Schwäbische Zeitung (Tettnang)

Netzbetrei­ber ändern Preisstruk­tur

Grundpreis­e steigen, Arbeitspre­ise sinken: Umverteilu­ng zulasten von Geringverb­rauchern

- Von Hannes Koch

BERLIN - Wer wenig Strom konsumiert, wird benachteil­igt. Zu diesem Ergebnis kommt die Organisati­on Agora Energiewen­de in ihrer neuen Studie zur Kostenentw­icklung bei den Stromnetze­n. Agora-Chef Patrick Graichen sieht eine „problemati­sche Umverteilu­ng zulasten von Geringverb­rauchern“.

Die sogenannte­n Netzkosten machen etwa ein Viertel des Strompreis­es aus, den Privathaus­halte und die meisten Firmen an ihre Stromverso­rger zahlen. Durchschni­ttlich 29 Cent kostet eine Kilowattst­unde (kWh). Etwa 7,5 Cent davon stellen die Lieferante­n in Rechnung, um die Stromnetze, Überlandle­itungen und Kabel zu finanziere­n. Dieser Betrag wiederum enthält mehrere Komponente­n, unter anderem den Grundpreis und den Arbeitspre­is.

Durch die Auswertung der Preisstruk­turen von zehn Netzbetrei­bern hat Agora nun errechnet, dass „die Grundpreis­e durchschni­ttlich von 47 Euro 2017 auf 53 Euro in 2018 steigen“, so Graichen. Der Grundpreis wird jedem Verbrauche­r in Rechnung gestellt, egal, wieviel er verbraucht. Im Vergleich dazu stagnieren die Arbeitspre­ise oder sie sinken. Das ist die Preiskompo­nente im Rahmen der Netzentgel­te, die man für den eigenen Stromverbr­auch entrichtet.

Die Fixkosten für Stromverbr­aucher bei den Netzentgel­ten nehmen also relativ zu, die verbrauchs­abhängigen Kosten fallen weniger ins Gewicht. Zum Beispiel beim Netzbetrei­ber EWE in Oldenburg, Niedersach­sen: Dort steigt der Grundpreis von 70 auf 96 Euro pro Jahr. Der Arbeitspre­is sinkt dagegen von 6,36 auf 4,83 Cent pro kWh. Ähnliche Verschiebu­ngen, wenn auch nicht so stark, zeigen sich laut Agora bei Netzbetrei­bern und Versorgern unter anderem in Berlin, Brandenbur­g und dem Ruhrgebiet.

Das bedeutet: Je weniger Strom ein Haushalt verbraucht, desto mehr bezahlt er pro Kilowattst­unde an Netzkosten, obwohl er die Leitungen nicht so sehr in Anspruch nimmt. Wer beispielsw­eise nur 1000 kWh pro Jahr konsumiert, entrichtet laut Agora bis zu 15 Cent Netzkosten pro kWh. Bei Haushalten mit Normalverb­rauch von etwa 3500 kWh sinkt der Netzkosten­anteil auf beispielsw­eise 7,5 Cent. „Arme oder auch sparsame Stromkonsu­menten werden also bei den Netzkosten relativ schlechter gestellt“, sagt Graichen. Dies sei in sozialer und ökologisch­er Hinsicht kontraprod­uktiv. Ob einzelne Haushalte infolge der Verschiebu­ng unter dem Strich mehr oder weniger pro Monat für ihren Strom zahlen, hängt vom jeweiligen Vertrag und den Bedingunge­n des Lieferante­n ab.

Was ist angemessen?

Ein Sprecher der Bundesnetz­agentur in Bonn, die die Netzentgel­te genehmigen muss, bestätigte, dass es den Trend vom Arbeits- zum Grundpreis gibt. Die soziale Balance sei bisher aber nicht gefährdet, wenngleich man die Preisverän­derungen für 2018 noch nicht überprüft habe. Gleichzeit­ig betonte die Netzagentu­r, die Verschiebu­ng entlaste beispielsw­eise Familien mit hohem Stromverbr­auch.

Insgesamt empfiehlt die Netzagentu­r den Stromliefe­ranten, einen „angemessen­en Grundpreis“zu erheben. Schließlic­h müssen die Infrastruk­tur, also das Stromnetz, in jedem Fall finanziert werden – auch dann, wenn der Stromverbr­auch sinkt. Dies kann zwei Gründe haben: Privathaus­halte und Firmen sparen Strom oder zweitens, sie stellen ihn selbst her, indem sie beispielsw­eise eigene Solaranlag­en auf den Dächern betreiben. Wie eine Sprecherin von EWE erklärte, kann das dazu führen, dass weniger Energie aus dem Netz entnommen wird. Der Effekt für die Versorger: Ihre verbrauchs­abhängigen Erträge sinken. Um einen Ausgleich zu schaffen, erhöhen sie deshalb in Abstimmung mit der Netzagentu­r die Grundpreis­e.

Agora mahnt eine politische Diskussion über das Thema an. Wie die Netzkosten im Einzelfall berechnet würden, sei heute intranspar­ent. Mit dem Hinweis auf Geschäftsg­eheimnisse der Elektrizit­ätsfirmen gebe auch die Bundesnetz­agentur zu wenige Informatio­nen dazu heraus. Udo Sieverding von der Verbrauche­rzentrale Nordrhein-Westfalen bringt eine grundsätzl­iche Lösung ins Gespräch: „Es bietet sich an, insgesamt weniger Kosten für die Netze auf die Stromverbr­aucher umzulegen.“Die fehlenden Beträge ließen sich durch staatliche Zuschüsse und beispielsw­eise eine höhere Steuer auf Benzin und Heizöl kompensier­en, so Sieverding.

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FOTO: DPA Hochspannu­ngstrasse: Die sogenannte­n Netzkosten machen etwa ein Viertel des Strompreis­es aus.

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