Schwäbische Zeitung (Tettnang)
Riesentumor bereitete keine Schmerzen
Am St.-Elisabethen-Klinikum hat ein Chirurg ein fast fünf Kilo schweres Liposarkom entfernt
RAVENSBURG (sz) - Alles ist gut gegangen: Erleichtert sitzt die Patientin ihrem Arzt Ekkehard C. Jehle gegenüber. Sie erzählt, wie es möglich ist, über lange Zeit nicht zu bemerken, mit einem am Ende fast fünf Kilo schweren Tumor zu leben. Sie berichtet über die Wochen der Ungewissheit bis hin zur Operation am St.-Elisabethen-Klinikum (EK) – und kann schon wieder scherzen. Nach nur zehn Tagen Klinikaufenthalt geht es für sie nach Hause. Zurück in ihren Alltag, aus dem sie jäh gerissen wurde. Ohne das 35 x 32 x 17 Zentimeter große Geschwulst im Bauchraum.
Der Tumor war über viele Monate hinweg gewachsen. Von der Patientin lange Zeit unbemerkt. „Ich hatte keine Schmerzen“, berichtet die 50Jährige. „Nur zum Schluss habe ich mich unwohl gefühlt.“Exakt 4840 Gramm hat der Tumor gewogen, den Jehle, Chefarzt der Klinik für Allgemeinund Visceralchirurgie am EK, aus dem Bauchraum herausoperiert hatte. Für den erfahrenen Chirurgen zwar kein alltäglicher, aber auch kein völlig außergewöhnlicher Fall.
Der Bauch war aufgebläht
„Ein Liposarkom wächst ganz langsam. Allmählich verdrängt es im Bauchraum Darm und Organe“, erläutert Jehle. So war es auch bei seiner Patientin. Erst mit der Zeit hat sie gespürt, dass irgendetwas nicht stimmen könnte. „Ich habe zunächst nur gedacht, der Bauch ist aufgebläht und in der Apotheke etwas gegen Gastritis geholt“, erzählt sie. Noch sah sie keinen Anlass, zum Arzt zu gehen. Ganz normal trieb sie Sport, konnte essen wie immer, hatte eine intakte Verdauung. „Auch am Gewicht habe ich nichts gemerkt, da ich mich nicht wiege“, berichtet sie.
In der Woche vor Weihnachten kam die Erkenntnis. „Ich hatte das Gefühl, dass etwas im Bauch nach unten rutscht und den Bauchnabel auswölbt.“Aber unverändert hatte sie keine Schmerzen, die auf eine ernste Erkrankung hätten hindeuten können. „Es war nur ein Gefühl, wie wenn man an der Rippe drückt.“ Plötzlich passte die Skihose nicht mehr. „Ich konnte es mir nicht erklären.“Nun schien es doch an der Zeit, einen Arzt zu konsultieren.
Erst zwei Wochen nach Weihnachten ging die Frau zur Hausärztin. Diese erkannte im Ultraschall sofort den Grund des Unwohlseins: einen riesigen Tumor. „Glücklicherweise bin ich in dem Moment gelegen“, erzählt die Patientin. Es war ein Schock. „Wie lange noch?“, sei ihr durch den Kopf geschossen. Gehörte sie von einem Moment auf den anderen zu den Menschen im mittleren Lebensalter, die plötzlich einer Tumorerkrankung zum Opfer fallen?
Ein Liposarkom ist bösartig
Die Hausärztin überwies die Patientin umgehend ans EK in die Klinik für Innere Medizin. Dort überbrachte Günther J. Wiedemann als Ergebnis der Computertomografie zwei positive Botschaften: Es seien keine Metastasen festgestellt worden, und der Tumor sei vermutlich auch noch nicht mit den Bauchorganen verwachsen. Für den Chirurgen Ekkehard C. Jehle eine gleichermaßen wichtige wie beruhigende Erkenntnis. „Ein Liposarkom ist bösartig. Jedes Organ, in welches dieser Tumor einwächst, muss mit dem Tumor zusammen entfernt werden“, erklärt er. Oft seien Niere oder Nebenniere betroffen. Die Patientin im aktuellen Fall hatte Glück. Sie war noch rechtzeitig gekommen. Jehle konnte es damit bewenden lassen, ein Stück des Dickdarms mit zu entfernen.
Knapp vier Stunden lang hat er operiert und Millimeter für Millimeter den Tumor herausgelöst – für den Laien ein dramatisches Geschehen. Der Arzt sieht es gelassener. Operationstechnisch sei es, da außer dem Einwachsen in einen Teil des Dickdarmes keine weiteren Organe betroffen waren, sogar verhältnismäßig einfach gewesen, meint er. „Liposarkome sind abgekapselt und lassen sich trotz ihrer Größe meist relativ gut entfernen.“
„Ich bin mir vorgekommen, als ob ich neben mir stehe“, beschreibt die Patientin, wie sie die letzten Wochen erlebt hat. Nun ist die Sorge der Erleichterung gewichen. Zumal ihr Jehle sagt, dass eine Chemotherapie derzeit nicht nötig ist. Nur eine Kontrolluntersuchung im CT in drei Monaten legt er seiner Patientin dringend ans Herz. „Damit wir sofort gegensteuern können, wenn wieder etwas auftreten sollte.“
Sofort gegensteuern – das ist auch die Botschaft der Patientin an ihre Mitmenschen. Deshalb erzählt sie ihre Geschichte für die Öffentlichkeit. Als Mahnung, rechtzeitig auf die Signale des Körpers zu achten. Professor Jehle bestätigt es: „Umso früher wir Ärzte in einem solchen Fall eingreifen können, desto besser sind nach der OP die Aussichten für unsere Patienten.“