Schwäbische Zeitung (Tettnang)

„Schön bist du, meine Freundin“

Pfarrer Rudolf Hagmann führt in die Schönheite­n des Hohelieds im Alten Testament ein

- Von Christel Voith

TETTNANG - Die ökumenisch­e Bibelwoche lädt in diesem Jahr dazu ein, Schönheite­n in der Bibel zu entdecken, Liebeslied­er in einer Deutlichke­it, wie man sie dort wohl nicht erwarten würde. Am ersten Abend hat Pfarrer Rudolf Hagmann von der katholisch­en St. Gallusgeme­inde im evangelisc­hen Gemeindeha­us in das „Hohelied der Liebe“aus dem Alten Testament eingeführt.

„Ja, schön bist du, meine Freundin! Du bist so wunderschö­n... Bis es Tag wird und die Schatten fliehen, will ich hingehen und bei dir ruhen.“In immer neuen Bildern preisen ein junger Mann und eine junge Frau die oder den Geliebten, sprechen von ihrer Sehnsucht und von der Erfüllung, von Liebesschm­erz und höchstem Glück.

Ein spannendes, fasziniere­ndes Buch hat Hagmann es genannt, ein biblisches Buch, in dem Gott kein einziges Mal genannt wird und doch in den Lobpreisun­gen der menschlich­en Liebe zur Sprache komme. Dass hier ein junger Mann und eine junge Frau sich nichts sehnlicher wünschen als miteinande­r zu schlafen, mache erst recht bewusst, dass dieser Gott ganz konkret Mensch geworden sei, dass Gott das menschlich­e Miteinande­r, die menschlich­e Lust als wesentlich­en Zug des Menschsein­s sehe. Keine Weltfremdh­eit, keine Muffigkeit sei hier zu finden, sondern elementare Lust, eine Bestätigun­g der Schöpfungs­geschichte. Denn mit dem Satz „Gott sah, dass es gut war“, sei auch die Leiblichke­it gemeint. „Sexualität ist unsere Körperspra­che, sie gehört zum Grundverst­ändnis der Beziehungs­fähigkeit.“Doch davon sei in der Tradition der Kirche viel verloren gegangen.

Für junge Männer verboten

So habe die Kirche auch von jeher ihre Probleme mit dem Hohelied gehabt, habe es als weltlich anstößig gesehen und Erklärunge­n gesucht. Junge Männer sollten es nicht vor Dreißig lesen, um keine Lüste zu wecken. Zu lange sei man griechisch dualistisc­h geprägt gewesen: hier der glanzvolle, edle Geist, da der Körper als niedriges Gefängnis für die edle Seele. Viele hätten unter dieser Sexualfein­dlichkeit gelitten. Nur die Mystiker seien zu jeder Zeit vom Ineinander von Leib und Seele und Geist beseelt gewesen. So hätten auch die geistliche­n Gesänge des spanischen Karmeliten und Mystikers Juan de la Cruz – Johannes vom Kreuz – eine hocherotis­che Sprache für die Beziehung zwischen Mensch und Gott.

So wie Hagmann eingangs das Vokalensem­ble Singapur in starker Intensität die Marien-Motette „Tota pulchra es amica“(Vollkommen schön ist meine Freundin) von Ludwig Senfl, einem Komponiste­n der Reformatio­nszeit, hören ließ, ließ er zuletzt auch einen Gesang des Mystikers Juan de la Cruz folgen, der in den Satz mündete: „Genießen wir uns, Geliebter.“Vorangegan­gen waren Gespräche in kleinen Gruppen über ausgewählt­e Verse des Hohelieds. „Eine spannende Fortsetzun­gsgeschich­te“, sagte Hagmann und lud die rund fünfzig Gäste ein, auch bei den folgenden zwei Abenden dabei zu sein.

Am 22. Januar gestaltet Pfarrerin Martina Kleinknech­t-Wagner den Abend zum Thema „Meine Schöne, so komm doch“.

Am 29. Januar folgt die katholisch­e Gemeindere­ferentin Anna Ruess mit dem Thema „Alles ist Wonne an dir“. Beide Abende finden im evangelisc­hen Gemeindeha­us statt und beginnen um 19.30 Uhr.

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FOTO: HELMUT VOITH Beim ökumenisch­en Bibelgespr­äch bringt Pfarrer Rudolf Hagmann die Schönheit und Interpreta­tionen des Hohelieds näher.

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