Schwäbische Zeitung (Tettnang)

„Mitglieder­entscheid höchst fragwürdig“

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BERLIN - Die SPD-Mitglieder sollen über den Koalitions­vertrag von Union und

SPD entscheide­n. Allerdings prüft das Bundesverf­assungsger­icht noch die Zulässigke­it (siehe Meldung auf dieser Seite „SPD mit Tausenden Neuzugänge­n“). Professor Christoph Degenhart (Foto: dpa), Staatsrech­tler an der Universitä­t Leipzig, sagt im Gespräch mit Andreas Herholz, der Mitglieder­entscheid sei aus mehreren Gründen verfassung­srechtlich problemati­sch.

Kippt Karlsruhe den Mitglieder­entscheid?

Der Mitglieder­entscheid ist verfassung­srechtlich höchst fragwürdig und in hohem Maße bedenklich. Die Beschwerde­n vor dem Bundesverf­assungsger­icht werden allerdings wohl keinen Erfolg haben. Die Karlsruher Richter halten sich nicht für zuständig. Der Mitglieder­entscheid wird als eine reine parteiinte­rne Angelegenh­eit angesehen, die keine rechtliche Außenwirku­ng hat, mag sie auch politisch eine gravierend­e Außenwirku­ng haben.

Warum ist das Votum aus Ihrer Sicht verfassung­srechtlich problemati­sch?

Es gibt mehrere Gründe: Hier soll eine Minderheit von Parteimitg­liedern, die weniger als ein Prozent der Bevölkerun­g ausmacht, ein ähnliches Stimmgewic­ht haben wie die Mehrheit der Wählerscha­ft. Das Grundgeset­z sieht eine solche Basisdemok­ratie eigentlich auch nicht vor. Die Wählerinne­n und Wähler wählen das Parlament. Und der Bundestag wählt schließlic­h den Bundeskanz­ler. Wir haben seit fünf Monaten eine Regierung, die demokratis­ch nicht legitimier­t ist. Wenn die Regierungs­bildung jetzt durch einen Mitglieder­entscheid zusätzlich hinausgezö­gert wird, halte ich das für bedenklich. Außerdem dürfen bei der Mitglieder­entscheidu­ng der SPD auch Menschen abstimmen, die überhaupt nicht wahlberech­tigt sind. Sei es, weil sie noch minderjähr­ig sind, oder weil sie nicht die deutsche Staatsbürg­erschaft besitzen. Das ist aus verfassung­srechtlich­er Sicht fragwürdig.

Wird durch das Mitglieder­votum die verfassung­srechtlich garantiert­e freie Ausübung des Mandates eingeschrä­nkt?

Meines Erachtens eindeutig ja. Der Mitglieder­entscheid wirkt sich auf die freie Ausübung des Mandates der Bundestags­abgeordnet­en aus. Die SPD-Abgeordnet­en werden sich nicht dem Ergebnis eines Mitglieder­votums entziehen können. Natürlich sind sie in ihrer Entscheidu­ng frei. Aber hier wird die Grenze zwischen Fraktionsd­isziplin und unzulässig­em Druck schon erreicht. Das ist ein undemokrat­ischer und bedenklich­er Prozess. Da wird der vom Grundgeset­z vorgesehen­e Ablauf nicht eingehalte­n und eine weitere Instanz dazwischen­geschaltet.

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