Jahr 2017 wieder zur Nr. 3 aufgestiegen ist. Wie ein Duell des jungen gegen den aktuellen Boll ausginge? „Damals war ich spritziger und athletischer, heute bin ich spieltechnisch, taktisch und vom Know-how her besser“, sagte er und lächelte. „Es würde sicher ein hartes Match.“
In Ulm belegte er das. Wenn Boll ins Laufen kommt, wenn er das Vertrauen in sein Händchen gewinnt, sieht ein Top-20-Spieler wie Apolonia noch immer kein Land. „Im Auf- und Rückschlagbereich ist Timo noch immer mit der Beste der Welt, er hatte ein unglaubliches Jahr und strotzt vor Selbstbewusstsein“, lobte Roßkopf. Dass Boll einfach auch von seinem Talent zehrt, erkennt man an den Worten seines Freunds Dimitrij Ovtcharov. Der 29-Jährige, gerade zur Nr. 1 des Planeten aufgestiegen, sagte kürzlich, er finde es unfassbar, wie schnell Boll Schläge lerne wie etwa den Rückhandflip, in der Branche „Banane“genannt. „Da braucht der Typ vielleicht eine Woche, ich mach da ein Jahr dran rum.“
Eine Kombination aus Ovtcharov, dem pedantischen, gnadenlosen Arbeiter – Tugenden, die Boll an seinem Kumpel bewundert – und dem älteren Naturtalent, das ergäbe wohl den perfekten Spieler. Düsseldorfs Manager Andreas Preuß allerdings ist schon froh, dass er wenigstens die eine Hälfte hat. „Wir arbeiten gerade dran, mit Timo über 2018 hinaus zu verlängern“, kündigte er an. „Sicher ist nur eins: Der nächste Vertrag wird lebenslänglich sein – ohne Bewährung.“ Pokal, Finale in Neu-Ulm: Saarbrücken – Düsseldorf 0:3; Franziska – Karlsson 9:11, 12:10, 4:11, 11:9, 11:8, Apolonia – Boll 11:5, 9:11, 3:11, 8:11, Baum – Källberg 3:11, 8:11, 4:11; Halbfinale: Düsseldorf – Bremen 3:0, Saarbrücken – Ochsenhausen 3:1. – Apolonia – Dyjas 14:12, 9:11, 6:11, 11:9, 11:7, Franziska – Calderano 11:8, 11:9, 6:11, 11:7, Baum – Muramatsu 11:13 8:11, 13:11, 9:11, Apolonia – Calderano 12:10, 5:11, 12:10, 11:8.