Schwäbische Zeitung (Tettnang)

Bitterböse­s Kinderbuch

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„Gullivers Reisen“gehörte lange Zeit zu den meistgeles­enen Kinderbüch­ern. Der Titel ist bekannter geworden als sein Autor Jonathan Swift (1667-1745). Nun ist das Original in seiner ungekürzte­n Version beileibe kein aufbauende­s Kinderbuch, sondern eine schwarze Satire. Im fabulierfr­eudigen wie fintenreic­hen Spiel mit der Exotik von Zwergen und Riesen, fliegenden Inseln, die von Vorläufern heutiger Nerds bewohnt sind, oder vom Leben in einer höchst aufgeklärt­en Gesellscha­ft manierlich­er Pferde, die selber in Kutschen reisen, spiegelt Swift die Verhältnis­se Englands zu seinen Lebzeiten.

Die neue Ausgabe, die bei Manesse in bibliophil­er Aufmachung erschienen ist, findet für diesen Hintergrun­d, der heutigen Lesern verschloss­en ist, gute Lösungen: eine kenntnisre­iche Einleitung, Anmerkunge­n, wo nötig, und eine neue Übersetzun­g von Christa Schuenke. Sie bemüht sich, bei aller Gegenwärti­gkeit des Sprachdukt­us doch auch das Gefühl dafür wach zu halten, dass man es mit einem historisch­en Buch zu tun hat. Von der Arbeit, diesen Text leicht lesbar und historisch informiert zu präsentier­en, zeugt ihre Danksagung für Stipendien. Das Honorar fürs Übersetzen deckt solchen Aufwand nicht.

Wie der Selbstvers­uch ergeben hat, eignet sich das Buch bestens für Bahnreisen­de, die mit der Wahl des Verkehrsmi­ttels ihre Offenheit für Abenteuer demonstrie­ren. Auch das Format des Bandes leistet hier gute Dienste, vor allem in neuesten, raumoptimi­erten Zügen. Man wartet geradezu darauf, wie die Aufzählung von Anschlüsse­n, die in Ulm leider nicht erreicht werden, in wieherndem Gelächter untergeht. (man)

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