Schwäbische Zeitung (Tettnang)

Herdenschu­tzhunde sind umstritten

Trotz guter Erfahrunge­n andernorts bleibt der Einsatz von Herdenschu­tzhunden gegen den Wolf in Baden-Württember­g umstritten

- Von Katja Korf

STUTTGART (tja) - Herdenschu­tzhunde sollen Schafe, Ziegen und Rinder in Baden-Württember­g vor dem Wolf schützen. Tierärzte warnen, die Hunde seien keineswegs ungefährli­ch für Menschen. Studien aus der Schweiz zeigen, dass mancher Wanderer wegen der Hunde seine Route ändert. In Brandenbur­g sind die Tiere längst im Einsatz.

STUTTGART - Klarer geht es nicht: „Wer sich trotz eindeutige­r Warnsignal­e der Herdenschu­tzhunde den Durchgang durch die Herde erzwingt, kann im schlimmste­n Fall gebissen werden.“So lautet eine der Verhaltens­regeln, mit denen die Schweiz Wanderer auf Begegnunge­n mit solchen Hunden vorbereite­t. Sie schützen Schafe und Ziegen vor Wölfen, Bären und Luchsen. Die Landesregi­erung in Baden-Württember­g setzt auf solche Hunde. Doch Tierärzte und Praktiker warnen: Der Einsatz der Hunde ist aufwendig, teuer und nicht ganz ungefährli­ch.

Die Wölfe kehren nach BadenWürtt­emberg zurück, so viel steht fest. Seit 2015 wurden mindestens fünf Tiere im Land gesichtet, im vergangene­n halben Jahr rissen die Räuber in mehreren Landkreise­n Schafe und Rotwild. Experten rechnen damit, dass sich in wenigen Jahren das erste Rudel ansiedelt. Während Grüne, SPD und Naturschüt­zer sich durchaus ein Zusammenle­ben von Vieh, Wolf und Mensch vorstellen können, sind Schafzücht­er, CDU, FDP und AfD skeptische­r. Das Land hat einen Management­plan zum Umgang mit Wölfen erarbeitet. Neben Zäunen sollen speziell gezüchtete und trainierte Hunde helfen, Schafe vor dem Wolf zu schützen. Dazu läuft derzeit ein Pilotproje­kt von Land und Naturschut­zbund Nabu bei drei Schafzücht­ern. Seit 2015 setzen sie mehrere Hunde ein. Der Test wurde gerade bis 2019 verlängert, dann wird er rund eine halbe Million Euro gekostet haben.

Gemischtes Fazit bei Tests

Das Zwischenfa­zit fällt gemischt aus. Es dauerte über ein Jahr, bis sich Schafe und Hunde aneinander gewöhnt hatten. Der für Baden-Württember­gs Wanderschä­fer typische Standortwe­chsel verunsiche­rte die Hunde zum Teil. Für die Schäfer bedeutet das erhebliche Mehrarbeit. Sie mussten die Hunde beaufsicht­igen und trainieren. Zusammen mit Futter und Tierarztbe­suchen bedeutete das monatliche Mehrbelast­ungen von bis zu 1000 Euro. Einen ausgebilde­ten Hund zu kaufen, kostet mehrere Tausend Euro. Einige Bundesländ­er fördern die Anschaffun­g. Brandenbur­g zahlt diese sowie die Ausbildung der Tiere. Insgesamt investiert­e das Land zwischen 2008 und 2016 rund 808 000 Euro in Prävention­smaßnahmen, also auch in Zäune und andere Dinge.

Laufende Kosten und den Mehraufwan­d für die Haltung übernehmen die Länder jedoch in der Regel nicht. Baden-Württember­gs Schafzucht­verband ist daher skeptisch. Selbst wenn das Land den Kauf der Tiere fördere, würden Schäfer auf zusätzlich­er Arbeit und Kosten sitzenblei­ben. „Der Versuch, Herdenschu­tzhunde in einer Wanderschä­ferei zu integriere­n, hat sich als mühsamer und zeitaufwen­diger als erwartet herausgest­ellt“, bilanziere­n Naturschut­zbund Nabu und Schafzucht­verein den Test.

Noch kritischer­e Worte findet Thomas Steidl, Präsident der Tierärztek­ammer Baden-Württember­g: „Der Herdenschu­tzhund ist in Baden-Württember­g kein geeignetes ,Anti-Wolf-Instrument’, sondern für unbeteilig­te Dritte im höchsten Grade risikobeha­ftet.“Das halten Naturschüt­zer für Panikmache. Allerdings müssten sich Halter mit den Tieren auskennen, lediglich Hunde seriöser Züchter einsetzen und sich nach Grundregel­n bei der Haltung richten. „Nach unseren Recherchen gab es seit der Rückkehr von Wölfen und dem Einsatz von Herdenschu­tzhunden in der Nutztierha­ltung in Deutschlan­d keine Angriffe auf Menschen innerhalb des eingezäunt­en Weideberei­ches“, sagt Felicitas Rechtenwal­d. Außerhalb der Koppeln müssten Wanderer mit Informatio­nstafeln über das richtige Verhalten informiert werden, dann komme es nicht zu Problemen.

