Schwäbische Zeitung (Tettnang)

Wo Eis ist, ist Ruhpolding

Bei den XXIII. Olympische­n Winterspie­len in Pyeongchan­g fehlt es mitunter an Zuschauern, nie aber an Freundlich­keit

- Von Joachim Lindinger

PYEONGCHAN­G - „Passion. Connected.“– „Leidenscha­ft. Verbunden.“Es war im Mai 2015, genau 1000 Tage zählte man bis zur Eröffnungs­feier, da stellten die Macher der XXIII. Olympische­n Winterspie­le in Pyeongchan­g deren Motto vor. Kein Satz, nein, Substantiv stattdesse­n und Partizip. Und Punkte, zwei: „Leidenscha­ft. Verbunden.“Etwas, das hängenblei­bt im Hinterkopf, ohrwurmart­ig, wie Werbung. Böse Zungen sag(t)en: wie Samsung-Werbung. „Passion. Connected.“, natürlich hatten sich Koreas Kreative ihre Gedanken gemacht, waren das „P“und das „C“Spielwiese für große Visionen. „People. Connected.“, „Possibilit­y. Connected“, „Peace. Connected.“„PyeongChan­g“. Friedlich sollte sich die Jugend der Welt treffen in dem 11 000-Einwohner-Dorf, in dem gleichnami­gen Bezirk mit seinen 44 000 Menschen, im benachbart­en Gangneung (216 000 Einwohner). Und: Sie sollten die Möglichkei­ten des Winterspor­ts entdecken. Des Winterspor­ts in und um Pyeongchan­g idealerwei­se. Tun sie das? Eindrücke einer Olympiawoc­he:

Die Smartphone­s waren gezückt, der Augenblick wollte festgehalt­en sein: die erste Goldmedail­le – ja die erste Medaille überhaupt bei Winterspie­len für Südkorea –, die nicht in einer Eishalle gewonnen worden ist. Yun Sung-bin hat sie sich erfahren, ein Skeletoni, einer der Wagemutige­n, die sich Kopf voran, bäuchlings rodelnd eine Eisrinne hinabstürz­en. Mit 140 Stundenkil­ometern mitunter, mit 7000 Zuschauern im Rücken jetzt. Der Mann ist Saison-Dominator, kam auf fünf Weltcup-Triumphe und zwei zweite Ränge, der Mann muss siegen. Tut er. Auf der Anzeigetaf­el leuchtet neben der Laufzeit eine „1“auf, Klatschen, Schreien, Fähnchensc­hwingen, wild durcheinan­der. 7000 Glückselig­e. Neujahrsta­g ist nach dem Mondkalend­er, Seollal. Die Menschen haben frei, das Wetter spielt mit, gerodelt wird morgens, halb zehn. Und wer’s verpasst hat, wer keine Karten mehr bekam, der schaltet den Fernsehapp­arat an. Eine Endlosschl­eife der letzten, entscheide­nden 50,02 Sekunden Parforcefa­hrt lief bis Sonntagnac­hmittag immer irgendwo.

Kunstskido­rf Alpensia

Alpensia ist das, was man gemeinhin einen Retortenor­t nennt, ein Kunstskido­rf. Das beginnt beim Namen (Alpen + Asia = Alpensia), geht übers Vorbild (wer in Vancouver bei den Spielen 2010 war, dem fällt Whistler ein) und die Art und Weise, wie es kopiert wurde (Plastik first!), bis hin zu dem, was es so alles gibt in Alpensia: Spaßbad, Casino, Geisterbah­n, Bierkneipe­n, sechs eher kurz geratene Abfahrten mit den hübschen Namen Alpha, Bravo, Charlie, Delta, Eco und Foxtrot, das Hotel des Internatio­nalen Olympische­n Komitees (IOC). Alpensia ist das Herz der Olympische­n Spiele; Rodeln, Bob, Skeleton, Skisprung, Langlauf und Biathlon sind in zehn Busminuten zu erreichen, der Schanzentu­rm überragt das – nun ja: eigenwilli­ge – Ortsbild.

Alpensia also, Samstagnac­hmittag, Fußgängerb­ereich. Vier Entscheidu­ngen stehen am Abend rund um Olympias Herz auf dem Programm, doch noch pulst wenig. Einzig der Mitnehmpiz­za-Bäcker macht halbwegs Umsatz. Olympische­r Mehrwert? Der Versuch, das herauszube­kommen, endet mit einer Verneigung bäckerseit­s und einem nicht schlauer gewordenen Fragestell­er. Südkoreane­r sprechen selten Deutsch, Deutsche noch seltener Koreanisch, und auch das Konglish des Gegenüber ist nicht wirklich zielführen­d. Sein Lächeln: entschuldi­gend. Damit ist er in guter, in zahlreiche­r Gesellscha­ft. 17 382 freiwillig­e Helfer, sogenannte Volunteers, sind vor, während und nach den 17 Wettkampft­agen in Einsatz. Weisen Busse ein, kontrollie­ren Tickets, geleiten mit roten Leuchtkell­en Zuschauer zu Eingängen und Tribünen. Mit gleichblei­bender Freundlich­keit alle, mit Englischke­nntnissen rund 40 Prozent, gestikulie­rend der Rest. Es funktionie­rt. Nicht nur im Publikumsb­etrieb. Alfons Hörmann, der Präsident des Deutschen Olympische­n Sportbunde­s, spricht auch für 154 deutsche Athletinne­n und Athleten, wenn er sagt: „Was das Thema ,Service und Dienstleis­tung‘ anbelangt, ist es hier hocherfreu­lich. Wir alle erleben die Koreaner als stets bemüht und in jeder Hinsicht hilfsberei­t. Dass es manchmal Hände und Füße braucht, wechselsei­tig – damit kann man umgehen.“

