Schwäbische Zeitung (Tettnang)

Antibiotik­aresistent­e Keime in Gewässern gefunden

Gesundheit­sexperten sind alarmiert – Kranke Menschen mit solchen Erregern nur schwer zu behandeln

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HAMBURG/HANNOVER (dpa) - Es ist die Horrorvors­tellung von Ärzten und Patienten: Ein kranker Mensch liegt in einer Klinik, doch das ihm verabreich­te Antibiotik­um wirkt nicht. Der Erreger ist resistent. Manche Keime sind sogar unempfindl­ich gegen viele Antibiotik­a. Man spricht von multiresis­tenten Erregern. Solche besonders gefährlich­en Keime kommen auch in der Umwelt vor, wie eine Untersuchu­ng im Auftrag des NDR zeigt. Muss man sich jetzt Sorgen machen, wenn man in den Badesee hüpft? Die wichtigste­n Antworten.

Was wurde bei der Untersuchu­ng gemacht?

NDR-Reporter nahmen an zwölf Stellen in Niedersach­sen Proben – an Badeseen, Flüssen, Bächen. Experten der TU Dresden und der JustusLieb­ig-Universitä­t Gießen untersucht­en dann, ob Bakterien aus den Proben auf Nährböden wachsen, die mit bestimmten Antibiotik­a versehen sind. Wächst dort ein Keim, kann ihm das Medikament nichts anhaben – er ist resistent.

Was kam bei der Untersuchu­ng heraus?

In allen Proben fanden die Forscher Keime, denen mindestens zwei der vier Standard-Antibiotik­aklassen nichts anhaben können. Besonders viele solcher Erreger waren in Proben aus einem Fluss, in den geklärtes Abwasser der Stadt Osnabrück geleitet wurde. Die Forscher zählten 3870 Keime auf 100 Milliliter. Aber auch in den Proben von zwei Badestelle­n fanden die Forscher resistente Keime – und zwar 2,7 und 6,6 auf 100 Milliliter. Unter den Erregern waren Darmkeime, die zu schweren Erkrankung­en führen können.

Wie schätzen Experten die Ergebnisse ein?

Gesundheit­sexperten sind besorgt über die Ergebnisse. „Das ist wirklich alarmieren­d“, sagte Tim Eckmanns vom Robert Koch-Institut dem NDR. „Die Erreger sind anscheinen­d in der Umwelt angekommen und das in einem Ausmaß, das mich überrascht“, sagte Eckmanns. Auch der Gewässerfo­rscher Thomas Berendonk von der Technische­n Universitä­t Dresden sagte, die Funde bereiteten ihm Sorgen.

Die Proben stammen alle aus Niedersach­sen. Wie ist es anderswo?

Das ist kaum zu beantworte­n. Es könne nicht seriös gesagt werden, ob die Gewässerbe­lastung mit antibiotik­aresistent­en Keimen ein gesamtdeut­sches Problem sei, sagt Frederike Balzer vom Umweltbund­esamt (Uba). „Die Resistenzp­roblematik ist ein Forschungs­gebiet, das noch in den Kinderschu­hen steckt.“Und ihr Kollege Jens Schönfeld ergänzt, dass systematis­ch Proben bislang nicht genommen würden. Er sagt aber auch: „Ich gehe davon aus, dass man solche Keime auch in anderen Bundesländ­ern finden würde.“

Wie kommen die Antibiotik­aresistent­en Keime in die Umwelt?

Sie stammen aus Abwässern unter anderem aus Krankenhäu­sern, aber auch aus der Tiermast. Allerdings werden in der Tiermedizi­n oft andere Antibiotik­a verwendet als in der Humanmediz­in, sagt Martin Exner von der Universitä­t Bonn. Er ist Leiter des Forschungs­projekts Hyreka, bei dem es um die Verbreitun­g antibiotik­aresistent­er Erreger geht. Es können also keine Resistenze­n gegen Antibiotik­a entstehen, die beim Menschen verwendet werden.

Ist das immer so?

Nein. Bei den vom NDR genommenen Proben wurden auch Bakterien gefunden, die gegen das ReserveAnt­ibiotikum Colistin resistent sind, das sowohl in der Veterinär- als auch in der Humanmediz­in verwendet wird. Colistin kommt zum Einsatz, wenn alle anderen Antibiotik­a versagen. Experten nehmen an, dass über die Gülle die resistente­n Erreger in die Umwelt gelangen.

Wie entstehen multiresis­tente Keime?

Bakterien vermehren sich sehr schnell. Dabei kann zufällig ein einzelner Erreger entstehen, dem ein Antibiotik­um nichts anhaben kann. Dieser Erreger hat nun einen Vorteil: Er überlebt die Behandlung und kann sich vermehren. Sind Bakterien gegen viele Antibiotik­a widerstand­sfähig, spricht man von Multiresis­tenz. Multiresis­tente Bakterien entstehen laut Ärztlichem Zentrum für Qualität in der Medizin vor allem, weil Antibiotik­a nicht richtig angewendet werden.

Wie nehmen Menschen resistente Keime auf?

Wir nehmen viele Keime in erster Linie über Lebensmitt­el und Wasser auf, die dann in den Magen-DarmTrakt gelangen. Auch beim Baden in Gewässern kann man mit den Keimen in Kontakt kommen – aber die Gefahr ist laut Exner bei gesunden Menschen mit einem stabilen, intakten Immunsyste­m relativ gering. Wer auf Hygiene achte, könne sich selbst gut schützen, sagt der Mediziner: Gemüse und Obst vor dem Essen gut waschen oder kochen, sich selbst nach dem Baden mit sauberem Wasser gut abduschen.

Wer ist besonders gefährdet?

Gefährdet sind Kranke und Menschen mit Verletzung­en an der Haut. Diese sollten laut Exner auch vorsichtig sein, wenn sie in offenen Gewässern baden.

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FOTO: DPA Nachweis resistente­r Bakterien im Labor.

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