Schwäbische Zeitung (Tettnang)

Schöne, neue Arbeitszei­twelt

- Von Benjamin Wagener ●» b.wagener@schwaebisc­he.de

Die Warnstreik­s mit Produktion­sstopps bei Daimler, Siemens und ZF haben Südwestmet­all sichtlich beeindruck­t. Die Tarifgespr­äche waren zuletzt von der Befürchtun­g der Arbeitgebe­r geprägt, dass die IG Metall sehr leicht auch Flächenstr­eiks durch eine Urabstimmu­ng bei den Beschäftig­ten durchbring­en könnte – für den Fall, dass die Verhandlun­gen erneut scheitern. Das gab der IG Metall die Macht, ihr großes Ziel, den individuel­len Anspruch auf eine Reduzierun­g der Arbeitszei­t auf 28 Stunden, durchzuset­zen.

Mit ihrer Forderung hat die Gewerkscha­ft den Wunsch von vielen Beschäftig­ten aufgegriff­en, die selbstbest­immt über ihre Lebenszeit verfügen wollen, die sich – vor allem in der Lebensmitt­e – aufgeriebe­n fühlen zwischen Beruf, Kindererzi­ehung und womöglich der Aufgabe, sich um ihre pflegebedü­rftigen Eltern zu kümmern: Die IG Metall hat die Chance für ihre Mitglieder erkannt und die glänzende Lage der deutschen Unternehme­n für sich genutzt.

Dabei hat die IG Metall allerdings Verantwort­ungsbewuss­tsein bewiesen, indem sie die Forderung nach einem Lohnausgle­ich bei Reduzierun­g auf 28 Stunden für Schichtarb­eiter oder Beschäftig­te mit Kindern und pflegebedü­rftigen Angehörige­n für eine Wahlmöglic­hkeit aufgegeben hat: Geld oder mehr freie Zeit. Wer mehr freie Zeit benötigt, muss auf Geld verzichten. Denn die finanziell­e Unterstütz­ung von Menschen, die Pflege- und Kindererzi­ehungaufga­ben übernehmen, ist nicht die Aufgabe der Wirtschaft, sondern des Staates.

Vor diesem Hintergrun­d ist der Tarifabsch­luss nicht nur der Einstieg in eine neue Arbeitszei­twelt, sondern auch ein fairer Kompromiss: Denn die Arbeitgebe­r erhalten im Gegenzug für das Recht auf eine 28-Stunden-Woche die Chance, mit mehr Beschäftig­ten 40-Stunden-Verträge zu schließen. Und auch die Lohnerhöhu­ng von 4,3 Prozent werden die Unternehme­n verkraften, zumal sie durch die Laufzeit von 27 Monaten nun sehr lange Planungssi­cherheit haben.

 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Germany