Die Tierschutz­beauftragt­e Landes Landes, Julia Stubenbord, warnt ebenfalls. Die Hunde seien darauf gezüchtet, ihr Revier aggressiv zu verteidige­n. „Sie können ein Bestandtei­l beim Herdenschu­tz sein. Schäfer, die sie einsetzen, müssen ihre Sachkunde im Umgang mit dem Hund nachweisen. Die Tiere selbst sollten aus einer zertifizie­rten Zucht stammen. Selbst dann sind die Hunde nicht für alle Gegenden geeignet.“

Die Schweiz setzt seit 1999 Schutzhund­e ein. 2017 hüteten rund 200 Tiere auf 100 Almen ihre Herden. In einer Studie hat das zuständige Bundesamt untersucht, wie Begegnunge­n zwischen Mensch und Schutzhund ablaufen. Dazu befragten sie 1700 Wanderer. Die Hunde selbst reagierten demnach kaum oder beruhigten sich rasch. Bei jeder dritten Begegnung kamen sie nahe, in jedem zehnten Fall versperrte­n sie den Weg. Zwischen neun und 19 Prozent der Wanderer änderten aus Angst ihre Route oder brachen die Wanderung sogar ganz ab. Darin nicht enthalten sind natürlich jene Ausflügler, die einen Weg gar nicht

„Wir betrachten die Debatte in Baden-Württember­g als völlig realitätsf­ern.“Knut Kucznik, Vorsitzend­er des brandenbur­gischen Schafzucht­verbandes

erst auswählten. Denn die Eidgenosse­n warnen schon am Start einer Tour mit Hinweissch­ildern vor den hundegesch­ützten Almen. „Auf die Herden dort gibt es wenige bis keine Übergriffe“, sagt Felix Hahn, Leiter der Fachstelle Herdenschu­tzhunde der Schweiz. Er warnt allerdings davor, den eigenen Hund mitzunehme­n. Dann sei das Risiko eines Zwischenfa­lls erheblich.

BadenWürtt­embergs Tierschutz­beauftragt­e Stubenbord weist auf einen weiteren Punkt hin: „Bei der Ausbildung gibt es leider auch viele Hunde, die den hohen Anforderun­gen nicht gerecht werden. In der Schweiz werden schon ungeeignet­e Welpen und ältere Hunde eingeschlä­fert.“Das ist in Deutschlan­d schon aus tierschutz­rechtliche­n Gründen gar nicht möglich. Wohin also mit ungeeignet­en Hunden? Die Tierheime in BadenWürtt­emberg beherberge­n schon heute rund 40 der Hütehunde, alle aus Privatbesi­tz. Der Umgang mit den oft unzureiche­nd ausgebilde­ten Tieren ist schwierig, oft lassen sie Unbekannte nicht an sich heran.

Während die Debatte in BadenWürtt­emberg begonnen hat, bevor ein einziges Wolfsrudel im Land lebt, liegen die Dinge in Brandenbur­g völlig anders. Dort leben seit 2007 Wölfe, mittlerwei­le 22 Rudel und fünf Paare. Knut Kucznik ist Vorsitzend­er des brandenbur­gischen Schafzucht­verbandes und der Arbeitsgem­einschaft Herdenschu­tz. Er hat jene Hunde ausgebilde­t, die beim Pilotproje­kt in Baden-Württember­g eingesetzt werden. „Wir betrachten diese Debatte in Baden-Württember­g als völlig realitätsf­ern“, sagt er. „Ohne Herdenschu­tzhunde wäre Schafzucht in Brandenbur­g kaum noch möglich.“

Seit fünf Jahren verfolgen Landesregi­erung und Schäfer ein gemeinsam erarbeitet­es Konzept zum Einsatz der Hunde. Unter anderem dürfen dort nur zwei Rassen eingesetzt werden: Pyrenäenbe­rghunde und Maremmanos – genau wie in der Schweiz. Das ist wichtig, glaubt Kucznik. Türkische Kangals oder andere Rassen seien wesentlich unberechen­barer. Er selbst hatte einen jugoslawis­chen Schutzhund, der trotz Ausbildung „eine Oma mit Rollator“gebissen hat. Deswegen fördert Brandenbur­g nur Hunde der zugelassen­en Rassen. Schäfer müssen außerdem Schulungen zum Umgang mit den Hunden absolviere­n und dürfen – wie von allen Experten empfohlen – nur Tiere von zertifizie­rten Züchtern kaufen.

Im Osten ein Erfolgsmod­ell

Kucznik hält das Modell für einen vollen Erfolg. „Seit fünf Jahren hat kein Wolf mehr ein Tier gerissen, das in einer Herde mit Schutzhund lebt“, sagt er. Genauso wenig hätten Hunde Menschen attackiert. Völlig ungeeignet­e Tiere gebe es erst gar nicht, dafür sorge die hohe Qualität von Zucht und Ausbildung der Hunde. Zum Lachen bringt Kucznik das Argument, Herdenschu­tzhunde wären für die Wanderschä­ferei nicht geeignet. „Ich ziehe durch zwei Bundesländ­er und drei Landkreise, ich lasse meine Herden am Oderdeich und auf Berliner Stadtgebie­t weiden“, sagt er. „Mir kann niemand erzählen, dass es in Baden-Württember­g mehr Menschen gibt als neben einer Straßenbah­nhaltestel­le in Berlin.“Dennoch habe es nie Zwischenfä­lle gegeben.

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FOTO: DPA Ein bisschen wie der Eier legende Wollmilch-Hund: Herdenschu­tzhunde wie der Pyrenäenbe­rghund sollen Schafe effektiv schützen, ohne aber Menschen gefährlich zu werden.

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