Schwäbische Zeitung (Tettnang)
Zukunftsweisende Ideen im Sitzungssaal
Die todernste öffentliche Ratssitzung zeigt neue Wege für Tettnang auf – Karlstraße wird nicht zur „Bruno-Walter-Straße“
TETTNANG - Es ist die eine Ratssitzung im Jahr gewesen, in der sich die dortige Besetzung – eine „BuKo“(bunte Koalition) – den großen lokalpolitischen Themen gewidmet hat, in der Stellen mit kompetentem Personal neu besetzt werden und in der die Wahrheit ans Licht kommt. Dumm nur, wenn dann auch die derben Geheimnisse der Ratsmitglieder bekannt werden. Alles natürlich todernst und öffentlich.
Wo anfangen, wo aufhören bei diesem satirischen Schauspiel am bromigen Freitag im Sitzungssaal des Rathauses? Das dachte sich wohl auch Gickeler Marius, der Jahr für Jahr einen Spruch an den Bürgermeister richtete. Er hat eine Entscheidung getroffen: „Als ich angefangen habe, habe ich gesagt, wenn der Gickeler mal größer als der Bürgermeister ist, ist es Zeit zu gehen.“
Für wen es Zeit ist, bleibt zwar offen, aber es scheint, als ob es die letzte todernste öffentliche Ratssitzung für Marius war. Müssen eben andere die Sprüche raushauen und den voll besetzten Sitzungssaal zum Quietschen bringen – einen Saal, der zu keiner Sitzung im Jahr so voll gewesen ist, mag es an einer neuen Ratsbesetzung oder einfach an der Ernsthaftigkeit der Themen liegen.
Zur Verlesung ihrer nicht öffentlichen Ratsbeschlüsse hatte die Zunft „Zeitungsenterich“und SZ-Redakteur Mark Hildebrandt eingeladen. Der verliest unter anderem, dass bodenlose Fässer im Tausch gegen gelbe Säcke im Rathaus abgegeben werden können oder dass, nachdem sich der City-Wirt nicht als Tauscher zeigte, der Bauherr einen akrobatischen Salto rückwärts machte.
Doch die Veränderung, die die Stadt mit der neuen Ratsbesetzung erlebt, macht auch vor der Kultur nicht halt: Kultur- und Bildungschef „W. Locher“hat ein neues „Selektionsverfahren“entwickelt, das komplexe Denkarbeit erfordert, Zeit, Kreativität und einen entsprechenden Pegel. Die Vorstellung im Saal zeigte, dass das Verfahren funktioniert, selektiert werden alle. „Apfnemi 2000 – Aufnahmeprüfung für Neumitglieder“soll verhindern, dass nicht jeder Hiwi in die Zunft komme. Fakt ist: Es wird niemand in die Zunft eintreten können. Na dann Prost.
In der Bürgerfragestunde meldet sich dann der abgesetzte Bürgermeister Walter zu Wort. Zwar ohne blondes Haar, dennoch mit Wiedererkennungswert, „geschlossene Flaschen“, wie das neue Stadtoberhaupt Michael Pfau feststellt. Walter wünscht sich, dass auch den Räten in den Gemeinderatssitzungen ein „Narrenkrönle“vorbeigebracht wird. Eine Idee, die Pfau befürwortet: „Da haben Sie recht, aber die Grünen bekommen Sie damit trotzdem nicht lustig.“
Fusselegger und Zwisler abgelehnt
Nein, weder die Realität noch die Fasnet können immer lustig sein. Manchmal ist sie einfach schwierig: wie die Suche nach einem geeigneten Sozialarbeiter für das St. Anna Quartier. Für das Sozialamt spricht der neue Zunftrat „Tanne“alias Christoph Thanner. Absehbar, dass sich das Publikum gegen „Herrn Fusselegger“und „Frau Zwisler“und für „Fräulein Ugu“entscheidet, die nicht viel mitbringen kann, weil sie nicht viel besitze, dafür aber Mutter und Schwiegermutter mitbringe: „Was einmal gegebe, nicht mehr zurücknehme.“Schön.
Im Amt für öffentliche Meinung hat sich Marc Müller derweil mit den Beschwerden zur Karlstraße befasst – mit falschen Steinen, falschen Lichtern, einem Randstein an der Bushaltestelle, der in den Abgrund führt, fehlenden Taxis, „die einen für Geld nicht mitnehmen“und falschen Namen. Nein, den Namen will er nicht verändern, viele Vorschläge seien unpassend: Gerade die Bruno-Walter-Straße entspreche nicht der jetzigen mondänen, herrschaftlichen Prachtstraße. Die Idee wolle man sich aber aufheben, werde das Kronengässle mal umbenannt. Dass das passiert, ist möglich, schließlich hat das Stadtbauamt mit Thomas Raab und Christoph Kienzle eine neue Idee für Tettnangs „Bermuda-Dreieck“: Das City wird an die Stelle des Kiosks im Obereisenbacher Bädle verpflanzt, aus der Stadthalle wird eine riesige Schaubrauerei und ein Ort für bierkulinarische Früherziehung, „der Fritz-Tauscher-Campus“und der Erweiterungsbau für die Verwaltung, auf den eine baldige 20 000-Einwohner-Kommune gefasst sein muss, werden das jetzige City und die Bärenapotheke sein.
Vielleicht muss bei diesen kompetenten zukunftsweisenden Gedanken das, was der Jungzunftrat in den „Zunftrat-Leaks“offengelegt hat, einfach ignoriert werden: Der Organverkauf nach Langenargen von Christian Grasselli, das Blankziehen von Klaus Müller, die Geldwäsche Ursula Forsters, die Affäre von Michi Pfau. Vielleicht muss ausgeblendet werden, dass Thomas Raab ein Gickeler-Jäger ist, Marc Müller ein Wassertrinker und Udo Kienzle einen Sohn in Afrika hat. Wir freuen uns einfach auf Tettnangs Zukunft im kommenden Jahr: Montfort Jehu.