Schwäbische Zeitung (Tettnang)
Britische Parteien streiten über Brexit
Während britische Unterhändler diese Woche wieder mit ihren Brüsseler Gesprächspartnern beraten, bahnen sich in den grossen Parteien wichtige Brexit-Weichenstellungen an. Bereits am Montag will das Schattenkabinett von Labour-Chef Jeremy Corbyn über den möglichen Verbleib Grossbritanniens in einer EU-Zollunion entscheiden. Für Donnerstag hat die konservative Premierministerin Theresa May das zuständige Kabinettskomitee auf ihren Landsitz Chequers eingeladen. Dort sollen die wichtigsten Minister festlegen, wie viel politische Nähe zum Kontinent die Regierung anstrebt.
Außenminister und Brexit-Galionsfigur Boris Johnson hatte in einer als programmatisch gekennzeichneten Rede vergangene Woche seinen Kurs auf einen harten Brexit bekräftigt. Nur der Austritt aus Binnenmarkt und Zollunion eröffne seinem Land die Chancen, mit eigenen Handelsverträgen und abweichender Regulierung voranzukommen. Hingegen wünschen sich Finanzressortchef Philip Hammond und Innenministerin Amber Rudd „möglichst wenig“Abweichung von den Institutionen und Bestimmungen der EU.
Einigkeit besteht bei den Konservativen darüber, daß man in der Verteidigungsund Sicherheitspolitik eng mit den 27 EU-Partnern zusammenarbeiten möchte. Regierungschefin May war deshalb eigens zur Münchner Sicherheitskonferenz gereist. „Europas Sicherheit ist unsere Sicherheit“, versicherte die 61-Jährige, dazu stehe ihr Land „bedingungslos“. Gleichzeitig forderte sie die EU zu „praktischem und pragmatischem“Vorgehen auf. Das Land mit den bestausgerüsteten Streitkräften und Geheimdiensten Westeuropas wünscht sich von den Verbündeten im Gegenzug für Informationsaustausch und Militärzusammenarbeit mehr Entgegenkommen. Beispielsweise möchte London beim Europäischen Haftbefehl bleiben, ohne sich der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs zu unterziehen.
Labour hat sich unter seinem EUskeptischen Chef Jeremy Corbyn bisher vor klaren Positionen gedrückt. Der pro-europäische Brexit-Sprecher Keir Starmer redet seit Monaten, angeblich mit Corbyns Rückendeckung, einer Zollunion mit der EU das Wort, wie sie auch vom Industrieverband CBI gefordert wird. Dies scheint Meinungsumfragen zufolge unter Labour-Anhängern populär zu sein. In den vergangenen Tagen unterzeichneten rund 20 000 der mehr als 450 000 Mitglieder eine Petition für eine EU-nahe Politik nach dem Brexit. Sollte das Schattenkabinett tatsächlich Starmers Linie folgen, käme die Regierung unter erheblichen Druck, von ihrem harten Brexit-Kurs abzuweichen.
Dem Alt-Linken Corbyn, 68, werfen konservative Zeitungen seit Tagen Kontakte zu Ostblock-Staaten aus der Zeit des Kalten Krieges vor. Ein früherer Agent des tschechoslowakischen Geheimdienstes namens Jan Sarkocy behauptet sogar, der seit 1983 dem Unterhaus angehörende Labour-Mann habe bei drei Treffen für Informationen Geld erhalten. Freilich war der linke Hinterbänkler damals in seiner Partei weitgehend isoliert und dürfte kaum Zugang zu brisanten Informationen gehabt haben. Ein Corbyn-Sprecher wies die Spionage-Story zurück: Diese weise mehr Lücken auf „als ein schlechter James-Bond-Film“.