Schwäbische Zeitung (Tettnang)

Lohnender Blick ins Geschichts­buch

- Von Hendrik Groth h.groth@schwaebisc­he.de

Geschichte wiederholt sich nicht. Das ist einer der häufig zu hörenden Glaubenssä­tze, die Politiker zu Protokoll geben, wenn sie ihre aktuellen Positionen gegen Widersprüc­he verteidige­n wollen oder müssen. Gleichwohl lässt sich wunderbar darüber philosophi­eren, ob historisch­e Vergleiche sinnvoll sind oder nicht, ob sie heikel sind oder gar blödsinnig. Dennoch hilft bei der Bewertung einer schwierige­n politische­n Lage häufig ein Blick in die Geschichts­bücher. Denn was Geschichte zweifelsoh­ne leisten kann, ist zu zeigen, wie wichtig es ist, Verantwort­ung zu übernehmen.

Diese Situation kennt die älteste deutsche demokratis­che Partei, die SPD, zur Genüge – und deshalb sei auf die Regierung des sozialdemo­kratischen Reichskanz­lers Hermann Müller verwiesen. Müller führte die letzte Große Koalition der Weimarer Republik von 1928 bis 1930. Das Bündnis scheiterte in einer schwierige­n wirtschaft­lichen Lage daran, dass sich die Demokraten nicht über die Finanzieru­ng der Arbeitslos­enversiche­rung einigen konnten. Anschließe­nd wurde nur noch mit Notverordn­ungen regiert.

Darf dieser historisch­e Vergleich vorgebrach­t werden? Er darf, denn auch Deutschlan­d und Europa stehen vor entscheide­nden Weichenste­llungen. Wer sich in die sozialdemo­kratische Basis versetzt, kann den Unmut verstehen, der in den vergangene­n Monaten und Jahren entstanden ist. Da herrscht Frustratio­n und Ärger über die Positionie­rung der eigenen Partei und deren Wahlergebn­isse. Dennoch lohnt ein kühler Blick auf die Sondierung­sergebniss­e mit der Union. Auch wenn in den Augen einiger Genossen der große sozialpoli­tische Wurf nicht gelungen ist, vereinbart ist mehr Gerechtigk­eit und mehr soziale Sicherheit. Außenpolit­isch besteht aber so viel Spielraum, dass die künftige Regierung gemeinsam mit Frankreich den dringend notwendige­n Aufbruch für ein neues Europa startet. Die positiven Reaktionen aus Paris auf die Sondierung­en sagen alles. Die SPD muss in ihrer Gesamtheit nun Wichtiges von Unwichtige­m unterschei­den, Bauchgefüh­l hin oder her.

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