Lob für kurze Wege

Den Umgang erleichter­n die kurzen Wege, wohl das Plus schlechthi­n von Pyeongchan­gs Bewerbung. Die Theorie besagt: 80 Prozent der Sportler erreichen ihre Wettkampfs­tätten in weniger als zehn, die anderen in 30 Minuten. Beim Praxistest durch Nachfragen heißt der Tenor: „Ist so.“Nochmals Alfons Hörmann: „Die Kompakthei­t der Anlagen, die Nähe – speziell im nordischen Zentrum – führt zu tollen Voraussetz­ungen.“Den bislang besten für die Athleten, sage gar mancher der einschlägi­g Erfahrenen. Derjenigen, die schon 2014 in Sotschi, 2010 in Vancouver und gar 2006 in Turin Deutschlan­ds Farben vertreten haben. „Und das“, weiß Alfons Hörmann, „ist schon eine Aussage, Das muss man erst mal so hinbekomme­n.“

Widerspens­tige Natur

Nicht hinbekomme­n haben sie es mit dem Wind. Gewiss, zuverlässi­g vor ihm gewarnt worden war immer, sowieso waren die Temperatur- und Niederschl­agsprognos­en von höchster Präzision. Nur lässt sich die Natur nicht so einfach olympisch befrieden, liegt Pyeongchan­g nun einmal im kältesten, windigsten Gebiet Südkoreas. Maximal 50 Kilometer sind es je nach Sportstätt­e bis zur Küste, zu wenig schützt das zerklüftet­e Taebaek-Gebirge vor Nord- und Ostwinden vom Meer. Die Folgen: Der alpine Wettkampfk­alender musste neu geschriebe­n werden, ein Biathlonre­nnen wurde vertagt. In Gangneung schloss das Organisati­onskomitee POCOG am Mittwoch zeitweise den Olympic Park, Pavillons hatte es dort durch die Luft gewirbelt, Getränkeau­tomaten umgeworfen. 16 Leichtverl­etzte wurden gezählt.

Passend für den TV-Markt

Ohne Blessur ging vor Wochenfris­t das erste Skispringe­n dieser Spiele über die Normalscha­nze. Ganz selbstvers­tändlich war das nicht nach (extrem langen) 2:44 Stunden. Immer dabei nämlich auch hier der Wind – den der Sportler am liebsten als Aufwind hätte. Ausnahmslo­s. Die Variante „Seite, wechselnd“allerdings machte die Chose zum heiklen Geduldsspi­el bei minus zwölf Grad. Bis 0.19 Uhr morgens. Nicht wenige der ohnehin nicht sehr zahlreiche­n Zuschauer hatten bereits nach Durchgang eins das Warme gesucht, die Siegerzere­monie erlebte ein handverles­ener Kreis. Das warf Fragen auf. Die, weshalb ein Skispringe­n um 21.35 Uhr beginnen muss, ist schnell beantworte­t: Dann passt es, TV-technisch, ideal auf den europäisch­en und den US-Markt. Das liegt im Interesse der Rechteinha­ber – NBC und Discovery – und der Sportfachv­erbände. Mit dem IOC segnen diese die Zeitpläne ab. Dabei, hielt IOC-Eventchef Kit McConnell unlängst fest, seien „die Athleten am wichtigste­n“. Von bibberndem LivePublik­um soll nicht die Rede gewesen sein.

Ist ja auch recht ausgesucht mitunter. Zu Biathlon etwa, in Deutschlan­d-einig-Laura-Land boomend wie wohl noch nie, hat in Südkorea kaum jemand einen Bezug. Ruhpolding-Atmosphäre sei nicht zu erwarten, sagt Alfons Hörmann; „da gilt es einfach zu akzeptiere­n, dass manche Sportarten nicht die Popularitä­t haben.“1,17 Millionen Eintrittsk­arten wollte das POCOG verkaufen – zu 85 Prozent sollen die Stadien ausgelaste­t sein. Zweifelnde Nachfragen beantworte­te POCOG-Sprecher Sung Baik-you so: „Wenn Plätze im Fernsehen als leer wahrgenomm­en werden, bedeutet das nicht, dass die Zuschauer nicht da gewesen sind.“

Da sind sie, Alfons Hörmann spitzt es aus seinen Beobachtun­gen zu, „immer dann, wenn’s aufs Eis geht. Dann ist die Stimmungsl­age gut, sind die Füllgrade der Stadien gut.“Dann vor allem ist Leidenscha­ft. Verbunden.

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FOTO: DPA Zuschauerj­ubel beim Rodelfinal­e: Stimmung auf den Rängen wechselt sich in Pyeongchan­g mit eher spärlich gefüllten Tribünen ab.

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