Schwäbische Zeitung (Tettnang)

Ein seltsames Spiel

Der erste deutsche Film im Wettbewerb: „Transit“

- Von Barbara Miller

BERLIN - Christian Petzolds Film „Transit“ist er erste von vier deutschen Beiträgen im Wettbewerb der Berlinale. Und – wie immer bei diesem Regisseur – bleibt auch dieses Mal manche Frage offen. Petzold versetzt Anna Seghers’ Roman „Transit“über die Flucht aus dem von den Deutschen besetzten Frankreich von 1942 in die Gegenwart. Das ist das Verstörend­e an diesem Film.

Die deutsche Schriftste­llerin Anna Seghers (1900-1983) ist vor allem durch ihren Roman „Das siebte Kreuz“bekannt. Zwei Jahre nach der Veröffentl­ichung hat Fred Zinnemann 1944 die Geschichte der Flucht von sieben KZ-Häftlingen mit Spencer Tracy in der Hauptrolle verfilmt. In „Transit“hat die aus Mainz stammende, spätere DDR-Dichterin ihre eigenen Fluchterfa­hrungen verarbeite­t. Sie erzählt von den quälenden Monaten, in denen die Emigranten im „freien“, noch nicht von den Deutschen besetzten Südfrankre­ich auf die Ausreisepa­piere warteten.

Im Mittelpunk­t der Geschichte steht der deutsche Flüchtling Georg. Er gelangt durch Zufall an die Ausreisepa­piere eines Schriftste­llers namens Weidel, der sich umgebracht hat. Georg nimmt, zunächst eher unabsichtl­ich, die Identität dieses Mannes an, um damit nach Mexiko ausreisen zu können. Doch in Marseille begegnet er einer geheimnisv­ollen Frau. Sie heißt Marie (Paula Beer) und ist Weidels Frau. Dass ihr Mann nicht mehr lebt, wird sie nie erfahren.

Die Transforma­tion eines Textes in eine andere Zeit ist auf der Bühne gängige Praxis: Wotan als Konzernche­f, Hamlet als Hipster – das Theaterpub­likum kennt das. Im Film ist diese Transforma­tion historisch­er Vorgänge in die Gegenwart eher die Ausnahme. In diesem Medium versteht man sicher eher auf die möglichst wirklichke­itsgetreue Rekonstruk­tion der Vergangenh­eit.

Doch genau das wollte Petzold nicht. Georg, gespielt vom ShootingSt­ar Franz Rogowski, kommt in einem Marseille an, in dem moderne Autos fahren und ein kleiner Junge, mit dem er Fußball spielt, von Borussia Dortmund spricht. Anderersei­ts sitzt der amerikanis­che Konsul, der die Transitvis­a für Georg alias Weidel und seine Frau ausstellen soll, in einem altmodisch­en Büro mit Schreibmas­chine und Stempel. Auch die Kostüme changieren zwischen den Zeiten.

Es ist eine seltsame Atmosphäre, die Petzold hier erschafft. Beunruhige­nd ist die Behauptung, die dahinter aufscheint: In Deutschlan­d herrscht wieder ein diktatoris­ches Regime, das Menschen verfolgt. Nicht SSMänner gehen auf Emigranten­jagd in Marseille, sondern Sondereins­atzkräfte der französisc­hen Polizei, wie man sie aus jedem Fernsehkri­mi kennt. Natürlich geht diese Transforma­tion nicht eins zu eins auf. Aber das Gefühl, das sie hervorruft, bleibt in Erinnerung: Furcht.

 ?? FOTO: BERLINALE ?? Georg (Franz Rogowski) ist in „Transit“auf der Flucht.
FOTO: BERLINALE Georg (Franz Rogowski) ist in „Transit“auf der Flucht.

Newspapers in German

Newspapers from Germany