Schwäbische Zeitung (Tettnang)
Publikumsströme beim Kunstfreitag
Viele Besucher erleben provokante Ausstellungen und Performances
FRIEDRICHSHAFEN - Kunst kann weh tun. Auch am Kunstfreitag. Da nämlich lässt sich Pedro Krisko vor dem Zeppelin-Museum fesseln, an einer Balustrade in die Höhe ziehen und baumelnd auspeitschen, zur harten Rockmusik einer Liveband.
Schließlich wird er herabgelassen, um Kriskos Hals hängt ein Schild: „Abgehängt“steht darauf. „Abgehängt wurde die Kunst“, kommentiert er später seine Aktion. Und weiter: „Was dieser Stadt fehlt, ist eine Underground-Szene von Künstlern, die auch mal Guerilla-Aktionen macht.“Nur fliegt sein Guerilla-Auftritt unter dem Radar des großen Publikums.
Das sitzt nämlich nebenan bei der Eröffnung des Kunstfreitags im Zeppelin-Museum und wird Zeuge der Performance des Duos „BBB_“. Zu den dichten Cyberpunk-Beats von Alexander Sahm legt Alla Poppersoni eine verstörende Performance hin. Es geht um geschlechtliche Identitäten, um Identitäten überhaupt in einem Zeitalter, in dem der Mensch zum Datenstrom mutiert und mit der digitalen Maschine verschmilzt. Poppersoni bewegt sich wie eine Computeranimation und skandiert englische Texte, die in dieser Dichte nur schwer verständlich sind. Es fehlt eine Erläuterung des Ganzen, und sei es nur in Form von Zetteln auf den Stühlen des Publikums. So bleiben viele fragende Gesichter. Was „BBB_“machen, bewegt sich an der Spitze der Pop-Avantgarde, mit 40 Minuten ist der Auftritt aber zu ausgiebig. Zu lang beansprucht das Zeppelin-Museum ein Publikum, auf das andere am Kunstfreitag beteiligte Einrichtungen warten.
Dem Kulturbüro gelingt mit Ai Wei Weis Film „Human Flow“ein Volltreffer: Die Doku im Kiesel über die weltweite Völkerwanderung der Flüchtlinge ist permanent voll besetzt – wie überhaupt das Publikum zum 33. Kunstfreitag reichlich strömt. Auch die Führungen von Sabine Giebeler durch die Artothek im Medienhaus sind hervorragend besucht. Dass hier Kunst von Picasso bis Gerhard Richter lagert, hat sich herumgesprochen. Auch Kreiskulturamtsleiter Stefan Feucht ist präsent und stellt die 2013 entstandene Grafikmappe anlässlich 40 Jahren Bodenseekreis aus, mit Werken unter anderem von Stengelin, Domes und Kaltenmark.
Nicht nur gemütlich
Im Kunstverein bezaubert die Ausstellung „Porträt einer geraden Linie“von Anna Wohlgemuth allein schon durch ihre Lichtstimmungen und Spiegelwirkungen. Inhaltlich ist die Schau komplex, aber Kurator Julian Denzler gelingen pointierte Einführungen. Spitzenjazz bringt der Verein Jazzport ins Zeppelin-Museum, mit dem John Coltrane-Programm des Saxofonisten Jürgen Hagenlocher und seinem Quartett. Musik, die es ernst meint mit Coltranes Spuren und die deshalb nicht nur gemütlich sein kann. Für wunderschöne Balladen wie „Central Park West“sorgen Hagenlocher, Andy Hermann (Klavier), Matthias Danneck (Schlagzeug) und German Klaiber (Bass) trotzdem.
Im ZF-Turmatelier trifft indes Nina Rike Springer mit ihren skurrilen Videos und Fotografien den Nerv des Publikums. Auch in der Plattform 3/3 stehen die Besucher bei der Eröffnung der Ausstellung von Klaus Maschanka dicht an dicht. Dem Maler aus Sinsheim gelingen urbane Szenen, die an den Realismus Edward Hoppers erinnern und doch schnappschusshaft bleiben, voller dynamischer Unschärfen. Unterschwellig schwingt auch Bedrohlichkeit mit.
Eine Pflichtstation ist die Galerie Lutze, mit ihrer Gerhard RichterAusstellung. Als Fußnote zeigt der Galerist dabei auch ein Postkarte, die Gerhard Richter ihm nun schickte. Zehn Richter-Ausstellungen hat die Galerie in 40 Jahren auf die Beine gestellt, wofür Richter danke sagt. Verschmitzt bedankt er sich auch, dass Bernd Lutze ihm mit diesen Ausstellungen keine Arbeit bereitete.
Wer die Zeppelin-Universität besucht, trifft auf politische Kunst, die sich einmischt: Die Gruppe Forensic Architecture zeigt Videos, in denen sie Staaten wie den USA und Israel Menschenrechtsverletzungen und Verfälschung von Tatsachen vorwerfen. Nachgewiesen wird das mit kriminalwissenschaftlicher Genauigkeit. Eyal Weizman, Gründer von Forensic Architecture, wird voraussichtlich am 6. April nach Friedrichshafen kommen. Im Rahmen eines Symposiums des ZeppelinMuseums spricht er dann in der ZU.