Schwäbische Zeitung (Tettnang)
Pyeongchang statt München
Lindauer Sportjournalist Wolfgang Harder berichtet aus Südkorea
LINDAU/PYEONGCHANG - „Block C13, Platz 402“steht auf meiner Eintrittskarte. Sie gilt für die Eröffnungsfeier im Pyeongchang Olympic Stadium am Freitag. 35 000 Zuschauer waren live dabei, als 92 Nationen einmarschierten, das Olympische Feuer entzündet wurde und Koreas Staatspräsident Moon Jae-in die XXIII. Olympischen Winterspiele eröffnete.
Es hätte aber auch anders kommen können. Nämlich so: Frank-Walter Steinmeier statt Moon Jae-in, Olympiastadion statt Olympic Stadium, kurz München statt Pyeongchang. Wenn am 6. Juli 2011 in Durban (Südafrika) das kleine Provinzstädtchen aus Korea die bayerische Landeshauptstadt nicht klar besiegt hätte. Von 95 stimmberechtigten IOC-Mitgliedern votierten damals 63 für Pyeongchang, München bekam 25 Stimmchen, Annecy in Frankreich nur sieben.
71 Prozent der Eintrittskarten seien verkauft, frohlockte dieser Tage IOC-Präsident Thomas Bach. Hätte München den Zuschlag erhalten, wären die Karten allesamt schon längst vergriffen. Egal ob an den OlympiaSchanzen in Garmisch-Partenkirchen oder an der Kunsteisbahn am Königssee. München 2018 wäre ein Publikumsrenner gewesen. Jetzt in Pyeongchang sind wenigstens keine Zuschauer-Ausschreitungen zu befürchten.
Im US-Team gab es ein Märchen wie aus Hollywood
Vor Ort in Südkorea erlebt man auch Märchen mit dramatischen Wenden und – wie könnte es anders sein, wenn US-Amerikaner am Werke sind – mit einem Happy End. Gemeint ist die Geschichte, wie Erin Hamlin, aus der Nähe von Lake Placid im US-Bundesstaat New York, zur Fahnenträgerin des US-Teams bei der Eröffnungsfeier wurde.
Das Nationale Olympische Komitee der USA hatte wie üblich die Fachverbände gebeten, ihre Vorschläge für die ehrenvolle Aufgabe des Fahnenträgers einzureichen. Danach kristallisierten sich zwei Persönlichkeiten so ganz nach dem Geschmack der US-Öffentlichkeit als Favoriten heraus.
Auf der einen Seite Erin Hamlin, erste US-Amerikanerin, die Rennrodel-Weltmeisterin wurde und auch als erste US-Amerikanerin eine Olympia-Medaille in dieser Sportart gewann, nämlich Bronze 2014 im russischen Sotchi. Und die nach Pyeongchang, ihren vierten Spielen, ihre Laufbahn beendet, um zu heiraten.
Auf der anderen Seite Shani Davis, der erste afro-amerikanische Olympiasieger über 1000 Meter Eisschnelllauf. Das Kunststück von 2006 in Turin wiederholte der Eisschnellläufer aus Chicago vier Jahre später in Vancouver. Insgesamt vier Olympia-Medaillen nennt der schnelle Mann sein Eigen. Den Showdown hätte kein Drehbuch-Autor besser schreiben können. Beide, Hamlin und Davis, erhielten bei der Abstimmung unter den US-Athleten die gleiche Stimmenanzahl. So musste ein Münzwurf über den US-Fahnenträger entscheiden. Hamlin hatte Glück und führte das US-Team ins Olympic Stadium. „Es ist mir eine Ehre“, sagte die Rennrodlerin. Und Davis? Der schmollte erst, sprach dramatisch in einem Facebook-Eintrag von einer „unehrenhaften“Entscheidung. Doch für das Happy End sorgte er selbst. „Vielleicht habe ich 2022 mehr Glück“, sagte Davis. Der Mann wird im August 35!